Das iPad Pro für Kreative

Das iPad Pro in der Audioproduktion

15.12.2018
Von Stefan Gagern
Apple preist das iPad Pro seit dem ersten Modell nicht nur als Computer der Zukunft, sondern vor allem als ideales Arbeitsgerät für Kreative an. Wir testen wie gut sich das Modell von 2018 bei Musikproduktion und Podcasts schlägt.

Welche Rolle das iPad inzwischen in der Musikproduktion spielt, wird klar, wenn man heute beim Soundcheck auf der Bühne steht. Statt hinter dem Mischpult in der Mitte der Halle steht der Soundmixer gerne direkt neben dem Gitarristen und hört sich selbst an, ob wirklich zu wenig Schalldruck aus den Monitoren kommt – und regelt gegebenenfalls in der Mischpult-App auf seinem iPad etwas nach. Hier kommen die Vorteile des Tablets heraus: Es ist mobil wie ein Musikinstrument und die Touch-Bedienung ähnelt stark den Reglern an Mischpulten, Synthesizern, Gitarrenamps, Drumcomputern und Effektgeräten. So sind Musikapps sehr attraktiv und erfolgreich.

Mit dem richtigen Zubehör wird das iPad zum mobilen Tonstudio
Mit dem richtigen Zubehör wird das iPad zum mobilen Tonstudio
Foto:

Mobiles Musikstudio mit starker Hardware

Wie das iPad zum kompletten Musikstudio werden kann, zeigt schon das gratis mitgelieferte Garageband. Garageband ist vielleicht nicht so vielseitig und gut wie der große Bruder Logic Pro X am Mac, aber es kann eine Menge und ist leicht zu bedienen. Das reicht auf jeden Fall, um unterwegs oder im Proberaum eine Songidee festzuhalten und dann am Desktop weiterzumachen. Wie aber auch der große Bruder braucht Garageband Prozessorpower. Vor allem, wenn viele Spuren und Echtzeit-Effekte ins Spiel kommen, kommt Garageband gern mal ins Stocken. Hier kann das neue iPad Pro 2018 dank des A12X Bionic seine Muskeln spielen lassen. In unseren Probeaufnahmen haben wir es nicht geschafft, das iPad Pro ins Schwitzen zu bringen.

Zweiter Pluspunkt der Hardware sind die neuen Lautsprecher: Wer Kopfhörer, Studioboxen oder ähnliches nicht zur Hand hat, war früher praktisch im Blindflug unterwegs. Das neue iPad Pro liefert mit seinen vier überarbeiteten Speakern und einer komplett neuen Audio-Architektur einen erstaunlich fetten und akkuraten Sound, der eigentlich überhaupt nicht nach Tablet oder Notebook klingt. Der macht sich nicht nur beim Filme-Schauen bezahlt, sondern auch beim gelegentlichen Reinhören oder Mixen unterwegs.

Wer schnell mal eine Songidee oder eine Sprachspur für einen Podcast ohne Zusatzmikrofon aufnehmen will, freut sich über die fünf eingebauten Mikrofone. Das iPad Pro nimmt in Stereo auf, egal in welcher Ausrichtung es sich gerade befindet. Die Tonqualität von Stimme und Instrumenten konnte in unserem Test voll überzeugen. Nach wie vor ist ein Mikrofon natürlich nicht überflüssig, aber der Klang ist bei Aufnahmen um Welten besser als bei den Vorgängern.

Bei der Arbeit in Mehrspur-Programmen macht sich der Platz auf dem größeren 12,9“ iPad bezahlt. Zudem zeigt sich der Apple Pencil als Mausersatz praktisch, wenn es um das gezielte Verschieben und Trimmen von Audioloops und -schnipseln geht.

USB-C übernimmt

Dass Apple beim neuen iPad Pro den USB-C Port mitgebracht hat, ist sicher für Musikproduktion ein Segen: Mit Adaptern lassen sich USB-A-Geräte wie externe Mikrofone für Podcaster und Instrumentenaufnahme anschließen und mit Apps wie Garageband oder Musikmemos nutzen. Zudem können Musiker, die auch ein Macbook oder Macbook Pro besitzen, alle Geräte mit einem Netzteil beim Gig aufladen.

Leider hat Apple gleichzeitig auch die 3,5-mm-Kopfhörerbuchse wegrationalisiert, wie schon zuvor beim iPhone. Damit passen viele Kopfhörer erst einmal nicht mehr einfach so ans iPad. Wer also zum Beispiel einen besonderen Studiokopfhörer weiter nutzen möchte, muss sich den offiziellen Kopfhöreradapter kaufen, der mit 10 Euro immerhin erschwinglich zu haben ist. Die Anschaffung lohnt sich alleine zum Musikhören mit dem iPad Pro, um die alten Kopfhörer weiter nutzen zu können. Diese klingen über USB-C sehr gut, aber nicht merklich besser.

Bluetooth-Kopfhörer sind in der Musikproduktion ein Sonderfall: Gerade als Studiokopfhörer sind sie eine kaum geeignete Option. Der Grund liegt bei der Latenz. Bei der Aufnahme von Keybords kommt es so zum Beispiel zu einer Verzögerung zwischen dem Drücken einer Taste und bis der Klang dazu im Kopfhörer ankommt. Bei sphärischen Synthie-Sounds mag das gerade noch klappen, wer aber anspruchsvolle Piano-Spuren so einspielen will, hat keinen Spaß.

Externe Hardware löst den fehlenden Port ab

Trotzdem ist die fehlende Kopfhörerbuchse in der Praxis kaum ein Problem: Meistens kommt bei der Aufnahme sowieso entweder ein Audio-Interface oder ein externes Mikrofon zum Einsatz. Und die haben in der Regel auch eine Audio-Buchse zum Mithören: Das von uns getestete Blue Yetikommt unten mit einer Buchse für den Kopfhörer und kann am Mikrofon den Gain für den Eingang und die Monitorlautstärke regeln. Dank USB-C-Adapter funktioniert es perfekt am iPad. Für den Sound – egal, ob Podcast oder Musikaufnahme – lohnt sich der Einsatz eines guten Mikrofons, allein weil es verschiedene Mikrofoncharakteristika wie Niere für Gesang oder Stereo für akustische Gitarren beherrscht, die sich leicht an der Rückseite per Regler auswählen lassen.

Das Yeti von Blue Microphones bietet vier unterschiedliche Richtcharakteristika
Das Yeti von Blue Microphones bietet vier unterschiedliche Richtcharakteristika
Foto: Blue Microphones

Hersteller reagieren bereits auf den neuen USB-C-Port. IK-Multimedia verwendet zum Beispiel an seinen Midi-Keyboards ein spezielles Mini-Din-Kabel, das zu Geräten wie iRig MIDI 2, iRig Keys oder dem Gitarren-Interface iRig Pro Duo passt. Der Hersteller bietet jetzt für iPad Pro und Macbook, Macbook Pro und Air-Besitzer ein USB-C auf Mini-Din-Kabel für etwa 30 Euro an. Derzeit ist also mit Adaptern und Zusatz-Kabeln noch Extra-Aufwand gefragt – es ist aber sicher nur eine Frage der Zeit, bis die Hersteller per Standard auch ein USB-C Kabel mit Audio-Zubehör mitliefern.

Praktische Komplettlösung für Bühne und Aufnahme mit USB-C

Wer einen kompakten Begleiter für Studio oder den Livegig sucht, der einfach alles kann, wird mit dem i Rig Keys I/O 25 fündig: Es kombiniert ein MIDI-Keyboard mit einem Audio-Interface, an das sich Mikrofone, Gitarren und andere Instrumente anschließen lassen. Vor allem in der Variante mit 25 Tasten ist es sehr kompakt. Mit einem Adapter oder dem zusätzlichen USB-C auf Mini-Din-Kabel funktioniert es sofort mit dem iPad Pro, etwa in Garageband, Sample Tank oder Syntronik Pro-V. Über die „Extern“-Funktion in Garageband lassen sich noch kompatible Apps wie zum Beispiel der Retro-Synthie Poison von JimAudio mit dem iRig Keys I/O 25 nutzen.

Zusammen mit dem iRig Keys I/O wird das iPad Pro zu einem sehr portablen Produktionsstudio, das auch noch ohne großen Kabelsalat auskommt: Das Keyboard wird direkt über USB-C mit Strom versorgt – und funktioniert zusätzlich auch mit iPhone, Mac und PC. In Garageband lassen sich über die Slider am Keyboard die Oktaven wechseln oder die Sounds modulieren. Schade ist nur, dass die Drehknöpfe nicht in Garageband, sondern nur in Sample Tank Funktionen etwa der Synthies übernehmen. Voll überzeugen können dafür die kompakten Tasten, die sich aber beim Spielen anfühlen wie Große und auf Geschwindigkeit und Anschlag reagieren. So ist gelingt das gefühlvolle Einspielen von Keyboard-Spuren.

Hinten am iRigKeys I/O sind alle Anschlüsse für Mikrofone und Instrumentenkabel angebracht, die ein Audio-Interface braucht. Das ist nicht nur für die Aufnahme interessant, sondern auch für die Bühne: IK Multimedia und andere Hersteller bieten zum Beispiel Apps an, die Effektpedale für Gitarren simulieren. AmpliTube bietet zum Beispiel eine Kollektion mit den Sounds von Jimi Hendrix oder Slash. Per App, In-App Kauf und iPad Pro sind diese Sounds erschwinglicher als die realen Geräte. Mit der Performance des iPad Pro und USB-C laufen Effekt-Apps besser als mit alten Geräten.

Neue Kürzel fürs iPad Pro

Einen Riesengewinn bei der Arbeit mit Garageband bringen die Tastaturkürzel seit dem letzten Update im November 2018, wenn man mit dem Smart Keyboard Folio arbeitet. So lässt sich das iPad Pro nicht nur aufstellen, sondern Funktionen wie das Löschen der letzten Aufnahme, das Wechseln von Spuren, Abspielen, Aufnahme, Rückgängig und wiederherstellen, Stummschalten von Spuren und vieles mehr per Tastatur steuern. Wer schon einmal mit einer Akustik-Gitarre vor Garageband gesessen hat, weiß, wie praktisch das sein kann. Gleichzeitig ist auch die Bedienung per Touch möglich, was in Garageband oft intuitiver ausfällt als mit der Maus. Manches ist auch iOS-Exklusiv wie das Mixen von Live Loops.

iPad Pro als Erweiterung oder Vorstufe für den Mac

Ein weiterer Bereich, in dem das iPad Pro glänzen kann, ist als Fernbedienung für Logic Pro X auf dem Mac. Wem Garageband auf Dauer zu limitiert ist, kann mit der Profi-Musikproduktion wesentlich mehr Freiraum und besseren Klang für seine Projekte herausholen. Beim Ein- oder Umstieg hilft ein vereinfachter Modus für Garageband-Anwender. Insgesamt sieht aber Logic Pro X dem kleinen Bruder nicht nur sehr ähnlich, sondern kann auch Projekte aus Garageband öffnen.

Daraus ergibt sich ein praktischer Workflow: Musiker können unterwegs Songideen auf dem iPad festhalten und dann am Desktop oder auf dem Macbook die Projekte öffnen und in Logic Pro X weiter bearbeiten. Das Öffnen erfolgt nahtlos ohne Import, zum Beispiel einfach vom iCloud Drive. Dabei kann es höchstens zu Problemen mit Plug-ins, also Sounds von externen Apps kommen, die es nicht auf dem Mac, aber unter iOS gibt. Dafür bietet Logic X aber meist genug Sound-Alternativen in seiner reich bestückten Bibliothek.

Plugin.jpg Beim Übergang zu Logic X Pro auf dem Mac können externe Plugins aus iOS fehlen.
Plugin.jpg Beim Übergang zu Logic X Pro auf dem Mac können externe Plugins aus iOS fehlen.

Mit der App Logic Remote wird es zusätzlich interessant: Die App verbindet sich mit dem Desktop-Programm und holt das Mischpult auf den Touchscreen des iPad Pro. Damit lässt sich besonders intuitiv mischen. Wer echte Regler vom Mischpult aus dem Studio gewohnt ist, wird sich schnell an diesen Segen gewöhnen. Auch hier kann das iPad Pro nicht nur mit seinem großen Bildschirm und damit Platz für viele Spuren glänzen – über das Smart Keyboard sind außerdem noch Tastaturkürzel für Logic Remote verfügbar, die einfach zum Beispiel den Song starten oder pausieren.

Fazit: Bestes mobiles Instrument und Studio

Das iPad Pro 2018 kombiniert die Vorteile eines iPads mit Performance von schnellen Notebooks. Gerade in der Musikproduktion bringt das viele Vorteile, etwa wenn rechenintensive Echtzeit-Effekte in Multitrack-Aufnahmen zum Einsatz kommen. USB-C, der neue Apple Pencil und der große Bildschirm des 12,9“-Modells in einem dennoch kompakten Gerät plus die Shortcuts mit dem Smart Keyboard-Folio ergeben ein Paket, das Lust macht und die Möglichkeit bringt, überall sofort musikalische Ideen umzusetzen, statt warten zu müssen, bis man zu Hause im Studio ankommt. Zudem kann das iPad auf der Bühne ein Performance-Instrument oder Multieffektgerät, im Studio ein Mischpult für Logic Pro X und noch vieles mehr sein. Auch hier kann die Performance des neuen iPad Pro nur ein Gewinn sein, da Rechenleistung immer das beste Gegenmittel gegen Latenzen ist.

Apple Pencil mit Potential

Der Apple Pencil ist in seiner zweiten Generation mehr als ein Zeichenstift, mit der richtigen Unterstützung der Software fungiert er gerade bei der Audioproduktion als nützliches Eingabe- und Bearbeitungsgerät, wie Jason Snell hier noch genauer ausführt. Was wir uns aber noch wünschen: Notensatz mit dem Apple Pencil. Es wäre womöglich ein wenig viel verlangt, einfach auf dem Notizblock fünf Linien zu ziehen und Melodien und Akkorde hinzuschreiben, in Garageband und Logic Remote wäre ein derartiger Einsatz des Stiftes aber wünschenswert: Mit der genau definierten Spitze ist man beim Noten setzen weit präziser als man es mit Maus oder Touch je sein könnte. (Macwelt)