Unter die Lupe genommen

Das neue iPad ist ganz Retina-Display

07.04.2012
Von 
Thomas Cloer war Redakteur der Computerwoche.
Wir haben das neue iPad getestet. Und wissen jetzt auch, warum Apple es einfach nur "das neue iPad" getauft hat.

Ganz einfach: Weil nämlich jedes bisherige iPad schlagartig alt aussieht, sobald man das neue einmal auch nur halbwegs aus der Nähe gesehen hat. Das "Retina"-Display ist wirklich so viel besser als das bisherige, dass man sich in der Tat fragen muss, was Apple in der nächsten Generation da eigentlich noch besser machen soll. Dass das Display erheblich besser aussieht und darstellt, liegt übrigens nicht allein an der auf 2048 x 1536 (3,1 Millionen) vervierfachten Pixelzahl und auf 264 ppi erhöhten Auflösung, sondern auch an der nach Angaben des Herstellers im Vergleich zum Vorgänger 44 Prozent höheren Farbsättigung.

Die übrige Hardware des neuen iPad ist eher Nebensache - eigentlich interessieren A5X-CPU, Vier-Kern-Grafik, 30 Gramm mehr Gewicht durch den größere Akku oder LTE-Mobilfunk (vor allem in Deutschland) niemanden wirklich. Das Retina-Display ist herausragend. Und der Rest vom Tablet-Innenleben ist einfach so schnell, dass wikrlich alles flüssig läuft. Und dabei vielleicht auch mal ein bisschen warm wird - überraschend allenfalls deswegen, weil das bei den ersten iPad-Generationen nicht der Fall war. Mit seinen Betriebstemperaturen fällt das neue iPad aber keinesfalls aus dem Rahmen, wie unsere US-Kollegen von der "Macworld" gerade im Testlabor ermittelt haben.

Ganz ohne Folgen bleibt die bestechende Retina-Auflösung allerdings nicht. Die Pixelpusher unter den App-Entwicklern und vor allem die Tablet-Publisher müssen sich mächtig ins Zeug legen, um der neuen Hardware gerecht zu werden. Unter anderem mit der Folge, dass Apps und digitale Bildschirmmedien zukünftig um einiges größer ausfallen können. Was Menschen ohne fette Internet-Pipe ganz schön ärgern dürfte und auch langsam verständlicher macht, warum es das iPad nicht nur mit 16 Gigabyte, sondern auch mit 32 und 64 GB Speicher gibt.

Retina-Auflösung als Herausforderung

"Das neue iPad setzt einen Benchmark, der Fragen aufwirft zu Nachhaltigkeit und technischer Umsetzung unserer bisherigen Digital Publishing- und Online Publishing-Strategien", schreibt der Fachjournalist Georg Obermayr in seinem "PrePress und Publishing Blog". Mit PDF als Datengrundlage ließen sich die neuen Herausforderungen aber durchaus meistern, bilanziert der Fachmann; komplett bildbasierende Seiten-Renderings seien jedoch konzeptionell am Ende. Abseits davon (und unabhängig vom Retina-Display) stelle sich natürlich weiterhin die Frage, ob es wirklich sinnvoll sei, statische Container als Grundlage für interaktive Magazinwelten zu verwenden, so Obermayr weiter. Smartere Lösungen mit adaptiven Layouts und HTML5-basierenden Umsetzungen befänden sich in den Laboren, und der Markt werde sie zügig einfordern - egal ob niedrig- oder hochauflösend.

Die Auflösungsproblematik trifft natürlich nicht nur digitale Zeitschriften, sondern auch Webseiten. Die werden auf dem neuen iPad, falls sie nicht bereits wie beispielsweise bei Apple selbst oder der "New York Times" entsprechend angepasst wurden, mit crisper Schrift neben pixelig erscheinenden, weil für 72 oder 96 ppi auflösenden Bildschirmen gemachten Bildern angezeigt. Die "New York Times" selbst fragt angesichts dessen, ob der neue iPad-Bildschirm womöglich "zu gut für das Web" sei.

Für Webseiten-Betreiber dürfte das zusätzliche Vorhalten von Bildern und möglicherweise auch Videos in Retina-Auflösung in jedem Fall höhere Kosten für Bandbreite und Speicherplatz bedeuten, ganz abgesehen von dem Programmieraufwand für die korrekte Auslieferung der richtigen Version ans Endgerät. Ob sich das rechnet, ist andererseits fraglich, denn Apples Retina-Displays sind dann letztlich doch vorerst eine kleine Minderheit unter all den Bildschirmen da draußen mit Internet-Zugang.

Übrigens verdeutlicht das neue iPad-Display bei genauerem Hinsehen auch, dass die allermeisten heute verfügbaren Computerschriften nicht für eine derart feine Darstellung entwickelt wurden. Das gilt besonders für die immer öfter anzutreffenden Webfonts, die mühsam dafür handoptimiert sind, dass sie auf einem Bildschirm schön aussehen. Nur halt auf einem Bildschirm mit 72 oder 96 ppi. Mann darf gespannt sein, ob es dafür in absehbarer Zeit eine gescheite Lösung geben wird - angesichts der Tatsache, dass Schriftgestaltung inklusive Hinting und Kerning einfach immer noch jede Menge Handarbeit und damit Zeit benötigt, ein ziemliches Dilemma.