New Work – Arbeit der Zukunft?

Das Team hat die Macht

13.06.2017
Von  und
Marc Wagner ist Future-Work-Evangelist und ein ausgewiesener Experte rund um die Themen Future Work, New Work und Innovationskultur. Er ist Senior Partner und Global Head of Transformation, Peoplemanagement & Integral Business bei Detecon International, einer auf digitale Transformation spezialisierten Managementberatung. Seit mehr als 20 Jahren begleitet er Unternehmen bei der Gestaltung der digitalen Transformation. Er ist Autor diverser Publikationen und Studien rund um New Work und Innovationskultur.
Co-Autorin von Marc Wagner (IDG-Experte)
Mit der digitalen Revolution wird in Unternehmen auch der Ruf nach einer Modernisierung der Arbeitswelt immer lauter. Unter dem Motto „New Work“ ist eine Bewegung entstanden, die Führung neu definiert und kreativitätsfördernde Arbeitsbedingungen für künftig mehr selbstbestimmte Mitarbeiter fordert.
  • New Work stellt die persönliche Sinnstiftung von Arbeit sowie Schaffung optimaler Arbeitsbedingungen zur individuellen Lebenssituation ins Zentrum.
  • Klassische Führungsstrukturen lösen sich auf, weil Führung künftig als temporäre und situative Rolle angesehen wird.
  • Die Umsetzung von New-Work-Maßnahmen ist ein Kraftakt, der sich aber auszahlt.

"Wir leben in exponentiellen Zeiten" …

… so der Tenor vieler Publikationen, Buchbeiträge und Veranstaltungen, die sich mit der Auswirkung von Digitalisierung und dem nahezu unglaublichen Anstieg von Datenmengen in den letzten Jahren beschäftigen. Viele Szenarien, die wir bisher nur aus Science-Fiction-Filmen kannten - vom Terminator, über Surrogates bis hin zu Gadgets aus Raumschiff Enterprise -, scheinen in greifbarer Nähe. Und die Einsicht, dass die Digitalisierung und die daraus resultierenden, radikalen Veränderungen von Geschäftsmodellen keine Modeerscheinung darstellen, die man einfach mal aussitzen kann, macht sich mittlerweile auch in deutschen Unternehmen breit.

Das Arbeitsdenken verändert sich. Beschäftigte wollen mehr Verantwortung tragen, selbstbestimmt arbeiten und von ihren Führungskräften gefördert werden.
Das Arbeitsdenken verändert sich. Beschäftigte wollen mehr Verantwortung tragen, selbstbestimmt arbeiten und von ihren Führungskräften gefördert werden.
Foto: Photon photo - shutterstock.com

Standen bisher technische Perfektion, höchste Qualität und Effizienz im Vordergrund, so treten diese typisch deutschen Werte scheinbar immer stärker in den Hintergrund. Schnelligkeit und die Fähigkeit, den Kurs blitzschnell zu ändern, werden stattdessen überlebensnotwendig und der Ruf nach Skaleneffekten durch Größe verstummt. Vielmehr scheint es, dass Markteintrittsbarrieren im digitalen Zeitalter völlig verschwinden, intellektuelles Eigentum zum Fremdwort mutiert und ein 20jähriger Stanford-Absolvent aus der Garage seiner Eltern heraus ganze Industrien in Frage stellen beziehungsweise "disrupten" kann.

Damit einher geht ein radikaler Wandel des Arbeitsmarktes. Die Fähigkeiten, auf die uns das klassische (zumindest deutsche) Bildungssystem bisher vorbereitet hat, und das Können des Auswendiglernens machen eher Soft Skills Platz, die vor nicht allzu langer Zeit vielleicht noch als schwach und wenig bedeutend abgetan wurden. Dies bestätigt nicht zuletzt die vielfach geteilte Übersicht der Skill-Entwicklung des World Economic Forums: "Kreativität" und die Fähigkeit des "kritischen Hinterfragens" nehmen die Spitzenplätze ein und sind damit Voraussetzungen dafür, in einem Unternehmen erfolgreich sein zu können. Darüber hinaus steigt die "emotionale Intelligenz" in das Top-Ten-Ranking auf und verdrängt damit zum Beispiel die früher noch für so wichtig empfundene "Qualitätssicherung". Letztere wird bald komplett von Systemen mit künstlicher Intelligenz übernommen werden.

Skills der Zukunft
Skills der Zukunft
Foto: World Economic Forum 2016

An dieser Stelle stehen gerade die deutschen Unternehmen, die auf inkrementelle Verbesserung, Effizienz und Optimierung der Bottomline konditioniert sind, vor den größten Herausforderungen. Stellt sich also die Frage: Wie können wir Organisationen schaffen, die auf der einen Seite Ressourcen effizient einsetzen und auf der anderen flexibel, agil und so innovativ sind, dass sich die entwickelten Geschäftsmodelle im Zweifelsfall gegenseitig Konkurrenz machen? Frei nach dem Motto: Wettbewerb im eigenen Haus ist besser beherrschbar als draußen. Dabei geht es längst nicht mehr um Technologie oder den Einsatz der neusten Gadgets. Vielmehr dreht es sich um die Top-Talente, die sowohl die oben beschriebenen Skills als auch das mitbringen, was vielerorts als "Computational Thinking" bezeichnet wird - nämlich die Fähigkeit, in digitalen Strukturen zu denken sowie die technologischen Paradigmen zu durchdringen, zu verstehen und für das eigene Geschäft auszunutzen. Diese digitale Kreativ-Elite wird sich zukünftig noch mehr aussuchen können, welchem Arbeitgeber oder Auftragnehmer sie ihre Dienste zur Verfügung stellt, sei es in einer festen Anstellung oder viel öfter in Form von flexiblen und projektbezogenen Dienstleistungsverhältnissen. Hier drängt sich die Frage auf, welche Arbeitsbedingungen vorherrschen müssen, damit sich diese "Top-Experten" angezogen fühlen und ihre Dienste anbieten?

Die wichtigsten Kriterien der New Work

Spätestens jetzt kommt die "New-Work-" oder "Future-Work-Bewegung" ins Spiel, wo die persönliche Sinnstiftung von Arbeit sowie die Schaffung von optimalen Arbeitsbedingungen zur individuellen Lebenssituation im Zentrum stehen. Bis vor wenigen Jahren noch eine Utopie, doch dank der Digitalisierung in greifbarer Nähe. Der Grund: Nahezu grenzenlose Vernetzung, Demokratisierung von Wissen, Sharing Economy, Open Innovation, Crowd-Ansätze und Plattformen sind nur einige der Voraussetzungen und Merkmale, welche die New-Work-Gedankenwelt tragen.

Doch in vielen, insbesondere etablierten Unternehmen, stehen Fragen wie diese im Raum:

Wie drückt sich New Work im Unternehmenskontext aus?Bringt die in Teilen mühsame, weil radikale Einführung von New Work wirklich etwas?Gibt es tatsächlich nachweisbar positive Effekte?

Diese Fragen wurden im Rahmen einer Studie rund um das Thema "New Work" (mit Fokus Deutschland) von der Managementberatung Detecon International gemeinsam mit dem Institut HR Impulsgeber aufgeworfen. Die Diskussion mit der American Association of Management ergab dabei als wesentliche Eigenschaften-Cluster für erfolgreiche Unternehmen im digitalen Zeitalter folgende vier Kriterien (siehe Abbildung):

Individualität,

Führung,

Agilität,

Flexibilität.

Ergänzt werden diese Kriterien um den Faktor "Schaffung eines kreativitätsfördernden Arbeitsumfeldes" - ein ganz wesentlicher Erfolgsgarant in zahllosen New-Work-Projekten. Diese Cluster wurden dann im Rahmen weiterer Expertendiskussionen und -interviews zunehmend konkretisiert, mit Schwerpunkt auf die Gestaltung der Organisation und insbesondere auch der Beziehung zwischen Führungskräften und Mitarbeiter. Von den zwölf New-Work-Instrumenten, die den Clustern zugeordnet wurden, stellen "schnelle Entscheidungsprozesse" und "flexible Arbeitszeiten" die mit Abstand am meisten gewünschten Mittel dar.

Die klassische Führungsrolle ist out

Die Erhebung zeigt zudem, dass sich klassische Führungsstrukturen oft auflösen und Führung vielmehr als eine (temporäre) situative Rolle angesehen wird, die sich zum Beispiel je nach Projekt und Aktivitätenschwerpunkt ändern kann. Dabei treten häufig Expertenrollen an die Stelle klassischer Führungsrollen.

Im Zuge der Studie wurden die Teilnehmer befragt, wie sich die optimale Führungskraft verhalten muss, damit sie ihre Leistungsfähigkeit erhöhen, das heißt motiviert sind, im Job "ihr Bestes" zu geben? Die häufigsten drei Antworten lauteten:

Übertragung von hoher Verantwortung.Förderung der fachlichen Entwicklung.Selbstbestimmung, wie und wo Aufgaben erledigt werden.

Wenn also die Mitarbeiter viel mehr Verantwortung bekommen und selbst entscheiden können, wann, wo und wie sie arbeiten, muss die "Führungskraft" viel mehr als Coach, Mentor, Vorbild, Inspirator, Motivator, Berater und Persönlichkeitsentwickler fungieren. Chefsache heißt, nicht nur mit gutem Beispiel voranzugehen, sondern ebenso eine Vision vorzugeben, einen Weg aufzuzeigen, mögliche Hindernisse zu beseitigen und auch in schweren Phasen die Mitarbeiter für ihre Arbeit zu begeistern. Um diese Rolle auszufüllen, müssen Manager vor allem eine authentische Persönlichkeit sein, ihren Mitarbeitern Vertrauen schenken, klar und transparent kommunizieren sowie offen und bereit für Veränderungen sein, gerade vor dem Hintergrund einer immer komplexer werdenden Welt.

New Work Cluster & Instrumente
New Work Cluster & Instrumente
Foto: Hackl, Wagner, Attmer

Überrascht hat in diesem Zusammenhang die starke Abweichung, die die Befragten zwischen gewünschtem Zustand und der jeweils aktuellen Situation empfinden. Gerade bei Themen, die aktuell "gehypte" Organisationsformen wie zum Beispiel Holocracy auszeichnen, sprich Partizipation, Flexibilisierung von Arbeitszeit und Freiräume für Kreativität sowie die Verwirklichung eigener Ideen, sehen die Interviewten noch großen Aufholbedarf.

Differenz zwischen Wunsch der Mitarbeiter und realer Einführung von New-Work Instrumenten
Differenz zwischen Wunsch der Mitarbeiter und realer Einführung von New-Work Instrumenten
Foto: Hackl, Wagner, Attmer

Attraktive Arbeitgeber, motivierte Mitarbeiter

Die starke Abweichung zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist umso verwunderlicher, als die Umsetzung von New-Work-Instrumenten nach unserer Projekterfahrung und auch vor dem Hintergrund der Studienergebnisse maßgeblich zum Erfolg von Unternehmen beiträgt. Außerdem schaffen sie das für die Freisetzung des Kreativitätspotenzials der Mitarbeiter erforderliche Umfeld. So weisen die Ergebnisse der Studie signifikant positive Korrelationen zwischen der Einführung von New-Work-Instrumenten und der Arbeitgeberattraktivität, Umsatzentwicklung und Mitarbeitermotivation auf und korrelieren negativ mit der Mitarbeiterfluktuation.

Wirksamkeit von New Work Instrumenten
Wirksamkeit von New Work Instrumenten
Foto: Hackl, Wagner, Attmer

Aber wenn New-Work-Instrumente nachweisbar Erfolg bringen, warum führen sie dann nicht alle ein? Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Umsetzung einzelner Instrumente häufig isoliert erfolgt und die nachhaltige Verankerung vernachlässigt wird. Die Folge: Die positiven Effekte treten erst mit einer deutlichen, zeitlichen Verzögerung ein. So ergab eine Interviewreihe mit New-Work-Experten und -Betroffenen, dass das Feedback vieler Mitarbeiter nach der Einführung von New-Work-Kriterien erst nach rund einem Jahr ins Positive schwenkt. Zunächst überwiegen vor allem die negativen Stimmen, da gerade eine umfassende Einführung eine starke Veränderung für das Personal sowie Führungskräfte bedeutet und dadurch Widerstände hervorruft.