Kolumne

Das überschätzte Urteil

19.09.2007

Monatelang stilisierten Medien und Lobbyisten das Kartellurteil im Fall Microsoft zur Richtungsentscheidung mit weitreichen-der Bedeutung hoch. Einen Präzedenzfall mit weltweiten Auswirkungen nicht nur für die Softwareindustrie malten einige Beobachter an die Wand. Seit dem 17. September ist klar: Microsoft hat den Berufungsprozess gegen die Entscheidung der EU-Kommission aus dem Jahr 2004 verloren (siehe Seite 8). Und wie beim ersten Urteil überschlagen sich die Kritiker des weltgrößten Softwarehauses mit Kommentaren: Bessere Produkte und niedrigere Preise erwarten die einen. Eine großartige Nachricht zum Vorteil von Innovation und Kundenwahlfreiheit sehen die anderen in der Entscheidung von Richter Bo Vesterdorf.

Ob diese Einschätzungen realistisch sind, darf bezweifelt werden. Ein Blick in die Historie der IT-Branche macht wenig Hoffnung. Schon der legendäre Feldzug der US-amerikanischen Kartellbehörde gegen Microsoft Mitte der 90er Jahre zeigte, dass die Auswirkungen von Kartellurteilen im Softwaremarkt nur sehr begrenzte Wirkung zeigen.

Zwar wurde Microsoft verurteilt und des Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Position für schuldig befunden. Doch die Realität hatte die quälend langsamen Entscheidungen der US-Justiz längst überholt. Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung spielte der Browser Netscape Navigator, den Microsoft durch die Kopplung von Windows und Internet Explorer aus dem Markt gedrängt hatte, kaum noch eine Rolle.

Ganz ähnlich im aktuellen Fall: Dass die EU-Kommission Microsoft verpflichtete, eine Windows-Version ohne integrierten Media Player zum Verkauf anzubieten, konnte Konkurrenzprodukten wie dem Real Player nicht mehr helfen.

Dennoch haben sich die Zeiten für Microsoft gründlich geändert. Weil der Konzern in den 90er Jahren die rasante Entwicklung des Internets verschlafen hatte, konnten sich Startup-Unternehmen wie Google zu milliardenschweren Mitspielern entwickeln und wichtige Marktsegmente besetzen. Im Suchmaschinenmarkt hinkt Microsoft den Rivalen ebenso hinterher wie etwa bei Videoportalen Stichwort YouTube - oder Download-Plattformen für Musik.

Microsofts Rückstand in diesen Zukunftsmärkten hat indes ausschließlich mit Management-Fehlern zu tun und nichts mit irgendwelchen Kartellauflagen. Die Einschätzung der Industrievereinigung Ecis zum Luxemburger Urteil erscheint deshalb realistischer: Sie erkennt darin lediglich "Verkehrsregeln, die gut für den europäischen Verbraucher sind". Ob Microsoft diese Regeln befolgt, steht auf einem anderen Blatt. Reagieren die EU-Wettbewerbshüter bei Verstößen nicht schneller als bisher, wird auch dieses Urteil für den Markt folgenlos bleiben.