James Dean meets Madonna

Das Tal der Traenen ist noch nicht durchschritten

09.02.1996

Apple - das ist keine normale Firma. Wir haben Emotionen geweckt wie niemand sonst in der Branche", meint eine Firmensprecherin am Telefon. Apple, das ist der James Dean der Computerbranche.

Apple, das war Steven Jobs, der die Firma 1976 gemeinsam mit Steve Wozniak gruendete. Natuerlich nicht an einem normalen Tag - nein, am 1. April. Natuerlich stilgerecht in der Garage von Jobs' Eltern im kalifornischen Mountain View. Nachdem er fuer das Startkapital seinen VW-Bus, Wozniak seinen HP-Taschenrechner verkauft hatte.

Apple, das war der Jobs, der die sproeden Naturwissenschaftler des Palo Alto Research Center (PARC) und den genialen Software-Entwickler Alan Kay ueber den Tisch zog, als er ihnen Rechte an "Small Talk" abschwatzte, jener Software, mit der sich Computer ueber grafische Elemente spielerisch einfach bedienen liessen. Dafuer hatte Jobs den Xerox-Leuten als Gegenleistung angeboten, eine Million Dollar in Apple zu investieren. Xerox kaufte 100000 Apple-Aktien, da war das Jungunternehmen noch gar nicht an der Boerse notiert. Jobs war es auch, der Apple 1982 zum ersten PC-Unternehmen machte, das eine Milliarde Dollar Umsatz erwirtschaftete.

Apple - das war auch John Sculley. Keine Niete in Nadelstreifen, sondern ein Manager, der Coca Cola das Fuerchten gelehrt hatte, als er Pepsi zur suessesten Nummer eins der US-Industriegeschichte machte. Er verpasste Apples Manager-Riege zu den Turnschuhen Anzuege und fuehrte die Firma 1983 erstmals in den exklusiven Kreis der Fortune-500-Unternehmen ein.

Erste Massenentlassungen kratzen am Image Apples

Sculley brach 1991 ein absolutes Tabu, indem er den Intel/ DOS-Antipoden mit dem Erzrivalen IBM vermaehlte - seinerzeit eine als sensationell empfunde- ne Kehrtwende. Die Power-PC-Ueberlebensgemeinschaft mit Motorola war geboren. Eine veritable Bedrohung fuer die De-facto-Monopolisten Microsoft und Intel schien auf den Weg gebracht. Damals jubelte die Branche noch ueber das Fruehstueck zu dritt.

1993 brach sich Sculley den Hals: Da hatte er geglaubt, ein leider analphabetisch veranlagter Stiftcomputer koenne ihn zum Visionaer adeln. Den Newton stilisierte Sculley zum Paradigma einer revolutionaeren Digitalaera hoch. Geerntet hat er haemisches Gelaechter. Zu der Zeit stuerzte Apples Gewinn, der im Vorjahr 1992 noch 530 Millionen Dollar betragen hatte, auf 87 Millionen Dollar ab.

Spaetestens da ist Apple die Exotik abhanden gekommen. Michael Spindler trat die Nachfolge Sculleys an. "The Diesel", wie der Deutsche nicht unbedingt wohlwollend genannt wird, musste als erste Amtshandlung 2500 Mitarbeitern den Laufpass geben.

Es war nicht die erste Entlassungswelle gewesen bei der Computerdiva mit dem immer etwas besonderen Flair. Im Sommer 1985 kuendigte Sculley an, fast jeder Fuenfte in der Apple-Crew sei ueberzaehlig. Erstmals seit der Boerseneinfuehrung 1980 hatte Apple in einem Quartal Verluste geschrieben (17,2 Millionen Dollar).

Das war anderthalb Jahre, nachdem der Macintosh-Rechner mit einem Geschichte gewordenen Fernsehspot seine Markteinfuehrung erlebt hatte. Im Orwell-Jahr, am 22. Januar 1984, hatte Apple die IBM in einem spektakulaeren Werbejingle waehrend des Super-Bowl-Endspiels als "Grossen Bruder" der DV-Branche gebrandmarkt, sich selbst aber mit seinen zur DOS-Masse nicht konformen Produkten zum Anfuehrer des Anti-Establishments aufgeworfen.

Doch IBM-PCs rechneten schneller, der Mac wurde zunaechst ein Flop, und das Sendungsbewusstsein der Apple-Leute erhielt einen ersten Daempfer. Sculley degradierte Jobs erst zum Leiter der Macintosh-Division, dann feuerte er den charismatischen Marketier. Als er am Freitag, den 13. September 1985 - wann sonst? - Hausverbot erhielt, weinte Jobs. Sculley soll mitgeweint haben.

1990 dann mussten rund 600 Apple-Angehoerige das Unternehmen verlassen, als der Nettogewinn im ersten Fiskalquartal 1990 um elf Prozent gegenueber dem Vergleichswert von 1989 zurueckgegangen war.

Heute steht Apple vor einem Scherbenhaufen. Trotz steigender Verkaufszahlen musste das Mac-Unternehmen im ersten Quartal des laufenden Geschaeftsjahres einen Verlust von 69 Millionen Dollar hinnehmen. Weltweit verliert das Unternehmen Marktanteile, in den USA zog die IBM wieder an Apple vorbei. Die Aktie ist von rund 50 Dollar im Juni 1995 auf unter 30 Dollar gefallen. 1300 der insgesamt 14500 Mitarbeiter werden in den kommenden Wochen entlassen.

Wie einen Tritt muss der Paradiesvogel der DV-Branche das entwuerdigende Angebot von Scott McNealy aufgefasst haben, der fuer eine Uebernahme nur rund 2,8 Milliarden Dollar geboten haben soll. Nicht ganz 23 Dollar also war dem Boss der Sun Microsystems Computer Corp. (SMCC) jede der 123 Millionen am Markt kursierenden Apple-Aktien noch wert - rund 75 Cent mehr als die 22 Dollar, die man 1980 bei der Boerseneinfuehrung von Apple pro Anteil noch zahlen musste.

Und das Tal der Traenen ist noch lange nicht durchschritten. "Apple muss mindestens noch 4000 Mitarbeiter entlassen, um seine Kosten in den Griff zu bekommen", meinte ein Silicon-Valley-Insider gegenueber der CW.

Dabei, so der Branchenkenner weiter, sei Apple eindeutig die unterbewertetste Computerfirma der Szene. Bei einem Aktienkurs von 29,35 Dollar ist die Firma nur noch rund 3,6 Milliarden Dollar wert - "viel zuwenig fuer ein Unternehmen mit 11,1 Milliarden Dollar Umsatz".

Zum Vergleich: Suns Marktwert ist, bei nur 5,9 Milliarden Dollar Umsatz, mit etwa neun Milliarden Dollar weit mehr als doppelt so hoch wie der von Apple. Es waere deshalb, meinen Analysten, fuer Sun "relativ einfach", die Macintosh-Company aufzukaufen.

Wie schlecht es um das Unternehmen Apple bestellt ist, zeigt auch ein Blick auf den Verlauf der Bruttogewinnkurve - der wichtigsten Position auf der Ertragsseite der Gewinn- und Verlustrechnung eines Unternehmens. In den Jahren seit 1986 stuerzte dieser Wert, abgesehen von einem Zwischenhoch 1990, ins Bodenlose (vgl. Abb. 1).

Mit Gilbert Amelios Bestellung zum Spindler-Nachfolger scheinen die Uebernahmegeruechte zunaechst einmal verstummt zu sein, interpretieren Wall-Street-Analysten. Sie glauben, dass Apple, der stolze Einzelkaempfer, versuchen will, noch einmal alleine auf die Beine zu kommen.

Doch das Apfel-Unternehmen befindet sich in einem Teufelskreis, meint ein Insider: "Die wichtigsten Fragen lauten jetzt: Wie viele Marktanteile kann Apple noch halten? Wie viele hinzugewinnen? Und kann Apple die unbedingt noetigen harten Rationalisierungsmassnahmen verkraften?" Wuerde das Unternehmen die Haelfte seiner 14500 Mitarbeiter entlassen, koenne es durchaus auch mit einer Bruttogewinnmarge von 20 Prozent leben.

Fraglich ist jedoch, ob Apple seine Praesenz am Markt halten kann. Noch sei die installierte Basis zwar ein Pfund, mit dem sich gut wuchern lasse. Noch lebe Apple von der Staerke des Markennamens, dem guten Ruf also. Der Power-PC-Prozessor ist jedoch technologisch gesehen laengst nicht mehr die erste Wahl: Suns Ultrasparc, Digitals Alpha-Prozessor, HPs HP-PA-8000-Chip, die R10000-CPU von Mips, insbesondere aber Intels Pentium Pro geben heute den Ton an. Wie schon beim ersten Macintosh 1984 ist die Konkurrenz Apple ueberlegen. Auch der einstmals grosse Vorsprung bei der Betriebssystem- und Anwendungssoftware scheint dahin. Da helfen auch keine Stossstangenaufkleber, die reklamieren, Windows 95 sei das Mac-OS von 89.

Wenn aber Apples Marktanteil weiter sinke, wenn darueber hinaus ausgerechnet von Apple, dem Avantgardisten der DV-Branche in Sachen Technologie, keine neuen Entwicklungen mehr zu erwarten sein werden, dann, so der Branchenkenner, "sind diese Systeme tot".

In diesem Zusammenhang muss die Nachricht fatal wirken, Apple friere saemtliche Investitionen fuer Forschung und Entwicklung ein. Schon jetzt muss das Unternehmen eingestehen, dass Grosskunden verunsichert sind und ihre Kauforders vorerst zurueckstellen. Nicht verwunderlich also, dass es mit ganzseitigen Anzeigen in Tageszeitungen um Vertrauen wirbt.

Jetzt, so die Meinung einiger Marktbeobachter, bleibe dem neuen Apple-Chef Amelio nur noch zweierlei zu tun: drastisch Personal abzubauen und rigoros Apples Hard- und Software-Architektur zu oeffnen, also Lizenzrechte an Apple-Cloner zu vergeben.

Ob das reicht, Marktanteile zurueckzugewinnen, bleibt trotzdem dahingestellt. Denn Apple muss nicht nur wachsen - das hat es bisher auch schon getan.

Apple muss mindestens mit dem Wachstum der gesamten PC-Industrie mithalten - und das hat es in den vergangenen Jahren nicht geschafft.

Wollte sich Apple aber doch unter die Fittiche eines anderen Unternehmens fluechten, duerfte die Auswahl nicht besonders gross sein: Hewlett-Packard hat bereits abgewunken. Sony baut PCs mit Intel. Andere Japaner wie Hitachi oder Fujitsu duerften ob der Probleme, die Apple in Japan wegen des von ihnen selbst angezettelten moerderischen Preiskampfes hat, sehr zurueckhaltend sein.

Oracle hat gerade erst ein Abkommen mit Acorn getroffen. Ob es sich darueber hinaus fuer das reine Software-Unternehmen lohne, fuer Apple-Systeme Lizenzgebuehren zu verlangen, sei, so ein Analyst, fraglich: "Die wuerden die Hardware sofort abstossen."

Sun und Apple: ein Gespann, das passt

Dass die IBM die im Sommer 1994 wegen ueberzogener Forderungen von seiten Spindlers gescheiterten Verhandlungen noch einmal aufnehmen wird, scheint unwahrscheinlicher denn je.

Bleibt Sun. Trotz des offiziell nie bestaetigten unmoralischen Angebots von McNealy wuerden die beiden Unternehmen unuebersehbar zusammenpassen: Sun verfuegt ueber ein sehr interessantes Server-Angebot, das mit grossem Erfolg vor allem in den Wachstumsmarkt der Online-Dienste verkauft wird. Suns Host-Systeme arbeiten zudem haeufig im Pre-Press-Bereich, in dem grosse Ueberschneidungen mit Apple bestehen. Denn ueberdurchschnittlich haeufig setzen Anwender aus diesem Segment neben Sun-Servern Macintosh-Systeme als Clients ein.

Auch das hat Gruende: Apple entwickelte mit seinem Mac Software Environment (MSE) unter anderem fuer die Solaris-Plattform, was Wabi (Windows Application Binary Interface) fuer Windows sein sollte: ein guter Emulator, um Apple-Applikationen auf anderen Hardwareplattformen nutzen zu koennen. "Das funktioniert hervorragend", so Donatus Schmid von Sun Microsystems. Wer heute etwa die Office-Suite unbedingt auf einem Sun-Rechner verwenden moechte, sei mit der Mac-Version wesentlich besser beraten als mit der Microsoft-Variante.

Mit der Internet-Programmiersprache Java eroeffnet sich darueber hinaus allen unabhaengigen Softwarehaeusern, die sich mit Apple fuer eine Plattform mit nur geringem Marktanteil entscheiden mussten oder muessen haetten, die Moeglichkeit, ohne Risiko fuer Macintosh-Maschinen zu entwickeln.

Nicht unwesentlich duerfte zudem sein, dass Apples Rechner praktisch zu 100 Prozent ueber indirekte Vertriebswege an den Mann gebracht werden. Diese Kanaele sind fuer Sun sehr interessant. Bislang vertreibt der Workstation-Primus jedes zweite Sparc-System ueber Vertriebspartner. Die klare Strategie sei, so Schmid, den indirekten Kanal auf 70 Prozent auszubauen. "Apples gesamten Vertriebsweg zu ueberneh- men waere ein sehr reizvoller Aspekt."

Mit Scott McNealy besitzt Sun darueber hinaus einen Boss, der, so ein Ex-Topmanager von Apple, zu den besten der gesamten Branche zaehlt: "Scott arbeitet hart, konzentriert sich darauf, was zaehlt in dieser Industrie, und ist sehr gut organisiert. Sein Management-Stil koennte Apple sehr viel bringen."

Mit dem Absolventen der US-Elite-Universitaet Harvard wuerde sich Apple die Madonna der Computerszene einhandeln: Der 40jaehrige ist mit seinen teils krassen Aussagen immer auf Wirkung bedacht. Seine gezielten Provokationen gegen den Wettbewerb sind Legende. Nach aussen inszeniert er sich als schillernder Paradiesvogel mit brachialem Wettbewerbsgebaren. Dabei ist Sun dank McNealy all das, was Apple nicht zu sein scheint: nuechtern, sachlich und hundertprozentig an der Maxime orientiert, seine Produkte auf die Beduerfnisse des Marktes auszurichten. Jan-Bernd Meyer