IT als Initiator oder Erfüllungsgehilfe?

Das kleine e schafft große Verwirrung

05.10.2001
Das in seiner Frühphase stark vertriebslastige E-Business hat sich mittlerweile zum abteilungsübergreifenden Thema gemausert. Um die nahtlose Kooperation zwischen Geschäftsleitung, Fachbereichen und IT-Abteilung zu ermöglichen, verfolgen die Anwenderunternehmen unterschiedliche Ansätze.

Seit dem vergangenen Jahr zeichnet sich in der firmeninternen Zuständigkeit für den Bereich E-Business ein Wandel ab: Der Themenkomplex ist dem Stadium der "reinen Vertriebsangelegenheit" längst entwachsen und verschiebt sich von den ehemaligen Brutstätten Sales und Marketing zunehmend in Richtung Topmanagement. Im Bemühen, die Koordination übergreifender Prozessketten in den Griff zu bekommen, schießen derzeit dedizierte E-Business-Positionen oder eigens eingerichtete Stabsstellen aus dem Boden.

"Wir haben eine Fachabteilung für diesen Themenbereich gegründet, die der Geschäftsleitung direkt unterstellt ist", berichtet Harald Gießer. Er ist als CIO (Chief Information Officer) bei Ina Wälzlager Schaeffer oHG, Herzogenaurach, sowohl für die IT-Infrastruktur, als auch die Basisprozesse und die operative DV verantwortlich. Bei dem Hersteller von Wälz- und Gleitlagern, dessen E-Business-Schwerpunkt derzeit unter anderem in der Einbindung von Marktplätzen liegt, werden die entsprechenden Initiativen nach wie vor meist von den Fachabteilungen Einkauf und Vertrieb sowie von der Qualitätssicherung ergriffen. Die enge Zusammenarbeit, die laut Gießer nicht mehr über eine Linien-, sondern nur über eine Art Matrixorganisation zu gewährleisten war, hat für den CIO oberste Priorität.

Gebündeltes Know-how beschleunigt Prozesse

Die Preussag AG hat für ihre E-Business-Initiativen in diesem Jahr den Bereich "Neue Medien/E-Commerce" gegründet. "Es bestand der Bedarf, das Know-how und die Entscheidungen über alle Gesellschaften und Fachbereiche hinweg zu bündeln und die Fäden in einer Abteilung zusammenzuziehen", erklärt Rouven Daniel, verantwortlich für Strategie und Marketing im E-Bereich des Touristik- und Dienstleistungskonzerns. Derzeit beschäftigt sich das Team mit Themen wie dem Ausbau einer Multichannel-Strategie, Customer-Relationship-Management (CRM), E-Procurement sowie der Nutzung von Synergien zwischen den einzelnen Konzerngesellschaften. "Diese Abteilung ist wichtig, um Prozesse aus E-Commerce-Sicht und nicht nur aus IT- oder Marketing-Perspektive vorantreiben zu können", erläutert Daniel die Vorteile einer dedizierten E-Business-Stabsstelle. Darüber hinaus sorge eine derartige Organisation für eine deutliche Beschleunigung der Prozesse. Die Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen funktioniere bis dato tadellos.

Beim Versandhandels- und Warenhauskonzern Karstadt Quelle AG zeichnet eine eigenständige Gesellschaft für die gesamte Unternehmensentwicklung und die strategischen Entscheidungen im E-Business verantwortlich, während die Tochtergesellschaften für die jeweiligen Shopping-Portale und das Sortiments-Management zuständig sind. "Wir haben von Anfang an die strategischen Aktivitäten zentralisiert und das operative Geschäft dezentralisiert", erklärt Mechthild Hexamer, Sprecherin der Karstadt Quelle New Media AG (KQNM). Das Stammgeschäft sei vom E-Business nicht getrennt worden. Der Vorteil dieser Organisationsstruktur liegt nach Meinung von Hexamer darin, dass die derzeit in der Branche zu beobachtenden Maßnahmen zur Re-Integration zuvor ausgegliederter Kernaktivitäten bei Karstadt Quelle nicht erforderlich sind. Die meisten Projekte werden von der KQNM angestoßen, deren Vorstandsvorsitzender Peter Gerard gleichzeitig eine eigens für den E-Business-Bereich "Neue Medien und Services" geschaffene Vorstandsposition in der Holding innehat.

Zentralstellen schaffen Überblick

Marktforscher und Berater halten die emsigen Bündelungsmaßnahmen der Unternehmen im E-Business-Umfeld für durchaus sinnvoll. Nach Ansicht von Peter O´Neill, Practice Leader E-Business bei der Meta Group Deutschland, kann dem Thema auf diese Weise auf Vorstandsebene die nötige Brisanz verliehen werden. Zudem schaffe eine Zentralstelle - nicht zuletzt auch als Kontrollorgan - den notwendigen Gesamtüberblick. Nach Beobachtungen des Marktexperten handelt es sich allerdings um einen relativ jungen Trend. Noch teilten sich in der Mehrzahl der Unternehmen die entsprechenden Fachabteilungen - meist nicht besonders gut koordiniert - die E-Business-Aufgaben. "Einrichtungen wie das Center of E-Excellence bei Siemens, wo 356 E-Business-Projekte laufen - alle dokumentiert und durch das Programm auch finanziert -, sind noch nicht die Regel", beobachtet O´Neill. Auch dass Fach- und IT-Abteilungen mittlerweile enger miteinander kooperieren oder durchgängig gemeinsam an die Planung übergreifender Projekte herangehen, kann er nicht feststellen.

An der Rolle der klassischen Unternehmens-DV im Zuge des fortschreitenden E-Zeitalters scheiden sich derzeit die Geister. Trotz der häufig stark technisch geprägten Ausrichtung der E-Business-Projekte hält Meta-Group-Mann O´Neill das Mitwirken der IT-Abteilungen für nach wie vor reaktiv. "Die IT hat die Führerschaft hier auch nie übernehmen können und wollen, da dann zusätzliche Anforderungen abzudecken wären", so der Berater. Zu diesen zählt O´Neill ein andersartiges Verständnis des Geschäfts und entsprechender Projekte. Besonders deutlich wird das seiner Meinung nach am Beispiel Sicherheit: Die Anforderungen an die Planung in Sachen Security sähen im E-Business nun einmal ganz anders aus als in der Vergangenheit. So gehe es nicht mehr da-rum, die Firewalls so hoch wie möglich aufzubauen. "Vielmehr gilt es, diese so zu gestalten, dass sie den richtigen Personen Zugang zu den richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt gewähren", erklärt der Practice Leader.

E-Business-Training angesagtHier wird das Beratungsunternehmen bei Bedarf aktiv: Im Rahmen von "E-Business-Ready-Projekten" hilft die Meta Group DV-Abteilungen mit E-Business-Insuffizienz auf die Sprünge. Vermittelt werden das notwendige Know-how, das Wissen um die entsprechenden Geschäfts- und Projektabläufe, und natürlich, so O´Neill, geht es auch um die in Frage kommenden Technologien. Dennoch werde die IT auch in künftigen E-Business-Szenarien lediglich im Sinne einer besseren Kooperation intensiver mitwirken und nach wie vor bei Entscheidungsprozessen keine tragende Rolle spielen. Denn die vom E-Business geforderte Kundenorientierung verlange ganz neue Geschäftsprozesse. Das Grundverständnis hierfür sei aber traditionell bei Vertrieb und Marketing angesiedelt. "Die Kunden der IT sind die User", legt O´Neill fest.

Für Thomas Walzner, Direktor Informationstechnik der Lear Corporation GmbH, stellt sich das Szenario anders dar. In seinem Unternehmen kommt der IT im E-Business, für das es dort keine definierte Anlaufstelle gibt, eine Schlüsselrolle zu. "Die wichtigsten Projekte in diesem Zusammenhang werden bei uns von der IT-Abteilung angestoßen", so Walzner. Bei der Deutschland-Dependance des amerikanischen Automobilzulieferers werde beispielsweise im Rahmen von Supply-Chain-Management-Projekten zuerst eruiert, was technisch machbar sei, und erst dann gebe die entsprechende Fachabteilung das Ihrige dazu. In anderen Bereichen wie Collaborative Design und Supply-Information-Systemen komme die Initialzündung zwar von der Entwicklungsabteilung beziehungsweise aus dem Bereich Qualität, allerdings würden auch diese Projekte von der Planung bis zur Umsetzung maßgeblich von der IT beaufsichtigt. "Dass man im Unternehmen nur als interner Dienstleister Service zur Verfügung stellt, ist reine Utopie", meint Walzner. Als eigentliches Problem in der E-World sieht er nicht so sehr die technische Abwicklung als vielmehr die Basisprozesse und die Organisation. "Wir werden immer mehr in das Aufgabenfeld der Fachabteilungen integriert", kritisiert der IT-Chef. Normalerweise müssten die Bedürfnisse von den Fachabteilungen angemeldet werden und die IT dann darauf reagieren. In der Praxis sei es aber oft umgekehrt: Sehr häufig müsse die Technik das Projekt vordefinieren.

Bei der Bausparkasse Mainz trägt ebenfalls die DV die Verantwortung für die unternehmensspezifischen E-Business-Belange. Laut Robert Pfeifer, Hauptabteilungsleiter Organisation, sind selbst bei stark vertriebsorientierten Projekten wie dem Aufbau eines Portals zur Anbindung des Außendiensts sowie dem Marketing-lastigen Thema CRM, das demnächst angegangen werden soll, meist IT-Mitarbeiter die Initialzünder. Sobald die Technik stehe, rede die DV mit der entsprechenden Fachabteilung über die fachliche und inhaltliche "Ausgleitung". Eine übergreifende E-Business-Organisation hält Pfeifer vorerst nicht für notwendig. Derzeit ist die Abteilung "Datenverarbeitung und Organisation" zentrale Anlaufstelle für alles, was das Geschäftsprozess-Management betrifft. So genannte Fachbereichsbetreuer dienen als Schnittstelle zur entsprechenden Fachabteilung.

Nach Beobachtungen von Dieter Sinn, Geschäftsführer der Münchner Unternehmensberatung Sinn-Consulting, rückt das Thema E-Business von den ersten, noch isoliert betriebenen Projekten wie Shop-Systemen oder Marktplätzen - in den Vertriebs- oder Marketing-Abteilungen ausgebrütet und dort häufig nur zu unzureichender Reife gebracht - zusehends wieder in die Nähe der klassischen IT. "Bei den großen Konzernen fließt das Gros der E-Procurement-Budgets mittlerweile nicht etwa in die elektronischen Marktplätze, sondern in die Vereinheitlichung und Anbindung der dahinter liegenden IT-Systeme", erläutert der Consultant an einem Beispiel.

Schwerpunkt Integration

Dementsprechend sieht der Berater auch das Spielfeld von Siemens´ E-Business-Vorzeigeabteilung "Center of E-Excellence" inzwischen im Aufgabenbereich einer übergeordneten IT-Abteilung angesiedelt, die vor allem die Einhaltung der technischen Standards innerhalb des Konzerns zu gewährleisten hat. Nach Ansicht von Sinn haben die Unternehmen nach den ersten Bauchlandungen erkannt, dass sich nicht alles im Hauruck-Verfahren realisieren lässt. Deshalb werde nun mit Hochdruck Versäumtes nachgeholt und daran gearbeitet, die IT-Systeme im Hintergrund überhaupt E-Business-fähig zu machen. Dieser Auffassung schließt sich auch Gießer von Ina Wälzlager Schaeffer an. "Fakt ist, dass E-Business-Aktivitäten Organisations- und IT-Projekte darstellen wie alle anderen auch", so der CIO. Und diese Vorhaben wollten vernünftig geplant und integriert werden, andernfalls blieben die erhofften Effekte aus.

Angesichts der möglichen Veränderungen der Firmenwelt durch die IT hält Berater Sinn die meist eher reaktive Rolle der Unternehmens-DV allerdings für wenig angebracht. "Nach dem Motto: ´Warten wir, bis der Markt aufzeigt, dass eine Elektronik unser Geschäft dominiert, und dann geben wir unserer IT-Abteilung den Auftrag´, kann es nicht funktionieren", warnt der Berater. Eine Schwachstelle in den IT-Abteilungen sei ein Defizit an fachlichem oder anwendungsbezogenem Know-how. Im Gegensatz dazu hätten sich die Fachabteilungen im E-Zeitalter durchaus technische Kenntnisse angeeignet.

IT-Chef Walzner kann hiervon allerdings ein anderes Lied singen. "Die IT-Kompetenz der Fachbereiche ist zu schwach", berichtet er. Um die immer noch tiefe Schlucht zwischen den beiden Kompetenzträgern zu überwinden, sei hier ein Lernprozess dringend notwendig.

Für Gießer ist diesbezüglich alles beim Alten geblieben: Seiner Meinung nach musste der IT-Mitarbeiter bereits in der Vergangenheit mit den Geschäftsprozessen vertraut sein, ebenso wie die Fachabteilungen in Sachen IT nicht ganz unbeleckt sein durften. "Da, wo es früher Probleme gab, gibt es sie auch heute noch", resümiert der CIO.

Katharina Friedmann

kfriedmann@computerwoche.de