Das Produkt ist die Lösung - oder: Beratung ist, wenn ...

12.02.1988

In vielen Anwendungsbereichen der digitalen Technik kann man sich kaum noch eindeutig vorstellen, was gemeint ist, wenn häufig benutzte Worte aufgegriffen werden.

Beratung etwa ist so ein Schlagwort. Was fällt uns dazu ein? Beratung muß wohl auf Individuen ausgerichtet sein, wenn man anderes als Propaganda bieten will. Beratung bedeutet zunächst, daß jemand etwas erhalten oder erfahren soll - und die Beratung soll schließlich erkennbare Vorteile anbieten oder bleibenden Nutzen ermöglichen. Sie kann nicht ohne Vorbereitung erfolgen. Unter Umständen ist erst methodische Einsichtnahme erforderlich, wenn schließlich Ratschläge sachbezogen und praktikabel sein sollen.

In manchen Fällen kann Beratung für den Interessenten oder Abnehmer zu schmerzlichen Erkenntnissen führen. Was von dem einen als vorteilhafte Entwicklung gesehen wird, kann von einem anderen als unangenehme oder beängstigende Veränderung betrachtet werden. Dies gilt vor allem dann, wenn durch die empfohlenen betrieblichen Veränderungen auch wesentliche persönliche Belange betroffen sein werden. Es fällt den meisten Menschen eben nicht leicht, sich zu ändern.

Deshalb ist es zu begrüßen, wenn der Betroffene den Berater von vornherein als Partner bei einem Geschehen betrachtet, in das er selbst kreativ und konstruktiv wirkend einbezogen sein muß. Damit wird Beratung der positiven Gestaltung und Entwicklung dienen, auch wenn damit zuweilen schmerzliche Erkenntnisse verbunden sein sollten. Vor allem aber dürfte nur auf diese Weise sicherzustellen sein, daß langfristig Mündigkeit bei der Problembewältigung bewahrt bleibt. Wer nun glaubt, daß landauf und landab Berater in diesem Sinne Dienstleistungen erbringen, der liegt nicht ganz richtig. Ganz besonders gilt dies für die Problembereiche Anregungen zur methodischen Zielfindung, Empfehlungen für globale betriebliche Entwicklungen, sachbezogene Unterstützung zur Gewinnung von Einsichten, weiterhin Hilfen für die Nutzung spezifischer Erfahrungen, Anstöße zur Beseitigung von Engpässen und Mängeln, Muster neuer Darstellungsformen, aber auch für die konkreten Vorschläge zur Überwindung organisatorischer Schwächen oder Impulse zur Realisierung flexibler Abläufe.

Angesichts der aktuellen Produktvielfalt, der erkennbaren Unsicherheiten vieler Anwender, der rigorosen Methoden der Hersteller um Marktanteile, der wirtschaftlichen Verkettungen und der gesellschaftspolitischen Fragestellungen ist die Frage schon berechtigt: Wo stehen denn die Berater? Schauen wir uns um, und machen wir ein paar Schnappschüsse: Ein Teil der Berater beklagt wiederholt, daß es leider noch sehr viele Manager gibt, die keinen PC auf dem Schreibtisch haben. Sind das etwa jene Externe, die sich profi(t)mäßig Management Consultant nennen?

Andere Berater würden gern über viel Kapital verfügen; damit wären sie endlich als Sozius für einen der großen Hersteller, das heißt als dessen verlängerter Vertriebsarm, interessant. Sie verfügen nämlich nicht über ein Softwarepaket, das zu jener Marktlücke paßt, die vom Hersteller für Zusammenspiel und Umsatz angepeilt wird.

Aber wer tut eigentlich was? Für wen arbeitet eigentlich der

"Unternehmensberater" - für das Unternehmen an der Ecke, den kleinen Einzelhändler oder für den Konzern im benachbarten Stadtteil?

Ein Münchner Unternehmensberater teilt Führungskräften im zweitägigen Seminar mit, was sie als Manager über DV wissen müssen. So einfach ist das. Aber das wissen wir ja schon, spätestens seit der Fernsehwerbung des besonders großen Herstellers: Alles ist kinderleicht, wenn man nur den richtigen Computer hat. Es ist demzufolge nur noch wichtig, richtig einzukaufen, Das Produkt ist die Lösung!

Beim richtigen Einkauf sind ja Verkaufsberater behilflich. Zum qualifizierten Junior-Verkäufer DV ist jemand möglicherweise durch ein zweiwöchiges Seminar eines Heidelberger Institutes geworden, wobei er mit Grundlagen der Datenverarbeitung nur an zweieinhalb Tagen behelligt wurde.

Im Spannungsfeld zwischen Produktvorankündigungen, fehlender Kompatibilität und Schnittstellen-Wirrwarr wurde vielen Leuten von ihrem Arbeitgeber die Berufsbezeichnung "Systemberater" verliehen. Sie sind aber in der Regel kaum beratend tätig, weil ihnen die zu erbringenden Programmierleistungen im Kampf um eine termingerechte Fertigstellung von schlecht konzipierten Funktionskomplexen dazu keine Zeit lassen. Eine zu gute Beratung könnte außerdem auch Folgeaufträge gefährden.

Mitunter kommen einem die Argumente von recht hoch dotierten Beratern sehr bekannt vor, als hätte man sie schon irgendwo in einer Werbeschrift gelesen. Die Aussagen sind ziemlich allgemein gefaßt und bieten damit große Auslegungsspielräume, fast so wie politische Programme. Damit können derartige Darstellungen für nachträgliche Rechtfertigungen von großem Nutzen sein - jedenfalls mehr als eigene Zweifel beziehungsweise Befürchtungen von kritischen Stimmen.

Solche Momentaufnahmen der Beratungssituation machen nachdenklich und lassen viele Schlüsse zu. Es wäre jedoch falsch, mit bösem Blick den Zeigefinger einfach auf "die Berater" zu richten. Argumente, die ursprünglich von Anbietern der Massenprodukte "Computer" stammen, bestimmen heute weltweit die Aussagen über unsere privaten und betrieblichen Bedürfnisse.

Da "gemachte" Bedürfnisse nicht identisch sind mit realen Anforderungen am jeweiligen möglichen Einsatzort der Produkte, ergeben sich ständig neue Widersprüche, Kuriositäten, Mängel und Ärgernisse. Dies gilt auch für die "schillernden Verhältnisse", mit Blick auf den Berater. Das ist nicht so gut.

Die Verbreitung des Bewußtseins, wie komplex das irdische Geschehen ist - auch im wirtschaftlichen Bereich - , nimmt zu. Doch leider wirken überall auch die großen Vereinfacher, um Produkte an den Mann zu bringen. Unter diesen Gegebenheiten bestehen zwischen den Technologieanbietern, den Anwendern und den Beratern Wechselwirkungen, die teilweise zu absurden Ergebnissen führen. Das fällt solange nicht - oder nur weniger - auf, wie wirtschaftliche Erfolge nachzuweisen sind oder Katastrophen ausbleiben.

Bereinigung tut not. Standortbestimmungen und Leistungsabgrenzungen sind erforderlich, damit zukünftig der betroffene Anwender nicht erst als letzter erkennen kann, welche Dienstleistungen bei seinen Problemen zur Bewältigung oder Entwicklung beitragen können und wo sie bedarfsgerecht angeboten werden. Man kann aber auch sagen, daß Manager meist jene Berater finden, welche sie verdient haben. Mit dem Glauben allein an große Namen, große Worte, bestimmte Produkte oder das, was andere machen, kann man Betriebe nicht zukunftsweisend gestalten.

Es bleibt zu vermuten, daß die wirkungsvollen Impulse zur Verbesserung der Wechselwirkungen zwischen Herstellern, Anwendern und Beratern wohl nur von den Unternehmern und Managern auf der Anwenderseite ausgehen können. Die Erwartungshaltungen müssen dort stärker den komplexen betrieblichen Aufgabenstellungen gerecht werden. Der fromme Wunsch: "Irgendwann müssen die Spezialisten das doch zum Laufen bringen" oder der Gedanke: "Ein Hersteller mit dem Namen bedeutet bestimmt eine gute Lösung" werden komplexen Herausforderungen leider nicht gerecht. Da kann das Fernsehen - oder manche (Fach-)Zeitschrift - noch so viele schöne Bilder und Geschichten aus der bunten Computerwelt bringen.