Neue Ansätze sind gefragt

Das System-Management im Zeitalter des E-Commerce

16.07.1999
MÜNCHEN (jha) - Wollen Unternehmen Waren und Dienste via Web verkaufen, müssen sie neben ihren traditionellen Vertriebsmodellen neue Prozeßketten installieren. Der Nutzer von Web-Angeboten stößt nämlich im Inneren eines Unternehmens komplexe Vorgänge an, die es mit Verwaltungs-Werkzeugen zu kontrollieren gilt. Die System-Management-Anbieter haben reagiert und ihre Lösungen um E-Commerce-Komponenten erweitert.

Wer den Verkauf über das Internet ernst nimmt, muß die Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit der dahinterstehenden Systeme gewährleisten. Mit diesem nicht besonders originellen, aber durchaus zugkräftigen Argument locken derzeit die Hersteller von System-Management-Lösungen. Jeder Ausfall bedeutet Umsatzverlust. Hinzu kommt, so der Appell der Anbieter an das Gewissen der Anwender, ein kaum zu behebenden Imageschaden: Wer sich für E-Commerce entschieden hat, muß es richtig machen, denn die Konkurrenz ist nur einen Mausklick entfernt.

Über Sinn und Zweck dieser Argumentationskette läßt sich streiten. Die Einbindung von E-Commerce-Lösungen in das System-Management "ist sehr wohl ein wichtiges Thema", meint Wolfram Gries, Geschäftsführer der TPS Data AG im schweizerischen Zug. Die Klientel des Beratungshauses - überwiegend Großkunden - beschäftigt sich samt und sonders mit dem Modethema E-Commerce. Eine Integration der dafür notwendigen Komponenten in das System-Management ist unabdingbar, um den Erfolg des Online-Angebots zu sichern. Das Beispiel des Internet-Aktionshauses E-Bay mahnt: 22 Stunden waren die Server ausgefallen. Die Kunden wechselten in Scharen zur Konkurrenz.

Die Erfahrungen des Schweizer Managers Greis teilen jedoch nicht alle Berater. Ein deutscher Kollege, der hauptsächlich Banken bei System-Management-Projekten betreut, läßt an den E-Commerce-Lösungen der entsprechenden Hersteller kein gutes Haar: "Alles Marketing-Schwindel", schimpft er. Viel zu sehr seien seine Kunden damit beschäftigt, das Management ihrer altgedienten Systeme in den Griff zu bekommen. Über das Thema E-Commerce denke derzeit keiner auch nur ansatzweise nach.

Das werden Firmen aller Art jedoch bald müssen, meinen US-amerikanische Analysten. Unternehmen wie Dell und der Online-Broker Charles Schwab weisen den Weg. Der PC-Distributor Dell reduzierte mit dem Direktverkauf über das Internet seine Lagerbestände. Der Finanzdienstleister Charles Schwab richtete sich im Web erfolgreich einen völlig neuen Vertriebskanal ein. "Die wenigsten Firmen haben heute schon E-Commerce-Lösungen", bestätigt Michael Santifaller die Meinung seines bankerfahrenen Kollegen über den deutschen Markt. Doch der Geschäftsführer der Santix Software GmbH in Unterschleißheim sagt auch: "E-Commerce ist ein unabwendbarer Trend. Wer sich mit diesem Thema nicht auseinandersetzt, wird enorme Probleme bekommen."

Dabei sehen sich die Unternehmen ganz neuen Herausforderungen gegenüber. Viel schwieriger als in internen Installationen ist es, bei der Internet-Präsenz ein hohes Maß an Performance, Verfügbarkeit und Sicherheit zu gewährleisten. Auf keinen Fall darf man etwa die Kundschaft lange Antwortzeiten zumuten. Durchschnittlich acht Sekunden lassen Web-Surfer laut einer Studie von Zona Research den Anbietern Zeit, um die Web-Seite aufzubauen. Erscheint sie innerhalb dieser Zeit nicht auf dem Bildschirm, surfen sie ungeduldig von dannen.

Doch für derartige Messungen taugen die klassischen Erhebungsverfahren im System-Management nicht. Die Kunden-PCs lassen sich nicht mit Agenten bestücken. Zudem passieren die Daten Netze von verschiedenen Service-Providern. Auf den Zustand des gesamten Kommunikationsweges, vom Internet-Server bis zum Anwender, haben die Anbieter von Web-Seiten keinen Einfluß. Neue Ansätze im Applikations-Management sind also gefragt. Sie sollten dem IT-Administrator auf einen Blick Rückschluß über die Antwortzeiten von Web-Downloads geben und Schwellwertüberschreitungen melden. Die derzeitigen Angebote haben diese Anforderungen überwiegend umgesetzt, indem Verbindungen simuliert werden.

Da die Übertragungsgeschwindigkeit durch das Netz bis zum Web-Besucher jedoch kaum zu beeinflussen ist, bleibt den Web-Verantwortlichen nur die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit der eigenen Infrastruktur zu erhöhen. Dabei ist die Zielvorgabe bei der Verfügbarkeit eindeutig: 24 Stunden pro Tag sollte der Server online sein, denn im Web gibt es keine geregelten Arbeitszeiten. Die haben die eigenen IT-Mitarbeiter dagegen schon. Im Fehlerfall sollten also die Bereitschaft alarmiert und das automatische oder menügeführte Disaster-Recovery möglichst schnell eingeleitet werden.

In Sachen Performance fällt es dagegen schwerer, die Leistungsdaten zu definieren. Da das Internet alles andere als eine geschlossene Benutzergruppe ist, lassen sich Lastspitzen kaum vorhersehen. Berechnungsmodelle, mit denen ein Administrator beispielsweise das Belastungsprofil seiner Infrastruktur durch 50 SAP-R/3-Anwender recht zuverlässig einschätzen kann, haben im Web keine Gültigkeit mehr.

Die Kunst ist es, die Leistungsfähigkeit der eigenen Web-Infrastruktur so zu dimensionieren, daß keine Engpässe entstehen, die Kosten aber nicht explodieren. So macht es kaum Sinn, einen Web-Server, der in der Regel 1000 Hits pro Stunde verkraften muß, für 20000 Zugriffe in der Stunde auszulegen. Andererseits ist ein Leistungspolster für einen nicht vorhersehbaren Ansturm sinnvoll. Eine verläßliche Lösung für alle Fälle gibt es nicht. Allenfalls lassen sich mit Hilfe proaktiver Management-Werkzeuge Vorhersagen über die künftige Belastung erstellen, die auf zuvor gesammelten Leistungsdaten basieren. Da die Ergebnisse jedoch auf Erfahrungswerten beruhen, nehmen sie dem IT-Administrator nicht die Aufgabe ab, beim Aufbau einer E-Commerce-Lösung nach eigenem Gutdünken den ersten Server zu dimensionieren.

Die Kontrolle der E-Commerce-Installation durch System-Management-Lösungen beschränkt sich allerdings nicht auf Web-Server und -Applikationen sowie die für den Zugriff geöffneten gespiegelten Datenbanken. "E-Commerce zeichnet sich dadurch aus, daß auch im Inneren eines Unternehmens hochintegrierte Strukturen benötigt werden", erklärt Santifaller. Besucht ein Surfer mit Kaufabsichten eine Webpage, müssen Daten über die Angebote zur Verfügung gestellt, Lagerbestände geprüft, Aufträge bestätigt und Produkte zur Auslieferung angewiesen werden. Das Gros dieser Vorgänge sollte in Echtzeit ablaufen, denn Web-Surfer sind - wie gesagt - ungeduldig.

Eine Herausforderung ist es, dieses komplexe Geflecht an Verbindungen so aufzubauen, daß das Web-Angebot reibungslos funktioniert. Zu den unmittelbar nachgeordneten Aufgaben gehört es, die ständige Kontrolle darüber zu haben, daß die aufgesetzte Prozeßkette nicht unterbrochen wird. Hier können entweder integrierte System-Management-Lösungen helfen, die eine geschäftsorientierte Sicht auf die Abläufe bieten, oder Einzellösungen, die die beteiligten Komponenten überwachen. Integrierte Lösungen haben den Vorteil, mit einer einheitlichen Datenbasis zu arbeiten, so daß sie Zusammenhänge zwischen Fehlern und deren Ursache liefern. Speziallösungen sind in der Regel einfacher und schneller zu installieren - im Zeitalter des schnellebigen Internet kein unerhebliches Argument.