Investitionssicherung bei bestehenden DV-Systemen

Das Problem: Dem Unternehmen fehlt oft die Kostentransparenz

29.05.1992

Die DV-Kosten nehmen einen immer größeren Anteil am Gesamtbudget eines Unternehmens ein. Albert Karer * geht auf einen wichtigen Aspekt der Investitionsplanung ein, nämlich auf die Investitionssicherung bei bestehenden DV-Systemen, und stellt dazu ein Planungs- und Steuerungsinstrument vor.

In den Anfangsjahren der Informationsverarbeitung lagen die Kostenschwerpunkt in der Hardwarebeschaffung. Heute und zukünftig verstärkt befindet sich der Kostenschwerpunkt im Bereich der Software-Entwicklung. Die Gründe sind zum einen der in den 80er Jahren beginnende Preisverfall im Hardwarebereich und zum anderen der steigende Bedarf an Software, deren Entwicklungskosten hauptsächlich den dafür benötigten hohen Personalkosten entsprechen.

Damit stellt sich für das Management das Problem der Steuerung von DV-Budgets. Hierfür notwendige Planungs- und Steuerungsinstrumente sind nur rudimentär oder noch gar nicht vorhanden. Die Unternehmungsleitung fordert von der Informatik immer mehr Kostentransparenz und entsprechende Kalkulationsgrundlagen, die es ihr ermöglichen, auch ohne die fachliche Materie zu kennen, ihren Aufgaben nachzukommen. Themen, die in diesem Zusammenhang heute das Management interessieren sind:

- Projekt-Controlling,

- Qualitätssicherung,

- Einsatz von Standardsoftware (statt Eigenentwicklung),

- Outsourcing,

- Sicherung der Investitionen bei den bestehenden DV-Systemen.

In den meisten Unternehmen mit langjähriger DV-Erfahrung beanspruchen die bestehenden Systeme einen Großteil des Budgets. Existierende Lösungen müssen unterhalten, auf "neue Techniken" migriert und funktional erweitert werden.

Analysiert man den heutigen Prozeß der Budgetdefinition und Verteilung für bestehende Softwaresysteme, kann man diesen Prozeß in etwa wie folgt zusammenfassen:

- Die jeweiligen Projektverantwortlichen - Projekt im Sinne eines einzelnen DV-Systems

- schätzen den Bedarf für das folgende Jahr. Wie diese Schätzung zustande kommt, ist in vielen Fällen schwer nachvollziehbar und somit für das Management nicht transparent.

- In den anschließenden Budgetsitzungen müssen die Verantwortlichen einzelne Anträge begründen. Bei der Bildung des Gesamt-DV-Budgets erfolgen die Entscheidungen oftmals nach sachfremden Kriterien.

- Dies liegt in der fehlenden Kostentransparenz der einzelnen Anträge. Das Entscheidungsgremium ist abhängig vom Fachwissen des Projektverantwortlichen und seinen Argumenten.

Werden DV-Systeme als Produkte betrachtet, von denen der Erfolg des Unternehmens abhängt, lassen sich diese Fragen nur auf höchster Management-Ebene beantworten. Denn hier wird die Produktstrategie des Unternehmens definiert. In dem oben geschilderten Fall sind die mittel- bis langfristigen Ziele, also die strategischen Ausrichtungen des Unternehmens, nicht berücksichtigt. Sogar die Verantwortung hierfür wird auf eine tiefere Ebene, im Extremfall bis auf Gruppenleiterebene, verlagert, in der die strategischen Ziele der Firma in ihrer Gesamtheit nicht bekannt sind. In der Praxis passiert es deshalb auch heute noch häufig, daß ein Betrieb in einem Jahr hohe Beträge in Systeme investiert und sie im Folgejahr aus der Produktion nimmt.

Je größer die Anzahl der DV-Systeme in einem Unternehmen, desto ausgeprägter ist die geschilderte Problematik. Die für das Management relevanten Fragen, in welche Systeme zu investieren ist und welchen Nutzen sie dem Unternehmen bringen, werden in der Regel gar nicht oder nur unbefriedigend beantwortet.

Für die Priorisierung von DV-Systemen existieren verschiedene Methoden. Das hier vorgestellte Instrumentarium basiert auf der Portfolio-Methode. Es besteht aus drei Komponenten:

- Handlungsbedarfs-Analyse,

- Prioritätsanalyse,

- Simulationsanalyse.

Die Handlungsbedarfs-Analyse sichert die Kostentransparenz und ermöglicht die gezielte Planung zur Steigerung der Systemqualität. Sie ist der arbeitsaufwendigste Teil, da hier jedes DV-System auf seine Qualität hin untersucht wird. Dabei bestimmen die zwei Faktoren technische Softwarequalität und Benutzerakzeptanz die Qualität. Die technische Softwarequalität gibt Auskunft über den Zustand der Software und des dazugehörigen Umfeldes.

Die Benutzerakzeptanz entspricht einer zweiten Qualitätssicht. Diese ist meist kritischer und ehrlicher als die Sicht der Software-Entwickler. Eine hohe Benutzerakzeptanz haben Systeme, die zum Beispiel folgende Bedingungen erfüllen:

- keine oder sehr seltene Produktionsunterbrechungen,

- sehr geringe Fehlerwahrscheinlichkeit bei den produzierten Ergebnissen,

- rasche Realisierung neuer Funktionen,

- standardisierte, auf den Benutzer abgestimmte Benutzeroberfläche,

- gute, aktuelle und auch für den DV-Laien verständliche Benutzerdokumentation.

Die Gegenüberstellung der genannten Qualitätssichten ermöglicht eine differenzierte Qualifizierung der DV-Systeme(Abbildung 1).

Für jedes sich in der Produktion befindliche DV-System wird eine Handlungsbedarfs-Analyse durchgeführt. Die Durchführung der Analyse erfolgt in drei Schritten.

- Ermittlung der Benutzerakzeptanz: Sie wird zum einen direkt durch die Befragung des Benutzers, zum anderen durch die Auswertung festgelegter Kriterien ermittelt. Dazu gehört zum Beispiel die Überprüfung von Unterlagen auf Aktualität, Verständlichkeit, Richtigkeit etc. oder auch die kritische Prüfung der User-Interfaces auf Standardisierung, Verständlichkeit, Fehlerrobustheit sowie die Ermittlung von durchschnittlichen Realisierungszeiten neuer Funktionen. Zusammengefaßt werden alle Schwachstellen des Systems aus der Benutzersicht ermittelt. Je größer die Anzahl und je gravierender die Auswirkungen dieser Schwachstellen auf die Arbeit sind, desto geringer wird die Benutzerakzeptanz eingestuft.

- Die Ergebnisse dieses Prozesses sind:

- Klassifizierung der Benutzerakzeptanz,

- Liste der Schwachstellen des Systems aus der Sicht des Benutzers,

- pro Schwachstelle die notwendigen Aktionen zwecks Beseitigung dieser Schwachstellen.

Auch bei der Ermittlung der technischen Softwarequalität erfolgt eine systematische Schwachstellenanalyse auf der Basis eines Kriterienkatalogs und durch Interviews einzelner Software-Entwickler.

Wichtig ist hier, daß dieser Schritt erst nach der Bestimmung der Benutzerakzeptanz durchgeführt wird, da sich dort bereits erste Hinweise auf Probleme im Bereich der Software-Entwicklung ermitteln lassen.

Die Ergebnisse dieses Prozesses sind:

- Klassifizierung der technischen Softwarequalität,

- Liste der Schwachstellen, die auf dem Software-Entwicklungsprozeß beziehungsweise dem Umfeld basieren,

- Vorbereitung zur Beseitigung der Schwachstellen.

Pro System erstellt das Unternehmen jeweils zwei Schwachstellenlisten, die auch die notwendigen Aktionen zur Beseitigung der Fehler enthalten. Für jede Aktion wird nun der Aufwand geschätzt und deren Auswirkung auf die technische Softwarequalität sowie die Benutzerakzeptanz ermittelt.

Auf der Basis dieser Informationen sind nun alle für ein System durchzuführenden Aktivitäten inklusive einer ersten Kostenschätzung vorhanden. Damit sind alle Kostenfaktoren transparent.

Über die Gesamtheit aller analysierten Projekte lassen sich auch Schwachstellen finden. Sie verbessern bei ihrer Beseitigung die Qualität aller oder mehrerer DV-Systeme und sind aus diesem Grunde separat zu betrachten. Das Unternehmen muß die Kosten hierfür getrennt berücksichtigen oder auf alle betroffenen Systeme verteilen.

Die Ergebnisse der Handlungsbedarfs-Analyse (Abbildung 9) machen keine direkte Aussage über die Prioritäten, mit der die einzelnen Schwachstellen eines einzelnen DV-Systems zu beseitigen sind. Im Falle einer technischen Applikation, zum Beispiel zur Steuerung einer Maschine, haben vermutlich alle Aktivitäten, welche die "technische Softwarequalität" verbessern, eine höhere Priorität. Bei Online-Applikationen mit einem großen Benutzerkreis sind Aktionen, welche die Benutzerakzeptanz erhöhen, wichtiger.

Die Festlegung der Prioritäten für die notwendigen Aktivitäten des einzelnen DV-Systems können durchaus auf Projektebene, zwischen Software-Entwickler und Benutzer, definiert werden.

Bei der Aufteilung des Gesamtbudgets auf mehrere DV-Systeme ist es dagegen wesentlich wichtiger zu wissen, mit welcher Priorität die einzelnen Systeme zu berücksichtigen sind.

Davon ausgehend, daß jedes System jeweils die höchste Qualitätsebene (Abbildung 1, Quadrant HH) erreichen sollte, könnte man die Priorität direkt über die Qualitätsbeurteilung ableiten. Das heißt, das System mit der schlechtesten Bewertung (in der Abbildung 1 das System A) hätte die höchste Priorität.

Damit ist allerdings nicht sichergestellt, daß dieses System auch gleichzeitig einen hohen Stellenwert für die Ziele der Unternehmen einnimmt.

Die Handlungsbedarfs-Analyse macht die Schwachstellen sichtbar und ermöglicht, die Kosten für die geplanten beziehungsweise notwendigen Aktivitäten transparent zu machen. Welche Bedeutung das System für das Unternehmen zum jetzigen Zeitpunkt und vor allem zukünftig hat, ist aus dieser Analyse nicht ersichtlich. Aus diesem Grunde muß das Unternehmen eine separate Prioritätsanalyse durchfuhren.

Mit der Prioritätsanalyse lassen sich für die einzelnen Systeme deren Priorität für die Budgetvergabe ermitteln, Hierzu wird ein neues Portfolio-Raster gebildet (Abbildung 3). Die Ergebnisse der Handlungsbedarfs-Analyse geben Aufschluß über die Qualität des DV-Systems.

Die Einschätzung der strategischen Bedeutung eines DV-Systems erfolgt durch das Management. Natürlich ist diese subjektiv, allerdings im besten Fall durch Marktstudien, absehbare Entwicklungen oder vorhandene Erfahrungswerte abgesichert. Im Sinne der Prioritätsanalyse kommt es lediglich darauf an, welche strategische Bedeutung die einzelnen DV-Systeme aus der Sicht der Unternehmung zum Zeitpunkt der Analyse und in der nahen Zukunft (zum Beispiel drei Jahre) für diese haben.

Das Ergebnis einer Prioritätsanalyse ist in der Abbildung 3 dargestellt. Die Zuordnung der Prioritäten erfolgt nach dem in der Tabelle definierten Schlüssel.

Auf der Basis der Daten aus der Handlungsbedarfs-Analyse und der Prioritätsanalyse lassen sich über die Simulationsanalyse verschiedene Budgetszenarien simulieren.

Die Simulationsanalyse (Abbildung 4) macht die Folgen der Budgetverteilung transparent, das heißt, es wird ersichtlich, wie sich die Investitionen auf die Qualität der einzelnen DV-Systeme auswirken.

Durch die Realisierung einer in der Handlungsbedarfs-Analyse ermittelten Aktivität erfolgt eine Verbesserung der technischen Softwarequalität und/oder der Benutzerakzeptanz, also eine Verbesserung der Systemqualität an sich. Je nach Verteilung des zur Verfügung stehenden Budgets können die einzelnen DV-Systeme in ihrer Qualität steigen beziehungsweise sinken.