An der Schwelle zu einer neuen Windows-Generation

Das neue Windows: Alles, nichts - oder?

30.09.2014
Von 
Axel Oppermann beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Social Enterprise, Cloud Computing und Microsoft hineinfällt. Axel schreibt auf Computerwoche als Experte zu den Themen Enterprise Cloud, Digital Enterprise und dem IT-Lieferanten Microsoft. Als IT-Analyst berät er Anwender bei der Planung und Umsetzung ihrer IT-Strategien. Axel ist Geschäftsführer des Beratungs- und Analystenhaus Avispador aus Kassel. Normal 0 21 false false false DE X-NONE X-NONE
Offiziell ist noch nichts bestätigt: Weder der konkrete Name, noch Informationen über neue Funktionen oder etwa der Zeitpunkt, wann das neue Windows verfügbar sein wird. Dennoch – oder gerade deswegen – richten sich die Augen der IT-Welt am heutigen Dienstag nach San Francisco.

Microsoft stellt dort erstmals die nächste Version seiner Betriebssystem-Ikone Windows vor. Es kann davon ausgegangen werden, dass Microsoft den Fokus der Ausführungen eher Richtung strategische Entwicklung legen wird als technische Finessen zu präsentierten. Adressiert werden Unternehmenskunden; Privatanwender kommen aber mit der neuen Generation auch auf ihre Rechnung.

Es scheint so, als hätten sich viele Anwender von PCs innerlich noch nicht so richtig vom C64, dem Walkman, ihrem Lamy-Füller oder dem Netzhemd getrennt. Dies könnte erklären, warum kollektiv hyperventiliert wird, wenn der eine oder andere Knopf im Betriebssystem Windows von Microsoft an einem anderen Ort zu finden ist, oder plötzlich - quasi ganz unerwartet und überraschend - eine andere Farbe hat. So war es seinerzeit bei der Umstellung der 2000er Betriebssystemgeneration auf Windows XP; so war es auch vor knapp zwei Jahren bei der Markteinführung von Windows 8. Das Leidige daran ist, dass sich die Diskussion in erster Linie gar nicht um die eigentliche Leistungsfähigkeit dreht, sondern vielmehr Kleinigkeiten in der Optik oder Bedienerführung groß geredet werden. Von daher wird also in der Breite, nie aber auf der Höhe realer Probleme über Windows 8 diskutiert. Die Folge: Windows 8 wurde zu einer Totgeburt.

Zu bunt - zu unübersichtlich - und überhaupt . . . Windows 8 wurde von einem Großteil der Anwendergemeinde nicht gerade mit offenen Armen empfangen.
Zu bunt - zu unübersichtlich - und überhaupt . . . Windows 8 wurde von einem Großteil der Anwendergemeinde nicht gerade mit offenen Armen empfangen.

Das war Windows 8

Während XP, Vista und sogar Windows 7 Betriebssysteme des späten 20ten Jahrhunderts waren, sollte Windows 8 der Grundstein für etwas Neues, etwas Zukunftsweisendes sein. Falsch gedacht! Dabei war die Aufgabe für das im Oktober 2012 erschienene Betriebssystem klar definiert: Windows 8 sollte eine "Brückenversion" zwischen der alten Microsoft-Betriebssystemwelt und den neuen Anforderungen und Nutzungsgewohnheiten der Anwender werden. Es sollte auf der Clientseite die Brücke zur Cloud schlagen. Und es sollte auf einer Vielzahl von unterschiedlichen Geräte-Konfigurationen lauffähig sein: unter anderem auf Desktops, Notebooks, Tablets und eventuell sogar auf Smartphones. Dabei war angedacht, dass Windows 8 über ein einheitliches User Interface verfügt. Microsoft wollte den Anwendern, egal ob im privaten oder geschäftlichen Umfeld, durchweg eine einheitliche und einfache Umgebung bereitstellen.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, waren Veränderungen unabdingbar. Windows 8 sollte sowohl auf den "klassischen" x86-Prozessoren von Intel und AMD laufen - also diejenigen Prozessoren, die heute überwiegend in PCs verbaut werden. Ebenso sollte es auf Lösungen basierend auf der ARM-Architektur und System-on-a-Chip-Systemen (SoC) bereit stehen. Vom Prinzip her wurden diese Anforderungen auch erfüllt. Zumindest nahezu: Mit einiger Verspätung kamen zahlreiche Geräte auf den Markt, die teilweise ganz neue Formen der Interaktion zuließen. Höhepunkt ist in dieser Entwicklung sicher Microsofts eigenes Surface Pro 3, das vor kurzem erschien. Doch es kam anders als gedacht.

Microsoft wollte Fisch, der Markt wollte Fleisch

Durch eine starke Nachfrage bei den Privatanwendern sollte dem Betriebssystem auch ein rascher Einzug in Unternehmen vergönnt sein. Doch das Konzept ging nicht auf. Der Hoffnungsträger Windows 8 wurde zum Sorgenkind. Dabei ist es egal, ob Microsoft den Markt falsch verstanden hat, oder ob der Markt - also die privaten und kommerziellen Anwender - das Produkt einfach nicht wollten.

So oder so: Windows 8 droht ein schleichender Tod. Das sieht wohl auch Microsoft so: Obwohl bis zur Verfügbarkeit der neuen Produktgeneration locker noch acht Monate ins Land gehen, ist Microsoft im Prinzip mit Windows 8.x. "fertig". Ein Griff daneben, der mit überambitionierten Zielen und einer Fehleinschätzung des Marktes zu tun hat. Und das unabhängig davon, wie gut oder wie schlecht die aktuelle Betriebssystem-Generation ist. Längst wird mit voller Energie in die nächste investiert. Relevante Erweiterungen hat Microsoft nicht wie erwartet in einem "Update 2" bereitgestellt, sondern für den designierten Nachfolger aufgehoben.

Was ist zu erwarten?

Microsoft wird die neue Windows-Generation so weit wie möglich - oder so weit wie nötig - von Windows 8 abgrenzen. Hierzu werden auf einem identischen Kern unterschiedliche Bedieneroberflächen angeboten. Der Kern ist der zentrale Bestandteil eines Betriebssystems. Hier wird die Prozess- und Datenorganisation bestimmt; die Softwarebestandteile des Betriebssystems bauen darauf auf. Dieser Ansatz bedeutet, dass die Desktops und Notebooks das von vielen Anwendern vermisste Startmenü wieder zurückbekommen. Tablets und Smartphones werden mit einer weiterentwickelten Variante des "Modern UI" (den Kacheln) ausgestattet.

Hinzu kommen Sicherheits-Features, die den Einsatz in Unternehmen besonders unterstützen sollen. Technische Previews lassen vermuten, dass virtuelle Desktops möglich werden. Somit können Anwender über geöffnete Anwendungen und Desktops hinweg wechseln.

Was aber wesentlich relevanter erscheint, ist die Frage, wie Microsoft Windows 9 bereitstellen wird. Es ist davon auszugehen, dass das Betriebssystem in einem "Evergreen-Ansatz" ausgeliefert wird: Funktionelle Verbesserungen werden damit in regelmäßigen, kurzzyklischen Updates bereitgestellt.

Die Monetarisierung erfolgt auf unterschiedlichen Wegen. Neben werbefinanzierten Modellen sind Abonnements und funktionsbezogene Abrechnungen denkbar. Während Privatanwender sowie kleine und mittelständische Betriebe diesen Ansatz schnell akzeptieren dürften, werden Großunternehmen, bedingt durch die Komplexität der IT, wohl zögerlich reagieren. Aus diesem Grund ist es denkbar, dass Microsoft sowohl eine Evergreen-Version anbieten als auch eine, was die Update-Zyklen angeht, eher restriktive Version bereitstellen wird. Auch möglich, aber unwahrscheinlicher ist, dass die Rolle der "restriktiven Version" von Windows 7 übernommen wird. So oder so wird das Lizenzmodell für professionelle Anwender angepasst werden müssen.

Der Name lässt Rückschlüsse auf die Ausrichtung zu

Wie ein Unternehmen die nächste Produktgeneration benennt, beeinflusst auch stark die Erwartungshaltung der Zielgruppe. Gleichfalls lassen sich aber auch Rückschlüsse auf die Selbstreflektion des Herstellers und die vermeintliche Leistungsfähigkeit der neuen Generation ziehen.

Dabei haben Anbieter grundsätzlich zwei Optionen: Sie können an einem Namen festhalten, also auf die Nachhaltigkeit der Marke bauen, wie exemplarisch VW beim Golf: Golf I, Golf II, …, Golf VI. Oder sie können für die jeweils nächste Version eines Produkts einen neuen Namen wählen, wie es Nintendo mit seinen Spielekonsolen N64, GameCube und Wii praktiziert. Da Microsoft mit der kommenden Windows-Generation neue Wege gehen will, wird es für das zentrale Hauptprodukt kaum den Kontinuität assoziierenden Namen "Windows 9" wählen. Auch die mitunter kolportierte Bezeichnung "Windows TH" - in Anlehnung an "Threshold", den Projektnamen, unter dem die neue Generation entwickelt wurde - ist nicht zu erwarten. Doch auch ein Verzicht auf die Marke Windows, auch wenn das der richtige Ansatz wäre, ist unwahrscheinlich. Zu hoch ist der Markenwert.

Wahrscheinlich ist, dass Microsoft den finalen Produktnamen am heutigen Dienstag noch nicht nennen wird. Während der Preview wird das Produkt als "Threshold" oder "TH" bezeichnet werden. Somit bleibt Zeit, am neuen Markenauftritt zu feilen.

Neues Branding oder verstaubtes Image?

Die Rolling Stones stehen als Marke für Erinnerungen - selbst für diejenigen, die zu jung für Erinnerungen sind. Gleiches trifft auf Windows zu. Während aber Mick Jagger & Co. positiv wahrgenommen werden, steht das Betriebssystem Windows für Programmabstürze und eine alte Betriebssystem-Welt. Diese Wahrnehmung wird das Softwarehaus unter seiner neuen Führung ändern wollen. Bedingt durch den hohen Nutzungsrad in Schulen, Unternehmen, Behörden und im privaten Umfeld hat quasi jeder seine Meinung zu dem Betriebssystem. Da ist es auch für ein Unternehmen wie Microsoft schwer, eine für alle Interessensgruppen richtige Lösung zu liefern.

Am Ende wird es Microsoft kaum darum gehen, kurzfristig einige Millionen Lizenzen mehr oder weniger zu verkaufen. Der in Summe rückläufige PC-Markt und die zurückhaltende Installation von Windows 8 wurde und wird auch zukünftig über eine Optimierung der Lizenzpolitik -und damit der Lizenzerlöse - bei professionellen Anwendern ausgeglichen werden. In Wirklichkeit geht es darum, im Sinne der Devise "Mobile first - Cloud first" auf die Endgeräte zu gelangen, um die gesamte Wertschöpfungskette weiter intakt zu halten. Microsoft braucht höhere Marktanteile im Bereich der Tablets bei Privatanwendern - bei Unternehmen ist es bereits gelungen - sowie relevante Stückzahlen im Segment der Smartphones.

Ob die kommende Windows-Generation diesen Zielen gerecht wird, ist alles andere als gewiss. Aber Erkenntnisse dazu wird es auf dem Event allemal geben. (bw)