Internet/"Rechtliche Mittel gegen Computerpornografie werden nie funktionieren"

Das US-Gesetz gegen Unflat im Internet loest Kontroversen aus

15.03.1996

Was aergerte die American Civil Liberties Union (ACLU) und andere Gruppen am Communications Decency Act (CDA), der die Verbreitung "anstoessigen" jugendgefaehrdenden Materials ueber das Internet oder Online-Dienste unter Strafe stellt? Laut ACLU ist der Begriff "anstoessig" nicht eindeutig definiert und koennte demnach zur Durchsetzung weitreichender Zensurmassnahmen missbraucht werden, beispielsweise auch dazu, Internet-Benutzer an der Diskussion kontroverser Themen wie Abtreibung zu hindern.

Bezirksrichter Ronald Buckwalter aus Philadelphia pflichtete der ACLU bei und hinderte die US-Regierung durch eine einstweilige Verfuegung an der Durchsetzung des CDA. Ein Sprecher des amerikanischen Justizministeriums teilte daraufhin mit, die Behoerde werde sich moeglicherweise einverstanden erklaeren, einstweilen niemanden, der bestimmte Vorschriften des Gesetzes verletzt, zu verfolgen.

Obwohl nicht klar ist, wie lange die einstweilige Verfuegung gilt, war die ACLU zufrieden. "Wir freuen uns, dass der Richter die besorgniserregenden Auswirkungen dieses Gesetzes erkannt hat", sagte die leitende Justitiarin der ACLU, Marjorie Heins. Andere Gruppen wie die American Family Association (AFA) waren weniger gluecklich. Nach Meinung der AFA geht das Gesetz nicht weit genug, da es Online-Services und Internet-Provider der strafrechtlichen Haftung entzieht.

"Es ist offensichtlich, dass das Gesetz, das die Computerpornografie in Schranken halten soll, nicht funktioniert und auch nie funktionieren wird", sagte Patrick Trueman, bei der AFA zustaendig fuer Regierungsangelegenheiten. "Es ist ein Freifahrschein fuer diejenigen, die mit dem Vertrieb von Pornografie das dicke Geld machen, indem sie die Internet-Zugaenge vermitteln." Online-Service-Provider in den USA sprechen sich mit ueberwaeltigender Mehrheit gegen den CDA aus und wollen statt dessen die Entscheidung, worauf die Kinder Zugriff haben, den Eltern ueberlassen. Sie koennen Filtersoftware benutzen, die bestimmte Sites blockiert, und sich an die Bewertung von Internet-Sites halten.

"In Wirklichkeit handelt es sich hier um einen kulturell motivierten Feldzug der religioesen Rechten, die die Redefreiheit in diesem Land einschraenken moechte", kommentierte Mike Godwin, Justitiar der Electronic Frontier Foundation in San Franzisko, das Geschehen. "Was sie beim Internet und der Online-Kommunikation generell so erschreckt, ist, dass sich diese Medien so schwer kontrollieren lassen. Sie fuerchten, dass die Gerichte der Online- Kommunikation denselben Schutz zugestehen koennten wie den Printmedien. Hier geht es nicht um Pornografie oder schmutzige Bilder, sondern um die Ausdrucksweise, die die meisten amerikanischen Erwachsenen tagtaeglich benutzen."

Godwin wies darauf hin, dass das Gesetz Usenet-Gruppen den Garaus machen koennte, die Nachrichten durch einen Flutalgorithmus verbreiten, der diese automatisch zu neuen Sites befoerdert. "Es gibt 15000 News-Groups, und ihre Zahl waechst staendig", sagte John Frank, der als Justitiar von Microsoft Europe mit dem Microsoft Network, dem Internet und allgemeinen Online-Themen befasst ist. "Es waere nicht moeglich, die Inhalte jeder einzelnen News-Group zu ueberpruefen, und wer diese fuer ueble Zwecke nutzen will, wird auch immer Wege dafuer finden." Das entscheidende Manko des CDA scheint jedoch nach Ansicht von Brancheninsidern darin zu liegen, dass "anstoessig" hier nicht eindeutig definiert wird.

"Ein Grossteil der Kunstwerke aus dem Metropolitan Museum of Art wuerde gegen den CDA verstossen", meinte Larry Landweber, Leiter des Treuhandgremiums der Internet Society. "Das wird sehr schlimme Folgen haben. Sicher, es gibt wirklich abscheuliches Zeug in vielen Bereichen des Netzes, aber die Verteidigung unserer Freiheiten hat ihren Preis." Viele amerikanische Online-Service- Provider verfolgen jetzt mit Argusaugen die Entwicklung in den Gerichten, und manche von ihnen erwaegen ihrerseits rechtliche Schritte. "Einstweilen warten wir ab - wir beobachten weiter, wie dieses Gesetz durchgesetzt werden wird", sagte Sara Fitzgerald, Sprecherin der Interactive Services Association in Silver Spring, Maryland, der auch Online-Service-Provider angehoeren. "Es wird wohl aeusserst problematisch werden."

Die Gruppe tritt vehement dafuer ein, dass Eltern ihre Kinder mit Hilfe von Softwarefiltern gegen ungeeignete Internet-Inhalte abschirmen und sich der Gesetzgeber aus dem Problem heraushaelt. Online-Service-Provider fuerchten, dass der Rechtsstreit, den der CDA nach sich ziehen koennte und der aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem obersten Bundesgericht US Supreme Court enden wuerde, sich nachteilig auf die Branche auswirken wuerde. "Durch die Zensur wird es wesentlich teurer, wenn nicht sogar ganz unmoeglich, den Kunden via Netz zu erreichen", sagte Brian Muys, verantwortlich fuer die Unternehmenskommunikation bei PSI Net, einem Internet-Service- Provider (ISP) mit Sitz in Herndon, Virginia. PSI Net bietet Dienste in den USA, Grossbritannien, Japan, Suedkorea, den Niederlanden und Kanada an.

"Wir sind ein Unternehmen, und es steht uns weder zu, noch moechten wir in die Rolle gedraengt werden, als moralische Instanz darueber zu entscheiden, was ueber das Netz transportiert werden soll", fuehrte Muys weiter aus. "Ich befuerchte, dass uns aus der Anstoessigkeitsdebatte einige strenge Bestimmungen erwachsen, die in der Praxis nicht umzusetzen sind", sagte Microsoft-Europe- Justitiar Frank. "Meiner Meinung nach sind die Kunden und die Oeffentlichkeit besser bedient, wenn man es uns ueberlaesst, den Anstand zu wahren und in begrenztem Ausmass selbst fuer eine Ueberwachung zu sorgen."

*Dieser Bericht wurde von IDG-Korrespondent Torsten Busse verfasst. Die Informationsen stammen aus verschiedenen Meldungen einzelner Korrespondenten des weltweiten IDG-Informatinsdienstes.

Das Internet in Zahlen:

Die Anzahl der Web-Anwender wird bis Ende dieses Jahres prozentual schneller wachsen als die Anzahl der Web-Seiten.

-Nach einem erwarteten Einbruch im Jahr 1997 wird sich das Internet als Werkzeug fuer kommerzielle Zwecke etablieren.

-Eine weitere Talfahrt erfaehrt das Internet durch eine erwartete Saettigung am Ende der Dekade.

-1995 gab es 56 Millionen Internet-User, davon nutzten acht Millionen Anwender den grafischen Bereich World Wide Web (WWW).

-1999 wird es 199 Millionen Internet-Benutzer geben. 125 Millionen Anwender benutzten das WWW.

-1995 existierten insgesamt 120000 Web-Server.

-1995 kamen elf Millionen Web-Browser sowohl fuer geschaeftliche als auch fuer private Zwecke zum Einsatz.

Quelle: Marktforschungsinstitut International Data Corp (IDC).