HarmonyOS

Das steckt im neuen Huawei-Betriebssystem

03.08.2021
Von 
Steffen Zellfelder ist freier Diplom-Journalist (FH) aus Bonn. Als Experte für Trends und Themen aus den Bereichen Software, Internet und Zukunftstechnologie konzentriert er sich auf die Schnittstelle zwischen Mensch und IT.
Offiziell ist das neue HarmonyOS in Deutschland zwar noch nicht zu haben, vom Entwickler Huawei sickern aber immer mehr Details und Spezifikationen durch. Was es mit dem möglicherweise revolutionären Betriebssystem auf sich hat, und was es kann, lesen Sie hier.
Harmony OS von Huawei
Harmony OS von Huawei
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Spekulationen gibt es schon seit Jahren, nun lüftete Huawei kürzlich den Vorhang und stellte das neue HarmonyOS in Version 2.0 offiziell vor: Das Betriebssystem des chinesischen Tech-Riesen soll, danach sieht alles aus, viel mehr sein, als ein einfacher Rivale für Googles etabliertes Android. Es kann mobile Geräte, Wearables und Anwendungen im Smart-Home Bereich antreiben – der gesamte Huawei-Kosmos soll damit langfristig ein einheitliches Betriebssystem erhalten. Auch Googles Fuchsia wollen die Chinesen damit wohl Konkurrenz machen. Kritiker bezeichnen die Software aus Shenzhen trotzdem als Luftnummer.

Was ist HarmonyOS?

HarmonyOS ist ein Open-Source-Betriebssystem von Huawei. Genau wie das ebenfalls hauseigene EMUI, ist es aber ein Fork: Es basiert also immer noch auf Android, sogar der gleiche Linux-Kernel wird verwendet. Lediglich bei manchen IoT-Geräten kommt es als angepasste Version des selbst entwickelten LiteOS zum Einsatz. Unter der Haube gibt es also gar nicht so viel Neues, Ambitionen sind dennoch reichlich vorhanden: Mit HarmonyOS sollen Smartphones, Tablets, Fitness-Armbänder und Smart-Home-Geräte ein einheitliches Betriebssystem erhalten. Zum einen soll der Mikrokosmos aus Huawei-Geräten damit unkompliziert zusammenarbeiten. Gleichzeitig ist Huawei damit von Service- und Software-Partnern weitgehend unabhängig, also auch weniger anfällig für mögliche Sanktionen etwa gegen das chinesische Regime. Besonders die Abhängigkeit von Google, wie sie bei anderen Custom-ROMs auf Basis von Android besteht, möchte Huawei abschütteln.


Auf welchen Geräten wird HarmonyOS laufen?

Obwohl HarmonyOS in Deutschland - anders als aktuell in China - noch nicht ohne Weiteres getestet werden kann, gibt Huawei auf der offiziellen Webseite schon manche Details preis. Dort werden auch die ersten kompatiblen Geräte vorgestellt, das sind aber momentan nur zwei Stück: Das MediaPad Pro 12.6 und die Huawei Watch 3 Pro ( im Preisvergleich). Dazu werden sich auch Mate 40 Pro, Mate 40E, Mate X2 und das Nova 8 Pro gesellen – allerdings vorerst nur in China und als 4G-Versionen. Dennoch soll Harmony OS bis Ende 2021 auf mehr als 300 Millionen Geräten laufen, vermutlich aber vorwiegend im Heimatland.


Was unterscheidet HarmonyOS von Android?

Bei der Vorstellung des neuen Betriebssystems legt Huawei viel Wert darauf, besonders jene Funktionen herauszustellen, mit denen sich die selbst geschmiedete Software von Android abgrenzen kann. Die wichtigsten Neuerungen sind:

Bessere Widgets

Mit Wischgesten über App-Symbole können Nutzer ihre Widgets im Handumdrehen selbst erstellen. Ohne Umwege, viel Gesuche und ohne zuvor eine App öffnen zu müssen, sollen Informationen und Funktionen damit besonders flott und unkompliziert verfügbar sein. Der Zugriff auf Apps und Widgets wird zudem gebündelt und der geräteübergreifende Transfer wird erleichtert.

Kontrollzentrum und leichteres Streaming

Mit einer kurzen Wischgeste kommen Nutzer bei HarmonyOS ins sogenannte Kontrollzentrum. Neben Einstellungen für das Display, die Lautstärke und Drahtlos-Verbindungen, gibt es dort auch die neue Schaltfläche „Super Device“. Damit lassen sich Geräte-Kopplungen verwalten und Audio- sowie Video-Streams steuern. Die Verbindung zu anderen Geräten mit HarmonyOS wird damit zum Kinderspiel: Auf einer Art Radarkarte ziehen wir kompatible Geräte einfach in einen Kreismittelpunkt, schon wird die Verbindung aufgebaut.

Multi-Screen-Collaboration

Diese Idee hat sich Huawei zwar nicht selbst ausgedacht, im Vergleich zu Android hat man damit aber dennoch die Nase vorn: Ein Tablet lässt sich mit dieser Funktion etwa als Zweitmonitor für einen Laptop nutzen, auch das Spiegeln der Anzeige auf mehreren Geräten ist möglich. Drag & Drop erlaubt dabei das besonders einfache Teilen von Dokumenten und Dateien.

Motion Design

Dieses Extra bringt zwar keinen direkten Funktionsvorsprung mit sich, soll aber die Handhabung verbessern und die Wahrnehmung intuitiv unterstützen. Die Bewegung von grafischen Elementen auf dem Display wird dabei dem Verhalten von Objekten in der realen, physischen Welt angepasst. Dabei spielt man wohl vor allem auf die Trägheit an: Animationen wirken tatsächlich natürlicher, ästhetischer und weniger künstlich.

Optimierte Schrift

Klingt banal, macht aber doch einen Großteil der Mensch-Maschine-Interaktion aus: Die eigens entwickelte Schrift HarmonyOS Sans verspricht klare und schnelle Lesbarkeit. Der Schrifttyp wird vom Betriebssystem zudem flexibel angepasst: Je nach Display und Anwendung werden Grauwerte, Größe und sogar die Schriftauszeichnung automatisch angepasst.

Mehr Sicherheit

Passend zum Zeitgeist, will auch Huawei beweisen, dass Sicherheit im eigenen Haus eine große Rolle spielt. So geht jede Gerätekopplung mit einer Sicherheitsprüfung einher, ein erweiterter Schutzmodus gestattet es zudem, nur garantiert risikofreie Apps auf dem verwendeten Gerät zu installieren. Dazu verfügt HarmonyOS sowohl über den Evaluation Assurance Level 4+ sowie CC EAL 5+ der Mikrokernsicherheitszertifizierung.


Kann ich HarmonyOS auf meinem Gerät installieren?

Ja, wenn Sie über ein entsprechendes Huawei-Gerät verfügen – und in China sind. Die Einführung der Software erfolgt quartalsmäßig für verschiedene Produktruppen. Ab 2022 sollen dann auch ältere Geräte wie das Mate 10, das Mate 9 und die P20-, sowie P10-Serie an die Reihe kommen - aber nach aktuellem Stand eben nur für Nutzer im Land der Mitte. Wer ein Upgrade möchte, kann sich im Huawei Club oder über die „My Huawei“-App bewerben oder sich in einem der 66 inländischen Huawei Stores anmelden. Dieses Angebot gilt aber derzeit nur in China, womöglich lässt sich das Geoblocking aber per VPN zu umgehen.


Warum macht sich Huawei die Mühe, ein eigenes Betriebssystem zu entwickeln?

Hinter diesem Schritt stehen natürlich wirtschaftliche Interessen, aber auch eine Notlage des Konzerns: Seitdem der damalige US-Präsident Donald Trump Huawei Mitte 2019 auf die sogenannte „Entity List“ setzen ließ, brach den Chinesen der Zugriff auf wichtige Handelspartner weg – nämlich alle jene, die ihren Hauptsitz in den USA haben. Darunter sind immer noch Google, Intel und Qualcomm.

War Huawei zuvor noch emsig dabei, Samsung als Smartphone-Produzenten Nr. 1 vom Thron zu stoßen, kam der ambitionierte Konzern damals etwas in die Bredouille: Obwohl die Smartphones aus Shenzhen in den USA weiter verkauft werden durften, konnte sich Huawei die Nutzung essenzieller Google-Apps, von YouTube über den Play Store bis hin zu Gmail, nicht mehr genehmigen lassen - und diese folglich auch nicht mehr nutzen. So hat man sich bei Huawei entschlossen, selbst ein unabhängiges Betriebssystem auf die Beine zu stellen – und das ist HarmonyOS 2, die Weiterentwicklung von HarmonyOS. Daran hat man scheinbar lange getüftelt: Erste Gerüchte des Vorgängers stammen noch aus dem Jahr 2012.


Wird Android bald auf allen Huawei-Geräten durch HarmonyOS ersetzt?

Dazu gibt es zwar keine klare Aussage seitens Huawei, die firmeneigene Dokumentation und das Marketing rund um HarmonyOS lassen aber vermuten, dass es als vollständiger End-to-End-Ersatz für Android auf Huaweis Smartphones und Tablets dienen soll. Im aktuellen Entwicklungsstadium sind aber noch viele Parallelen zu Android festzustellen, insbesondere zu Version 10. Auch die bereits vorgestellten Elemente von HarmonyOS erinnern zum Teil noch sehr an EMUI mit einigen neuen ästhetischen Schnörkeleien.


Werden Android-Apps auf HarmonyOS laufen?

Ja. Beziehungsweise im gleichen Maße, wie auf den aktuellen Android- bzw. EMUI-Geräten von Huawei. Das heißt, dass alle Apps, die nicht auf die Googles Mobile Services angewiesen sind, problemlos laufen sollten. HarmonyOS verwendet zudem den gleichen App-Store, den Huawei für Android eingeführt hat. In ersten Tests liefen viele Apps problemlos auf dem neuen System, darunter Instagram, Netflix und Disney+. Schlechte Karten haben aber wohl zumindest derzeit jene Apps, die sich auf die Google Mobile Services zur Authentifizierung oder Datensynchronisierung verlassen. Dazu gehören etwa Todoist und Zero. Also eigentlich die gleichen, die auf neueren Huawei-Android-Geräten auch nicht lauffähig sind.