DV-gestütztes Management in der Kaltband-Industrie, Teil 1

Das MIS-System bündelt alle Informationen in der Chefetage

13.07.1990

*Dipl.-Kfm. Heinz A. Wulffen ist geschäftsführender Gesellschafter der PMW-Managentent-Systeme GmbH in Senden und Informations-Manager für die internationalen Unternehmen der Hille-&-Müller-Gruppe, Düsseldorf.

Der Wert von Management-Informationssystemen (MIS) ist längst erkannt. Sie bilden die Grundvoraussetzungen für ein effizientes operatives und strategisches Management. Trotzdem nützen nur wenige Unternehmensleitungen solche Systeme in dem Ausmaß wie die Düsseldorfer Kaltwalz-Werke Hille & Müller.

In den meisten Unternehmen ist das Instrumentarium der integrierten Jahresplanung sowie der operationellen Planung mit einem Planungshorizont von zwei Jahren ein relativ neues und deshalb in der Handhabung noch ungewohntes Management-Instrument. Es besteht daher oft die Notwendigkeit für die Geschäftsführung, dieses Werkzeug weiter auszubauen und zu systematisieren, um es als generell akzeptiertes und benutztes Führungsinstrument in den Unternehmen einsetzen zu können.

Um ein Unternehmen erfolgreich führen zu können, benötigt das Management operationelle und strategische Informationen sowohl über den Markt als auch über die eigenen Funktionsbereiche. Wie wichtig strategische Information inzwischen ist, zeigt ihre Einordnung als vierter Produktionsfaktor und als wichtiges Management-Instrument. Der Grund: Die Kalkulierbarkeit der unternehmerischen Entscheidungen nimmt ab; Entscheidungen müssen unter wachsendem Zeitdruck erfolgen, Arbeitsgänge werden immer komplexen.

Es ist erforderlich, den gesamten Informationsfluß ähnlich wie in den Produktionsabteilungen zu strukturieren. Verteilte Datenbanksysteme, sogenannte relationale Datenbanken, ermöglichen im Verbund mit Zentral-, Betriebs-, Prozeßrechnern sowie vernetzten Personal Computern ein wirkliches Management-Informationssystem. Der Einsatz von relationalen Datenbanken und Computer-Netzwerken verbietet die Anhäufung und Verwaltung von gleichen Informationen an mehreren Plätzen innerhalb des Unternehmens.

Die Aufgaben müssen deshalb funktional eindeutig sowie ihre Verknüpfung über den Informationsfluß neu festgelegt werden. Nur wer die operationelle und strategische Information erkennt und marktstrategisch nutzt, erzielt durch die Qualität der schnellen Entscheidung überdurchschnittliche Wettbewerbsvorteile.

Aufgrund von Erfahrungen der letzten zehn Jahre bei mehr als 300 Unternehmen in Deutschland und Europa kann festgestellt werden, daß gut funktionierende Prognose- und Frühwarnsysteme im Verkaufs- und Marketing-Management durchschnittlich eine über 25prozentige Verbesserung der Prognosegüte gegenüber klassischen Ansätzen liefern.

Für die Unternehmen bedeutet das nicht nur eine rein quantitative Produktionsverbesserung von ein bis fünf Prozent. Die meisten Unternehmen erzielen sogar eine Verdoppelung der durchschnittlichen Rentabilität sowie eine erhebliche Steigerung der Qualität der Management-Entscheidungen.

Es kann nicht im Sinne des Managements sein, auf eingetretene Trendänderungen nur passiv zu reagieren. Bei frühzeitiger Information (vier bis sechs Monate vorher) kann das Unternehmen negativen Folgen rechtzeitig vorbeugen und nach optimalen Lösungen suchen. Erforderlich ist dafür, daß die Methoden der Planerstellung und der erforderlichen Plan-Ist-Vergleiche soweit wie nötig vereinheitlicht werden, was als permanente Aufgabe anzusehen ist.

Plan-Ist-Vergleiche dienen jedoch nicht nur als internes Führungsinstrument, sondern auch für die monatliche Berichterstattung nach außen. Dafür werden die Daten aus der Jahresplanung - nach saisonalen Einflüssen gewichtet - den entsprechenden Ist-Werten gegenübergestellt.

Art den Einsatz eines Management-Informationssystems (MIS), wie es bei der Hille-&-Müller-Gruppe eingesetzt wird (vergleiche Abbildung 1), sind folgende Anforderungen zu stellen:

- Die für die Entscheidungen wichtigsten Informationen werden schnell, aktuell und in der Form einfach verständlich und transparent bereitgestellt.

- MIS ermöglicht die richtige Entscheidung durch transparente Bereitstellung der richtigen Information an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit sowie in der richtigen Menge und Zusammensetzung.

- Das System gibt der Geschäftsführung durch Einsatz von Computergrafik ein übersichtliches Führungsinstrument in die Hand. Die schnelle Verfügbarkeit, hohe Aktualität, geringe Fehleranfälligkeit, große Anwendungsvielfalt und einfache Herstellungstechnik von Computergrafiken sind für das Management von großem Nutzen.

- Durch den Einsatz einer relationalen Datenbank bietet MIS auch dein Nicht-DV-Profi bei der abstrakten Bearbeitung der Unternehmensdaten ein hohes Maß an Datenunabhängigkeit. Änderungswünsche können flexibel und interaktiv durchgeführt werden.

Die Vereinheitlichung der Informationsstrukturen im MIS führt dazu, daß alle Mitarbeiter der Unternehmensgruppe lernen, bei vielen Begriffen in ähnlichen Kategorien und Inhalten zu denken. Es finden keine großen Diskussionen über Definitionen statt; alle Beteiligten werden durch das System zu strukturiertem Denken und Disziplin veranlaßt.

Um die aufgezeigten Anforderungen an ein effektives MIS erfüllen zu können, kommen für die Bereitstellung der MIS-Plandaten Standard-Softwareprodukte auf PCs zum Einsatz. Die Anforderungen an ein aufgabengerechtes MIS-Softwareprodukt lassen sich wie folgt zusammenfassen:

- wirtschaftlich im Einsatz,

- leicht erweiterbar,

- flexibel in der Anwendung,

- methodisch einfach und leicht handhabbar,

- bedarfsgerecht informierend,

- bei Planung und Berichterstattung unterstützend sowie

- leicht in die Unternehmensorganisation integrierbar.

Informationen über den Markt und aus dem Markt müssen abgesichert sein, um in allen Bereichen und auf allen Ebenen die rechtzeitige und ertragsorientierte Anpassung an den Markt zu gewährleisten. Hier helfen DV-gestützte Instrumente bei der Analyse der Marktpotentialen, des Bedarfsvolumens, von Absatzwegen und Kundenstrukturen. Das gilt auch für die Planung der Wettbewerbsaktivitäten und des Absatzes, wofür konkrete Zahlen über die Produktakzeptanz zu erheben sind.

Die Probleme auf den industriellen Märkten verschärfen sich immer mehr. Mit den klassischen Methoden des Marketing, mit Daumenprognosen und darauf basierender Planung, sind sie schon lange nicht mehr zu bewältigen. Daher werden in den Unternehmen der Hille-&-Müller-Gruppe zur Vermeidung von Planungsfehlern, zur Kontrolle der Unternehmensaktivitäten sowie der Konkurrenzpolitik die Prognose-, Frühwarn- und Analysesysteme der Essener GSI-Marketing Systems eingesetzt. Für die kurz- und mittelfristige Planung (ein bis 24 Monate) dient "Forsys/Mavis" und "Market" für die Fünf-Jahres-Prognose.

Das Unternehmen schätzt vor allem die Techniken der künstlichen Intelligenz, die Forsys bietet. Damit kann es sich automatisch an die Besonderheiten jedes Absatzmarktes anpassen. Das Produkt prüft für die vielen tausend Absatzzahlen, zum Teil sogar täglich, welche Prognosemethode für welche Absatzreihe

die optimalen Resultate bringt (zum Funktionsumfang des Tools vergleiche Abbildung 2).

Vorteile gegenüber der manuellen Planung

Die Methode dieses Werkzeugs besteht darin, für jede Anwendung, zum Beispiel die Auflistung von Absatzzahlen nach Produkten und Verkaufsbereichen, bei bis zu tausend unterschiedlichen Parametern (Gewichtungs-, Glättungs- und Adaptionskoeffizienten) jede Absatzreihe zu identifizieren und zu steuern. Einfachere Verfahren bewältigen nur ein bis fünf Parameter und sind daher nicht in der Lage, die Prognosen der individuellen Marktstruktur an jedes Produkt eines Unternehmens anzupassen.

Die dynamische Optimierung der Parameter garantiert zu jeder Zeit die Anpassung des Systems an die sich laufend verändernden Absatz-Charakteristika. Die Wahl der optimalen Methoden und Parameter ist abhängig vom gewählten Prognosehorizont. Selbst-Kontrollmechanismen dienen als Basis für anwenderorientierte Informationen (zum Beispiel Trendänderung, Frühwarnung vor kritischen Situationen in Absatzbereichen).

Durch den Einsatz des operationellen Prognose-, Frühwarn- und Analysesystems hat sich gegenüber der manuellen Planung die Qualität der Absatzprognose um 20 Prozent verbessert. Daraus resultieren:

À Senkung der Produktionskosten durch bessere Kapazitätsauslastung und bedarfsgerechte Produktion und Lieferfähigkeit

À bessere Lagerhaltungspolitik durch zuverlässige Bedarfsprognosen und Reduzierung der Lagerbestände sowie

À Verbesserung der kurzfristigen Liquiditätsplanung.

Basis für die Prognoserechnung sind die Absatzmengen und Umsatzwerte der Hille-&-Müller-Vertriebsgesellschaft aus den Jahren 1980 bis 1987, unterteilt nach Produkthauptgruppen und Produktgruppen je Absatzgebiet. Es wurden 96 Zeitreihen berechnet, mit dem Ergebnis berechnet, daß schon im Januar 1988 für eine wesentliche Hauptgruppe die manuellen Prognose um sechs Prozent zu pessimistisch war.

Diese positive Prognose hat sich nach Optimierung unternehmensspezifischer Analyse- und Prognoseparameter Ende Dezember 1988 auf zehn Prozent bestätigt. Im Folgejahr haben wir in allen Produktgruppen 6.83 Prozent mehr abgesetzt. Der Grund: die außergewöhnlich gute Konjunktur im Stahlbereich und unsere Maßnahmen zur Optimierung des Verstriebs zum Beispiel durch Direct Mailing.

Durch das Marktanalyse- und Verkaufs-Informationssystem erfolgt eine zielgerichtete und effiziente Auswertung und Informationsverdichtung der MIS-Datenbank. In den "Management-by-Exception-Reports" werden Frühwarnberichte (Trendsignal), Trenduntersuchungen (Trendindikator in Prozent), Untersuchungen zur Prognosegenauigkeit und Soll-Ist-Vergleiche automatisch erstellt.

Die Fünf-Jahres-Prognose der H&M-Produkte (1989 bis 1993) für das strategische Management führt das Mittel-Langfrist-Prognosesystem "Market" für die drei Vertriebsbereiche noch einmal insgesamt durch. Basis für die Fünf-Jahres-Prognose mit diesem Werkzeug sind neben den H&M-spezifischen Daten die mittel- und langfristigen Entwicklungen der gesamtwirtschaftlichen und branchenspezifischen Indikatoren wie Bruttosozialprodukt, Ausfuhr, Bargeldumlauf, Rohstoff-Preisindex, Dollar- und Pfundkurse, Produktion Investitions- und Konsumgüter sowie Produktion Straßenfahrzeugbau, Elektrotechnik und Bauhauptgewerbe.

Bedenkt man, daß sich die Prognose-, Frühwarn- und Analysesysteme Forsys/Mavis und Market als Instrumente der operationellen und strategischen Unternehmensplanung einsetzen lassen, können frühzeitiges Erkennen von Trendänderungen sowie die fundierte und systematische Kontrolle der Absatzplanziele entscheidend sein im Wettbewerb. Die Kosten der Logistik und Produktion hängen wesentlich von der Qualität der Absatzplanung ab. Ungenaue Absatzplanung kann schlechte Kapazitätsauslastung, überhöhte Lagerbestände, Sonderschichten oder Lieferschwierigkeiten bedeuten.

Produktionssteuerung mit einem PPS-System

In den letzten Jahren wurde als Folge der raschen Entwicklung der Informatik der Übergang von der manuell betriebenen zur formalisierten, über DV abgewickelten Produktionsplanung und -steuerung (PPS) möglich. Das betriebliche Informationssystem konnte instrumentell weitergehend automatisiert werden und verfügt dank Datenbanksystemen und Betriebsdaten-Erfassung über effiziente Mittel, das PPS wirksam zu unterstützen.

Für die Hille-&-Müller-Gruppe wurde 1988 in Zusammenarbeit mit der Panskus Unternehmensberatung aus Wuppertal ein PPS-System als Teil des ganzheitlichen MIS konzipiert und die geeignete Hard-, Soft- und Kommunikationsware (Netzwerk-Topologie) ausgewählt sowie ein Softwarepartner engagiert, der mit den Abläufen in einem Walzwerk vertraut ist.

Die Produktions-Steuerung ist als Teil-System des MIS vielfach mit logistischen und technischen Prozeßdaten verkettet. Für Systeme, die derart tief und komplex in die betriebliche Informationsverarbeitung eingreifen, ergibt sich zwingend die Notwendigkeit, sie auf der Grundlage einer in die Zukunft gerichteten ganzheitlichen DV-Infrastruktur zu gestalten und zu realisieren..

Eingeführt wird PPS auf der Basis eines Verbundkonzepts mit lokalen Netzen (LAN). Das bedeutet:

À koordinierte vertikale und horizontale Kommunikation durch gesicherte (genormte) Datenübertragung,

À Nutzung der spezifischen Leistungen der DV-Komponenten für den Dialog- und Batch-Betrieb sowie in den Bereichen individuelle DV in der Büro,

À Realtime-Verarbeitung und Prozeßregelung in der Fabrikation,

À kontrollierte Datenverarbeitung und Datenverwendung ,durch Einsatz von entsprechender Integrationssoftware (zum Beispiel Daten-Management-Verwaltungssysteme),

À Flexibilität bei Erweiterungen.

Vor dem Hintergrund der zentralen Bedeutung des PPS für transparente Management-Informationen besteht jedoch die Gefahr, daß die Fachbereiche Insellösungen realisieren, die sich dauerhaft manifestieren und damit eine durchgängige, offene Systemstruktur behindern. Hard- und Software-Investitionen, die kurzfristig betrachtet preiswert erscheinen, entpuppen sich unter langfristigen Integrationsaspekten als hinderlich und teuer, weil sie nicht oder nur schwer integrierbar sind.

Die PPS-Installierung wurde bei H&M im vergangenen Jahr in Angriff genommen. Das Gesamtsystem für die Produktionsbereiche Rohbandlager und Beize, Walzwerk, Glüherei, Veredelung, Adjustage und Versandlager wird voraussichtlich bis Mitte 1992 fertiggestellt sein.

Die Kosten nach Einführung des PPS für den Kapitaldienst werden auf jährlich rund 1,5 Millionen Mark geschätzt. Demgegenüber erwartet das Unternehmen eine Reduzierung der Lagerbestände um etwa 20 Prozent bei einer gleichzeitigen Produktionssteigerung um fünf Prozent, die durch eine stärkere Kapazitätsauslastung erreicht werden soll.

Die Gesamtsumme des jährlichen Nutzens veranschlagt H&M mit 1,6 Millionen Mark. Daraus folgt, daß die jährlichen Kosten für Kapitaldienst und Systempflege durch den quantifizierbaren Nutzen abgedeckt sind.

Zusätzlich ergeben sich folgende qualitative und quantitative Vorteile:

- Liefertermintreue über 98 Prozent,

- Verbesserung der Plangenauigkeit bis zu 96 Prozent,

- Reduktion der Routinearbeiten um bis zu 50 Prozent,

- Überstundenabbau bis zu 10 Prozent,

- Einzelringverfolgung,

- Steigerung der Transparenz des innerbetrieblichen Geschehens.

Allen Zahlen zum Trotz läßt sich die Wirtschaftlichkeit einer PPS-Einführung nicht exakt berechnen. Zur Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Hille-&-Müller-Gruppe ist die Realisierung des PPS aber unbedingt erforderlich.

Bis zur vollständigen Integration von PPS in das Management-Informationssystems werden die Produktionsprognosen aus dem MIS-Teilsystem MMS

bezogen.