Bereitschaft für den Wechsel auf Windows 2000 steigt

Das Vertrauen der Anwender in Novell beginnt zu bröckeln

08.12.2000
MÜNCHEN (ave) - Krisenstimmung bei Novell: Die Umsätze mit Netware sind rückläufig, immer mehr Anwender schwenken auf Windows 2000 um. Sie verstehen die Strategie des Herstellers nicht mehr.

Novell, einst der führende Anbieter von Netzwerksoftware, hat zu kämpfen. Das vergangene Fiskaljahr war von rückläufigen Gewinnen und Umsatzeinbrüchen gekennzeichnet. Vor allem Netware, bislang das Paradepferd im Stall, lahmt. Um 24 Prozent sanken die Verkaufszahlen in dieser Sparte im Verlauf des Geschäftsjahres, allein im letzten Quartal ging der Umsatz um sieben Prozent nach unten. Verluste verbuchte die Company laut Horst Nebgen, Geschäftsführer von Novell Deutschland, vor allem bei Firmen mit bis zu 150 Anwendern. Während hier der Absatz um 47 Prozent zurückging, habe man bei größeren Unternehmen zulegen können.

Es überrascht nicht, dass kleinere Unternehmen Novell den Rücken kehren. Nachdem der Anbieter zum 1. November 1999 die Preise für die älteren Versionen seiner Netz-Betriebssystem-Software (Netware 3.x) drastisch anhob, zeigten sich die Anwender verärgert. Die Company bekommt nun wohl die Quittung dafür, dass sie versuchte, ihre Klientel mit dieser Maßnahme zum Umstieg auf die neueren Versionen zu bewegen, die auch für den Einsatz mit dem Verzeichnisdienst Novell Directory Services (NDS) geeignet sind.

Aus Sicht von Ulrich Breckel, Berater bei der Comsys EDV-Systemberatung Biberach GmbH, ist jedoch eine Lösung wie Netware 5 "für kleine Firmen und Mittelständler der Overkill". Für ihn ist es daher auch aufgrund der Tatsache, dass Netware 3.2 zwar noch verkauft, aber nicht richtig unterstützt wird, verständlich, wenn Kunden auf NT umsteigen.

Doch es sind nicht nur die kleinen Firmen, die Novell die kalte Schulter zeigen. Größere Unternehmen erwägen ebenfalls den Umstieg auf die Microsoft-Produkte. Bei der AOK in Berlin sind derzeit beispielsweise rund 200 Server im Einsatz, wovon über 100 unter Netware laufen. Der gesamte File-Service ist damit abgebildet. Wegen der bekannten Schwäche von Netware im Bereich Applikationsservice kommt außerdem Windows NT zum Einsatz.

Obwohl "überzeugter Netware-Anwender", wie Manfred Wendland, stellvertretender Abteilungsleiter für System-Management, das Unternehmen beschreibt, plant es für nächstes Jahr den Umstieg auf Windows 2000. Die Unternehmenspolitik von Novell spielt dabei nicht die entscheidende Rolle, vielmehr will die AOK ihre IT-Landschaft bundesweit einheitlicher gestalten. Wendland sieht darin nichts Ungewöhnliches: "Landauf, landab ist eine Abkehr von Netware zu beobachten", gibt er seinen Eindruck wieder.

Der Umstieg wurde so lange hinausgezögert, bis es eine aus Sicht der Krankenkasse "tragfähige Alternative" aus dem Hause Microsoft gab, mit der auch ein größeres Netz effizient betrieben werden kann. Windows 2000 und den Active Directory Services (ADS) spricht der Manager das Potenzial zu, die NDS zu ersetzen.

Wendland ist zuversichtlich, dass sich mit Microsofts Verzeichnisdienst die "weit verzweigten Rechte" innerhalb der AOK vernünftig abbilden lassen. "Selbst wenn es dabei Probleme geben sollte, können wir die Rechteverwaltung immer noch mit einer abgespeckten NDS realisieren", zeigt sich der Manager gelassen. Größere Probleme beim Umstieg erwartet Wendland nicht.

Bei der Fränkisches Überlandwerk AG (FÜW) in Nürnberg ist momentan zwar noch kein Wechsel geplant, doch das Unternehmen war in der letzten Zeit nicht sehr zufrieden mit Novell. Reiner Winter, zuständig für das Netzdesign sowie die Novell- und NT-Server bei der FÜW, erzählt von "massiven Problemen bis hin zum Totalausfall". Das Unternehmen hatte Schwierigkeiten mit der Konfiguration von Netware 5.1, doch laut Winter reagierte Novell auf die Serviceanfragen des Energieversorgers sehr spät. Schließlich fand ein anderer Dienstleister eine Lösung, erst zwei Tage später war dann auch Novell so weit.

Probleme im ServicebereichDas ist jedoch nicht alles: "Momentan gibt es ein neues Service-Pack für Netware 5.1, das ich mich nicht einzuspielen traue, sonst läuft hinterher die Hälfte nicht mehr", so der Manager. Obwohl er den Support von Novell als momentan "total überlastet" kritisiert, bleibt das FÜW dem Anbieter vorerst treu. Netware liegt nach Meinung von Winter immer noch vorn, was File- und Print-Dienste angeht. Windows 2000 und das Active Directory sind für die Franken derzeit noch keine Alternative, nicht zuletzt deshalb, weil das Überlandwerk in diesem Bereich kein Know-how hat.

Novell-Chef Nebgen weiß, welche Gefahr seinem Unternehmen droht: "Microsoft pusht Windows 2000 sehr stark, auch die Unix/Linux-Gemeinde wird immer größer." Er sieht diese beiden Lager neben Netware als die drei wesentlichen Kräfte im Markt für Netz-Betriebssysteme und wehrt sich vehement gegen die Vorstellung, Netware könne aussterben: "Alle drei Plattformen, die heute am Markt sind, haben ihre Berechtigung."

Dennoch räumt der Manager ein, dass sich Netware, das inzwischen nur noch etwa 55 Prozent zum Gesamtumsatz der Company beiträgt (vor zwei Jahren waren es noch über 70 Prozent), wohl weiter rückläufig entwickeln wird. Daher setzt Novell nun verstärkt auf "One Net", eine Infrastruktur, deren Herzstück mit dem E-Directory einen plattformübergreifenden Verzeichnisdienst bildet. So hofft das Unternehmen, auch Zugang zu solchen Kunden zu finden, die gar kein Netware im Haus haben, und sich als Anbieter von Netzservices aufzustellen. Dabei sollen mit Punkten wie Sicherheit, Identität, Leistung, Skalierbarkeit und Management alle für Unternehmen wichtigen Aspekte rund um Netzwerke abgedeckt werden.

Diese Botschaft, die der Anbieter mit Schlagworten wie dem schon erwähnten "One Net" oder "Denim" (Directory Enabled Net Infrastructure Model) transportiert, kommt bei den Anwendern aber nicht richtig an. Die Company hat etwa mit der mehrfachen Umbenennung der NDS (zunächst "Netware Directory Services", dann "Novell Directory Services", inzwischen "E-Directory") nicht unbedingt zum Verständnis der Strategie beigetragen, zumal die Anwender mehr Wert auf konkrete Lösungen als auf hochtrabende Visionen legen. Auch Netzfachmann Winter vom FÜW kritisiert den "Begriffswirrwarr", der für ihn nicht nachvollziehbar ist. Novell hatte sogar sein Kernprodukt Netware im Zuge der allgemeinen Intranet-Euphorie vor einigen Jahren in "Intranetware" umgetauft, nur um mit der Version 5 wieder zur gewohnten Namensgebung zurückzukehren.

Berater Breckel stimmt den Vorbehalten zu: "Es ist schwer zu durchschauen, welche Strategie Novell verfolgt, das war aber auch in der Vergangenheit so." Er geht davon aus, dass Novell in seinem klassischen Gebiet, dem LAN, in Zukunft weitere Einbrüche hinnehmen muss. "Zumindest im Bereich kleinerer Firmen ist ein klarer Trend weg von Novell zu erkennen", berichtet er aus der Praxis.

Eher skeptisch ist der Berater auch bezüglich Novells Absicht, sich im Bereich der Internet-Anwendungen zu positionieren. Seiner Meinung nach sind dort vor allem Linux/Unix-Systeme gefragt, selbst Microsoft habe Probleme, in diesem Bereich Fuß zu fassen. Aus Sicht von Novell soll dies mit Hilfe der NDS geschehen, dem letzten Ass im Ärmel des Unternehmens. Der Verzeichnisdienst wurde unter Netware entwickelt, er gilt als sehr stabil und skalierbar. Lange vor der Konkurrenz aus Redmond bewies Novell, wie leistungsfähig sein Directory ist. Doch obwohl der Anbieter einige prestigeträchtige Referenzkunden an Land ziehen konnte, hat er den ursprünglichen Vorsprung gegenüber Microsoft nicht optimal nutzen können.

Zudem schaffte es die Company nicht, kleinere Unternehmen von den Vorzügen eines Verzeichnisdienstes zu überzeugen und damit von Netware 3.x auf eine der jüngeren, Directory-enabled Versionen zu migrieren. Auch die Bestrebungen, NDS auf so vielen Plattformen wie möglich anzubieten, verschafften dem Anbieter keinen echten Vorteil. Die Gates-Company holte auf und brachte ihre ADS dieses Jahr auf den Markt. Obwohl Analysten zunächst vom Einsatz abrieten, gewinnt der Verzeichnisdienst zusehends an Boden.

Das liegt unter anderem daran, dass die Redmonder eine andere Strategie als Novell verfolgen. Microsoft setzt nicht auf die Plattformunabhängigkeit, sondern versucht im Gegenteil, andere Produkte aus dem eigenen Haus mit den ADS zu verknüpfen. Anwender, die etwa "Exchange 2000" nutzen wollen, sind gut beraten, dies in Verbindung mit ADS zu tun. Microsoft versucht schlicht und einfach, ADS mit seiner Marktmacht durchzudrücken.

Migration wird nicht billigDas scheint zu gelingen. Auch in den USA ist zu beobachten, dass Netware-Anwender ins Windows-Lager wechseln. Dabei handelt es sich nicht nur um kleinere Firmen, auch große Unternehmen wagen den Schritt. United Parcel Service (UPS) etwa hat eigenen Angaben zufolge bereits 80 Prozent seiner 2500 Netware-Server auf NT migriert, weitere sollen folgen. Ziel des bezeichnenderweise "Renue" (Remove Netware from the User Environment) getauften Projekts ist, lediglich 150 Server auf Netware zu belassen. Chase Manhattan evaluiert die Migration seiner 700 Netware-Server, 50 laufen bereits unter Windows 2000.

Netware-User, die eine Migration ins Auge fassen, müssen sich darauf einstellen, dass der Wechsel nicht billig ist. Die Gartner Group schätzt, dass die Umstellung eines Netzes mit 2500 Anwendern von Netware 4.x auf Windows 2000 Kosten von rund einer Million Dollar verursacht. Pro Arbeitsplatz fallen dabei etwa 430 Dollar an, wobei die Analysten davon ausgehen, dass etwa 70 Prozent der Server im Zuge der Migration ersetzt werden müssen. "Insgesamt ist der Windows-2000-Umstieg für Netware-Kunden etwas teurer als für NT-Anwender", fasst Gartner-Analyst Michael Silver zusammen.

Der Sprecher eines großen deutschen Konzerns, der nicht genannt werden will, sieht derzeit noch keinen Grund, Netware 4.11 aus seinem Netz zu verbannen oder die NDS-basierte Verwaltung der etlichen tausend User auf ADS umzustellen. Vor allem aus Gründen der Stabilität und der besseren Administrierbarkeit komme dies "momentan nicht in Frage". Er sieht daher die Situation gelassen: "Als großer Novell-Kunde fühle ich mich auf jeden Fall in einer guten Ausgangsposition. Ich kann mich zurücklehnen und beobachten, wie sich der Markt entwickelt", beschreibt er seinen Standpunkt. Aus seiner Sicht ist der Zwang, auf Windows 2000 und ADS umzusteigen, für NT-Nutzer viel größer. Daher gehe sein Unternehmen zunächst die Umstellung auf Netware 5 an.

Netware verliert zusehends BodenAnalysten sind dennoch skeptisch, was die Zukunft von Netware betrifft. Forrester Research beispielsweise geht in dem Report "Die neue Server-Landschaft" davon aus, dass "ein loyaler Anwenderkader" weiterhin zu Novell stehen wird. 18 Prozent der File- und Print-Server in Unternehmen mit mehr als 2500 Angestellten werden im Jahr 2001 nach Einschätzung der Analysten noch auf Netware basieren.

International Data Corp. (IDC) kommt in einer neuen Studie mit dem Titel "Western European Network Operating System Market Forecast and Analysis, 1999 - 2004" ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Netware gegenüber NT/ Windows 2000 weiter an Boden verliert (siehe Grafik). Der Anteil von Netware an neuen Lizenzen wird nach Meinung der Marktforscher von 43 Prozent (1999) auf 27 Prozent (2004) sinken. NT beziehungsweise Windows 2000 könne hingegen in der gleichen Zeit von 52 Prozent auf 72 Prozent zulegen, glaubt IDC.

Ob Novell mit einer großangelegten Marketing-Kampagne , bei der sich etwa die Executive Manager das Haar rot färben lassen, noch einmal das Ruder herumreißen kann, scheint angesichts der eher skeptischen Anwender und Analysten unwahrscheinlich.

Abb: Düstere Aussichten für Novell: Microsoft legt nach Meinung der Analysten in den kommenden Jahren weiter zu. Quelle: IDC