"Das Potenzial von IT wird zurzeit wiederentdeckt"

24.03.2005
Mit Jürgen Gallmann, Deutschland-Chef von Microsoft, sprach CW-Redakteur Christoph Witte über ERP und die Groove-Übernahme.

CW: Wie beurteilen Sie die Stimmung in der deutschen IT-Szene?

Gallmann: Ich spüre wieder mehr Neugier. Die Leute entwickeln langsam wieder einen Blick für das Potenzial von Technologie. Und das ermutigt mich. Das lag auch auf der CeBIT in der Luft: Es sind zwar insgesamt etwas weniger Besucher gekommen, aber uns erschienen sie höher qualifiziert, besser vorbereitet und vor allem investitionsbereiter als in den Vorjahren.

CW: Was hat Microsoft im Public-Sektor vor? Wenn man böse wäre, könnte man unterstellen, Sie schließen laufend Rahmenverträge mit Landesregierungen, damit sich der Linux-Fall München nicht wiederholt.

Gallmann: Diese Kooperationsverträge haben wir entwickelt, weil wir damit den Bedürfnissen der Länder entgegenkommen. Da geht es ja nicht nur um den Verkauf von Betriebssystemen oder Applikationen, sondern auch darum, was Microsoft zum Beispiel in Sachen Weiterbildung oder speziellen Projekten tun kann, um dem jeweiligen Standort zu helfen. Und das kommt einfach gut an. Aber das ist kein spezieller programmatischer Ansatz, sondern etwas, das aus unseren Diskussionen mit der öffentlichen Hand entstanden ist.

CW: Stichwort Microsoft Business Solutions: Microsoft hat angekündigt, jetzt eher den evolutionären Weg als den revolutionären zu gehen. Axapta, Navision, Great Plains, Solomon und Microsoft CRM sollen kontinuierlich weiterentwickelt und bis 2008 auf eine gemeinsame Codebasis gestellt werden, so dass Module aus unterschiedlichen Produkten miteinander kombiniert werden können. Haben Sie sich mit dem Project Green, das eine von den Vorgängern unabhängige Neuentwicklung vorsah, verhoben?

Gallmann: Der Schritt war für unsere Kunden zu groß. Zugleich haben sie uns gesagt, dass sie die Basisfunktionen früher wollten und nicht erst 2012. Außerdem wollten sie eher evolutionär mitgenommen als revolutionär mit einem ganz neuen Produkt konfrontiert werden. Wir haben jetzt angekündigt, dass wir 2006 für alle vier Produkte eine einheitliche Benutzerschnittstelle haben werden. Dahinter liegen weiterhin die unterschiedlichen Funktionen der jeweiligen Produkte. Voraussichtlich ab 2008 haben wir die bisherigen Module der einzelnen Projekte in Business-Objekte gewandelt, die man dann individuell kombinieren kann. Wir wollen das so anbieten, dass der Anwender keinen harten Schnitt machen muss, sondern nach und nach in diese Thematik einsteigen kann.

Da die bisherigen Produkte schon sehr gute Funktionalität bieten, ist der Entwicklungsbedarf nicht so groß. Wir müssen die infrastrukturelle Komponente voranbringen, performanter, flexibler und leichter administrierbar machen.

CW: Das heißt, der Anwender kann dann in die gegebene Infrastruktur die verschiedenen Module frei kombinieren. Heißt das auch, dass es ab 2008 zum Beispiel nur noch ein Buchhaltungsmodul gibt und nicht mehr vier wie heute?

Gallmann: Ja, so sieht die Planung aus. Auch was das Thema Lizenzen betrifft, geben wir den Anbietern die Möglichkeit, relativ einfach einzusteigen.

CW: Ähnelt Ihr Konzept ein bisschen dem, was SAP mit der "Business Process Platform" anbietet.

Gallmann: Möglicherweise. Wir kommen aus unterschiedlichen Welten, aber es gibt in der modernen Softwareentwicklung einfach ein paar allgemein gültige Erkenntnisse, wie man am besten Komplexität reduziert und Schnelligkeit sowie Skalierbarkeit erhöht.

CW: Ein Wort noch zu Groove Networks.

Gallmann: Diese Übernahme hat einige erstaunt, oder? (lacht) Für uns ist es natürlich toll, so eine Persönlichkeit wie den Notes-Erfinder Ray Ozzie als Chief Technology Officer in unseren Reihen zu haben. Das unterstreicht, dass Microsoft eine Collaboration-Strategie verfolgt, die selbst für einen Guru auf dem Gebiet interessant genug ist, um bei uns einzusteigen.