Interview mit Rémy Redley, Präsident des BDU

"Das IT-Geschäft bereitet uns Sorge"

08.11.2002
Die guten Zeiten der IT-Consulting-Branche sind vorbei. Viele Häuser nehmen weniger ein und entlassen Mitarbeiter. Rémy Redley, Präsident des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater (BDU) e.V., sprach mit CW-Redakteur Joachim Hackmann über die Lage der Branche.

CW: Der Beratermarkt durchlebt nach vielen guten Jahren eine Krise. Wie ist es tatsächlich um die Branche bestellt?

Redley: Genaue Daten liegen uns noch nicht vor, da wir unsere Befragung erst im Dezember und Januar veranstalten. Die gesamten deutschen Berater haben im letzten Jahr rund 16,5 Milliarden Euro eingenommen. Ich schätze, dass wir 2002 ungefähr das Gleiche oder sogar etwas weniger umsetzen werden.

CW: Wie steht es speziell um die IT-Consultants?

Redley: Das IT-Geschäft ist der Bereich, der uns Sorge bereitet. Hier leiden die Häuser darunter, dass Auftraggeber darauf drängen, Projekte bis ins Jahr 2004 zu strecken. Die Dienstleister bekommen dann ihr Geld möglicherweise erst 2005. Solche Dinge gibt es derzeit insbesondere in TK-Unternehmen, die ja lange Zeit die treibenden Kräfte in der IT waren. Sie haben ihr Engagement nahezu eingestellt.

Schlimmer ist, dass die Zahlungsmoral der Kunden gelitten hat. Zudem sind Beratungshäuser von Konkursen ihrer Klienten oder Zahlungsausfällen betroffen. Das bringt automatisch Druck. Viele Unternehmen warten auch aufgrund der wirtschaftlichen Lage ab und stellen Neuinvestitionen zurück.

CW: Sind von den aktuellen Schwierigkeiten eher die großen oder die kleinen Beratungshäuser betroffen?

Redley: Die großen Unternehmen. Die haben Schwierigkeiten, ihre vielen Mitarbeiter zu beschäftigen. Die kleinen Spezialanbieter mit zehn bis 15 Mitarbeitern vermögen der Flaute noch zu trotzen. Vielfach konzentrieren sie sich auf bestimmte Segmente und können dort mit einer stabilen Auslastung rechnen. Doch wenn die Talfahrt nicht bald endet, werden auch diese Anbieter das spüren.

CW: Wann wird Ihrer Einschätzung zufolge die Talsohle durchschritten?

Redley: Im Lauf des nächsten Jahres.

CW: Das Ifo-Institut ist etwas optimistischer. Dort rechnet man mit dem Tiefpunkt noch in diesem Jahr.

Redley: Nein, das ist nicht zu erwarten.

CW: Gibt es jemals wieder zweistellige Wachstumszahlen wie in der Vergangenheit?

Redley: Die Zeiten sind vorerst vorbei. Wir hatten im letzten Jahr ein Plus von fünf Prozent und waren darüber sehr glücklich. Der Einbruch in dem IT-Bereich wird so groß sein, dass wir in diesem Jahr möglicherweise kein Plus zustande bringen. Zweistellige Zuwachsraten wird es frühestens ab dem Jahr 2004 oder 2005 geben - wenn überhaupt.

CW: Wie wird der Markt dann aussehen?

Redley: Wir werden eine weitere Marktbereinigung und -konsolidierung erleben. Davon sind sowohl die Kleinen als auch die Großen betroffen. Es wird eine Verschiebung der Marktanteile zu den bedeutenden Anbietern geben. Dennoch habe ich keine Sorge um die kleinen Beratungshäuser, ich stehe selbst einem solchen vor. Wir können unserer Klientel sehr viel besser helfen als die Großen, weil wir die Kunden verstehen.

CW: Gibt es Zahlen darüber, wie viele Berater derzeit arbeitslos sind?

Redley: Darüber existieren meines Wissens keine Daten. Wenn der Auslastungsgrad zurückgeht, dann wird es auf dem Markt enger. Die vielen Entlassenen drücken natürlich in den Arbeitsmarkt.

CW: Drängen neue Einzelkämpfer in das Geschäft für Beratungsleistungen?

Redley: Dieses Phänomen gab es immer schon. Der einzelne Anbieter hat nach wie vor eine Überlebenschance, wenn er eine einzigartige Verkaufsposition einnehmen kann.

CW: Wie stark sind die Honorare gefallen?

Redley: Sie sind unter Druck geraten. Wir müssen auch zwischen IT- und Unternehmensberatung unterscheiden. Da gibt es enorme Differenzen. IT-Consultants leiden mehr. Allerdings ist die Situation nicht so dramatisch, wie sie oft dargestellt wird.

CW: Können Sie Zahlen zu den Tagessätzen nennen?

Redley: Konkrete Angaben gibt es nicht. Ich vermute aber, dass sie um zehn bis 15 Prozent abgesackt sind.

CW: Reagieren die Anbieter mit neuen Honorarmodellen darauf?

Redley: Die Häuser verkaufen nicht wie früher 20 oder 30 Beratertage, sondern Projekte zu einem geschätzten Preis. Man schnürt Pakete, die man dem Kunden anbietet.

CW: Sind das dann Festpreise?

Redley: Das sind Fest- oder Höchstpreise.

CW: Wie steht es mit ergebnisorientierten Verträgen?

Redley: Da gibt es noch immer die Schwierigkeit, den Erfolg zu messen. Meistens laufen Verhandlungen auf die üblichen zielorientierten Messungen von Beratungsleistungen hinaus. In der Regel gibt es Malusvereinbarungen wenn Ziele nicht erreicht wurden.

Häufig machen auch die Kunden einen Rückzieher, wenn man ihnen das mögliche Spar- oder Einnahmenpotenzial eines Projekts aufzeigt. Am Ergebnis wollen sie selber verdienen und nicht den Dienstleister beteiligen. Denn eines ist klar: Wenn ein Berater einen Risikoanteil in den Vertrag aufnimmt, dann will er im Erfolgsfall auch mehr als das übliche Honorar einnehmen.

CW: Verschiedene Umfragen unter Anwen-derunternehmen zeigen, dass das Image der Beratungshäuser schlechter wird. Woran liegt das?

Redley: Die Vorgänge bei den ausländischen Wirtschaftprüfern insbesondere im Enron-Fall strahlen auf unsere Branche ab. Nicht zuletzt deswegen wenden sich die Consulting-Häuser, die vormaligen Tochterunternehmen der Auditing-Firmen, von ihren Muttergesellschaften ab. Das ist auch wichtig, um unserer Branche mehr Profil zu geben.

Sicher wird oder sollte auch das Thema Ethik in der Auftragsannahme und -abwicklung gegenüber den Kunden einen höheren Stellenwert bekommen. Das ist wichtig, um gegenüber den Kunden eine deutliche Position zu beziehen und Verlässlichkeit zu signalisieren.

CW: Es gab auch Unmutsbekundungen über die Leistung der Häuser.

Redley: Das zeigt doch, wie wichtig es ist, Pflichtenhefte und Vorgaben besser zu definieren, als es in der Vergangenheit gemacht wurde. Es hat sicher auch eine gewisse Laisser-faire-Einstellung gegeben. Man hat vielleicht nicht ganz so korrekt gearbeitet und es mit den Kundeninteressen weniger genau genommen.

CW: Besteht die Gefahr, den Nachwuchs zu vergraulen, weil im IT-Bereich kaum noch Hochschulabsolventen als Consultants eingestellt werden und junge Berater unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit und -bereitschaft während der Probezeit gehen müssen?

Redley: Die Beratungshäuser halten nach wie vor Ausschau, allerdings nicht mehr in der Breite und Intensität wie einst. Es mag auch einige Berater geben, die nach der Hochschule in Consulting-Häuser eingestiegen sind und die Probezeit nicht überstanden haben. Möglicherweise sind das keine erstklassigen Mitarbeiter. Früher hat man auch Hochschulabgänger eingestellt, die nicht unbedingt zu den Spitzenleuten zählten. Heute sucht man nur noch die High Potentials.