Europaweite Präsenz bei Europäern noch selten

Das Trojanische Pferd der US-Multis im EG-Binnenmarkt

03.11.1989

Werten Sie die folgenden Ausführungen bitte nicht als Belehrung: Die Briten sind nach den jüngsten, wenig hilfreichen Bemerkungen der Premierministerin Margaret Thatcher und anderer Politiker des Königreiches weiß Gott nicht in einer Position, die es ihnen erlauben würde, andere Europäer darüber aufzuklären, was es heißt, ein "richtiger Europäer" zu sein oder zu werden.

Wenn möglich, befreien Sie sich für die folgenden Gedankengänge auch von dem Eindruck, die Engländer partizipierten nur an einem Vereinten Europa, um beständig Ärger in Industrie und Politik verursachen zu wollen.

Aber ziehen Sie einmal folgende These in Erwägung: Viele nichteuropäische Unternehmen werden von der Harmonisierung der EG-Märkte ab 1992 starker profitieren als die meisten Unternehmen mit Hauptsitz in Europa. Wenn sich diese Behauptung als richtig erweist, was sollen wir dann tun?

Es gehörte über viele Jahre hinweg nicht zur vornehmen Art, zu hinterfragen, wer an einem Unternehmen eigentlich die Besitzanteile in Händen halte. Die Notation einer tragfähigen nationalen Computerpolitik brach zudem in den frühen 80er Jahren in sich zusammen, als sich der internationale Computermarkt mit und durch die aktive Industrie zu einem wirklich "weltweiten Markt" auf der Basis nationaler Märkte umwandelte. Die USA standen als weltweiter Marktführer an der Spitze, Japan war Zweiter, Deutschland irgendwo der Vierte und so ging es eigentlich querbeet weiter. Regionale Besonderheiten und Varianten der Computerindustrie und der Märkte galten als weitaus wichtigeres Kriterium als vorhandene Ähnlichkeiten in vielen Sektoren.

Viele Hersteller waren ehedem nur als Nationalspieler mit " Außenposten" in Fremdländern zu betrachten. Das Vereinigte Königreich konnte stolz auf ICL verweisen, Frankreich auf CII und die, Group Bull, Deutschland auf Siemens und Nixdorf. Diese Unternehmen haben in der Anfangsphase des DV-Massenmarktes nur wenige Berührungspunkte besessen, sicherlich aber nicht aktiv auf dem Terrain des jeweils anderen agiert.

Dann aber schien die Welt-DV-Industrie in den späten 70ern und 80ern eine andere Gangart einzulegen und so auch die Märkte zu ändern, in denen sie agierte. Man sprach erstmalig nicht mehr nur von der Summe aller nationalen Märkte - eine neue Dimension brach auf. Plötzlich gab es so etwas wie eine supranationale Dynamik.

Unter diesem Druck geriet eine nationale Politik nach der anderen in Unordnung, egal, welche politischen Couleurs das Land gerade regierten. Großbritannien mottete seine speziellen Projekte ein, schraubte Unterstützungen runter und fror Subventionen ein. Schließlich wurde allgemein klar, daß die einheimische britische Computerindustrie den Punkt schlicht verpaßt hatte, an dem sie die Weichen zur Selbsterhaltung noch stellen konnte.

Versuchte jemand in der Folgezeit, eine nationale Initiative ins Lebens zu rufen oder die eigene nationale Computerindustrie abzugrenzen, wurde sogleich zudem die Rolle der Multinationalen offensichtlich. Keine nationale Industrie war mehr in sich geschlossen.

Da IBM und andere Multis ihre Forschung, Entwicklung und Produktion querbeet in Europa verteilten und auf einem weltweiten Niveau koordinierten, machte die Einschränkung der Forschung und Entwicklung der Computerei auf eine Nation (im Rahmen einer nationalen Industrie) keinen Sinn mehr. Im

Vereinigten Königreich Großbritannien zum Beispiel hingen die großen Prozessoren und kleinen Terminals, die IBM dort produzierte, von Chips aus der Bundesrepublik und Frankreich, Software aus Italien und Kunden aus ganz Europa, dem Mittleren Osten und Afrika ab. In diesem Sinne gab es auch kein Exportgeschäft mehr, denn IBM beispielsweise bemühte sich landauf- landab. Ex- und Importe innerhalb des Verbundes auszugleichen.

Die europäische Antwort auf diese Umstände wurde von der deutschen Industrie und der französischen Politik getragen. Ein vereinter europäischer Gemeinschaftsmarkt wird, so die Hoffnung, einen genügend großen Markt schaffen, um zu gewährleisten, daß die nationale Industrie europäisiert weiterexistiert und nicht untergehen möge. Soweit die Theorie.

Im Vorfeld des Jahres 1991, bis zu dem die Einheit des Marktes durch weitere Maßnahmen gesichert werden soll, sieht die Praxis anders aus.

Wir Europäer brauchen letztendlich nur eine einzige Frage zu durchdenken, um auf den kritischen Punkt zu kommen.

Wer ist in Europa unternehmerisch derzeit am sinnvollsten koordiniert? Die Antwort: die US-Multis, die bereits innerhalb des geografischen Raumes Europa denken, seit sie ihren Geschäftsbetrieb aufgenommen haben. Sie wären falsch beraten, von einem einzigen Europa aus zugehen, da die regionalen Unterschiede zu umfassend sind. Aber sie dachten und agierten im Sinne eines geeinten Europa und agierten lediglich regional. Nationale Niederlassungen in jedem lokalen Markt wurden so ihre wirtschaftlichen Stützen.

Der größte Nutzen eines gemeinsamen Marktes für Mitglieder nach 1992 wird den US-ansäßigen Multis zugute kommen, die den westeuropäischen Herstellern bei der Planung um Jahre voraus sind - ganz zu schweigen von der Durchführung.

Nehmen wir die zwei Märkte. Industrien und Technologien, von denen in der Computerei so viel abhängt: Personal Computer und Software.

Eine Liste der zehn Top-PC-Hersteller sieht in den Nationen Europas ungefähr wie folgt aus: an erster Stelle steht IBM, dann kommen eine Reihe lokaler Hersteller, gemischt mit Compaq, Victor, Apple oder Commodore, dann Zenith, Tandon, Toshiba und schließlich eine Gruppe kleinerer Markennamen, einige ortsansässig, andere aus Fernost.

Altbekannt? Nun, dieses Muster ist immerhin in ganz Europa verbreitet. Der eine oder andere regionale Hersteller mag vielleicht hie und da höher bewertet werden. So hat sich zum Beispiel Amstrad bis in jüngster Zeit mit dem zweiten Platz hinter IBM in Großbritannien gut behauptet. In Frankreich mag der Name Normerel in den Listen stehen, in Holland Tulip und in der BRD Schneider. Aber der gemeinsame Koeffizient ist die Zahl der Nicht-Europäer in jeder Liste.

Nur zwei Europäer unter den ersten acht

Wenn die entsprechenden Zahlen summiert werden, verdichtet sich das Bild. Wie IDC kürzlich errechnete, sind die Marktanteile für europäische PC-Verkäufe 1988 in folgender Reihenfolge zu bewerten: Commodore, Amstrad, IBM, Atari, Olivetti, Apple, Compaq und Tandon.

Zwei Europäer nur! Und beide stehen derzeit nicht sehr gut da. Amstrad verliert Marktanteile in Großbritannien, nachdem die größeren Modelle zurückgerufen werden mußten, um das Plattenlaufwerk auszutauschen. Das Unternehmen rutschte im Juni auf den dritten Platz ab.

Der gute Europäer wird sich nun fragen: Ja, steht denn da nicht die Macht von Philips dagegen, das mit einem Fuß in der Consumer Electronic und einem im professionellen Bereich beheimatet ist; ist dort nicht Siemens mit seiner legendäre Stärke in Fragen der Technologie angesiedelt?

Ja, doch, beide sind ansässig in Europa - aber eben halt nicht in dieser Liste aufgeführt. Die Unternehmen stehen geografisch in engerem Kontakt mit ihren Kunden als US Hersteller, sie haben Niederlassungen überall und sie kennen sich im Bereich der Gebrauchselektronik aus, aber, wie gesagt, sie tauchen in der Liste der Top-Hersteller nicht auf.

Sie wollen dort auch gar nicht präsent sein, sagen sie, denn sie möchten sich auf profitablere Sektoren denn Personal Computer konzentrieren. Welche, beispielsweise? Workstations? Kein Hersteller von beiden ist indes ein ernsthafter Mitstreiter in diesem vitalen Markt. Und anders betrachtet ist jeder Sektor in dem Markt, in dem sie stark sind, dann lediglich ein Mosaiksteinchen, wann immer

die Liste der Systeme vollständig durchgegangen wird.

Nehmen wir die Software, einen Bereich, indem Europa bekanntermaßen mit gutem Ruf sehr agil ist. Und wiederum wird die europaweite Präsenz durch US-Hersteller abgedeckt. Aber einige europäische Unternehmen haben sich auf den Weg nach vorne gemacht. Die Kraft der französischen Softwarehersteller wäre zumindest eine Säule, die man zu einer sicheren Basis im europäischen Sinne ausbauen könnte und mit der europäische Software auf einen anderen Level angehoben werden könnte. Aber diese Bemühungen werden durch eine Gruppe kleinerer lokaler Hersteller quasi unterlaufen, die ein enges, natürlich gewachsenes Verhältnis zu ihren Kunden haben - oder durch US-Hersteller, die bereits im europäischen Markt für Standardsoftware dominieren. Dennoch gibt es auch in Europa bemerkenswerte Ausnahmen wie die bundesdeutsche Software AG, aber sie haben leider Seltenheitswert.

Ein US-amerikanischer Hersteller beschrieb den Europäischen Markt nach 1992 mit den folgenden Worten: Es wird für US Hersteller Milch und Honig fließen. Die nordamerikanischen Hersteller werden sich satt verdienen am Reichtum der europäischen Industrie durch die Unterstützung weltweiter Produkte in zunehmend globalen Märkten. Viele von ihnen werden zudem schlicht aufkaufen, was sie im offenen Marktgeschehen nicht besiegen können.

Wo wird Kuropas Verteidigung liegen? Großbritannien hat hier besondere Erfahrung dieser Entwicklung über die letzten 25 Jahre gesammelt. Das Königreich ist aufgrund der Sprache und geografischer Lage normalerweise die erste Anlaufstelle für US-Companies auf dem Weg nach Europa. Frankreich war in der Vergangenheit zu protektionistisch orientiert und die Bundesrepublik in sich zu zerrissen und so wie andere Länder dann auch zu unbedeutend, um als Startbasis für den Kontinent zu dienen.

Richard Sharpe ist freier DV-Fachjournalist in London