Das Software-Dilemma bei den Minicomputern

06.02.1976

Dipl.-Kfm. Manfred Bues, Professor für Wirtschaftsinformatik Fachhochschule Furtwangen

Zweifellos sind Mini-Computer im Hinblick auf ihre durch die Technologie bedingten Fähigkeiten in der Lage, ganz neue Anwendergruppen zu erschließen. Begründung: Die Minis bieten in der Preisklasse von größeren MDT-Anlagen den Komfort und die Leistungsbreite von großen EDV-Anlagen. Schnellste Prozessoren mit Hauptspeichern bis zum 500K-Bereich, und vielfältige Möglichkeiten auf der Peripherieseite sind die hervorstechendsten Merkmale im Vergleich zur MDT. Aber auch in der System-Software bieten die Minis einen Komfort, den man in der Vergangenheit nur bei größeren Anlagen der "großen EDV" erwarten durfte. Es sei hier nur an die Multi-User-Dialog-Betriebssysteme erinnert.

Von diesen Merkmalen ausgehend erscheint die überaus optimistische Markteinschätzung (man hört von 100 000 bis 200 000 zu erwartenden Neuinstallationen während der nächsten fünf Jahre) gar nicht einmal so unbegründet. Doch bekanntlich sind Hardware und System-Software die eine Seite der Medaille, deren Kehrseite "Anwender-Software" heißt. Der Markterfolg der Minis wird maßgeblich davon abhängen, inwieweit es gelingt, das hervorragende Preis-Leistungsverhältnis in der Hardware auch in der Anwendungssoftware durchzusetzen.

Aufrollen neuer Märkte

An einem Beispiel sei verdeutlicht, inwiefern dieser neue Markt für die Hersteller ganz neue Bedingungen mit sich bringt: Ein Mini, mit 64KB-Hauptspeicher, 2 x 2,7 Mio Plattenkapazität, zwei Bildschirmen und der erforderlichen Papierperipherie kostet 120 000 bis 150 000 Mark. Das entspricht bei einer geschätzten Nutzungsdauer von acht Jahren einem monatlichen Betrag für den Kapitaldienst von etwa 1800 Mark. Einschließlich Wartung werden die monatlichen Belastungen unter der 3000-DM-Grenze bleiben. Dies muß als ein Wert angesehen werden, der tatsächlich so attraktiv ist, daß Computer in dieser Preis-Leistungsklasse einen bisher unerschlossenen Markt aufrollen können.

Das Aufrollen des Marktes von den Minis wird allerdings nur stattfinden, wenn dieser Betrag von 3000 Mark/Monat durch die Anwendungssoftware nicht um mehrere Klassen nach oben verschoben wird. Das wiederum bedeutet den weitgehenden Verzicht auf Individuallösungen und den Zwang zu Standardlösungen!

"Standardlösungen" zwingen vielen potentiellen Anwendern die Assoziation von der organisatorischen Vergewaltigung auf. Derartige Vorstellungen sind durch bestimmte Standard-Anwendungsprogramme der MDT-Hersteller begünstigt worden. Die moderne Hardware-Technologie der Minis sollte auf der Softwareseite ihr Pendant finden! Konkret bedeutet das: Anwendungssysteme als Super-Set, aus dem die Individuallösungen vollmaschinell generiert werden. Es gibt Beweise, daß so etwas zu wirtschaftlichen Bedingungen machbar ist. Derartige Super-Software mit traditionellen Methoden zu produzieren, kann nur bedeuten, daß die Herstellungskosten Größenordnungen erreichen, die nur zu einem Bruchteil im Preis an den Mini-Anwender weitergegeben werden können. Folge: Viele Mini-Hersteller scheuen sich vor einem derartigen Software-Engagement. Die Lage ist aber keineswegs hoffnungslos: Das "Software-Engineering" hat mittlerweile Wege gezeigt, die durchaus erfolgversprechend sind, Anwendungssysteme zu günstigen wirtschaftlichen Bedingungen zu produzieren.

Man darf sich aber keinen Illusionen hingeben: Mit vorgefertigten Anwendungssystemen werden sich in absehbarer Zeit nur traditionelle Anwendungsgebiete abdecken lassen. Bei jedem Kunden wird eine Restmenge von Aufgaben verbleiben, die nach wie vor ganz individuell gelöst werden muß. Und auch hier gilt es, sich einer neuen Herausforderung zu stellen: Werden derartige kundenindividuelle Lösungen mit den herkömmlichen Methoden erstellt, so werden die Preis-Leistungsvorteile der Mini-Hardware dahinschmelzen.

Software-Engineering kann Abhilfe schaffen

Es sei zum Schluß die Aufstellung einer Faustformel gewagt: 6000 Mark Monatsaufwand für Hard- plus Software könnte eine Schallmauer darstellen, an der der prognostizierte Erfolg der Minis zerbricht. Bei den eingangs genannten 3000 Mark für die Hardware blieben dann noch 3000 Mark für die Software. Teilen wir den letzteren Betrag einmal 50:50 für "Schubladenlösung: Individuallösung" auf, so bleiben 1500 Mark Monatsaufwahl für die Individuallösungen. Die Herausforderung, die von den Minis an das Software-Engineering gestellt wird, tritt hier deutlich hervor. Eine abschließende Bemerkung: Die kundenindividuellen Lösungen lassen sich erheblich reduzieren, wenn "Branchenpakete" entwickelt werden. Viele Branchen bieten den Computerherstellern allerdings kein genügendes Absatzpotential, um die Entwicklungskosten für ein solches Paket wirtschaftlich zu rechtfertigen! Hier müssen die Branchen Eigeninitiative entwickeln: Eine Herausforderung für die Fachverbinde?!