Das Information-Centre - Konkurrenz für das Rechenzentrum?

14.06.1985

Professor Dr. Werner Dirlewanger Kassel Leiter des Rechenzentrums

Mit Aufkommen der ersten Mikroprozessoren Anfang der siebziger Jahre setzte eine Entwicklung ein, die zunächst alle Bereiche der EDV-Welt interessiert hinblicken ließ: Man hatte die Spielzeugdampfmaschine, der großen EDV-Welt gebaut, und es machte Spaß - sozusagen am Feierabend - sich ein wenig damit zu beschäftigen. Nur wenige Jahre später wurde der Spaß getrübt, denn diese Winzlinge fingen an, sich Sachen zu erlauben, die etwa einer mittleren 360er des Marktführers (also einer zum Teil noch im Gebrauch befindlichen Maschine) schon zu Ehren gereicht hätte. Viele EDV-Abteilungen ahnten nicht, daß der Trend "Mein Mikro und ich können das viel schneller als ihr in der zentralen EDV - und das auch noch billiger" einsetzte. Diejenigen EDV-Abteilungen, die begriffen, was hier im Kommen war, fingen zu Recht an, Existenzängste zu spüren.

Gehen wir in der Zeit nun etwas weiter. Die ersten Jahre unseres Jahrzehnts waren (für die RZ-Leute) in der Tat weitgehend von der Frage geprägt, wie und wohin sich das im Umbruch befindliche Rechenzentrum beziehungsweise sein Aufgabenspektrum entwickeln werde. Heute, im Jahr 1985, ist festzustellen, daß die Antwort schon gut erkennbare Konturen angenommen hat: Neben der Tatsache, daß das Rechenzentrum, wenn auch mit geschmälertem Aufgabenbereich, seinen Platz behaupten wird, entwickelt sich ein neuer Typ einer Organisationseinheit. Diese besteht in Kooperation mit dem Rechenzentrum und nicht in Konkurrenz zu ihm. Die Notwendigkeit dieser Abteilung geht aus dem Bedarf nach unterstützender und betriebsweit koordinierender Hilfe für den mündig gewordenen - also gute DV-Kenntnisse besitzenden und der Problemanalyse sowie der Programmierung weitgehend fähig gewordenen - Anwender hervor.

Dieser neue Anwender ist dadurch gekennzeichnet, daß er durch seinen Mikro ausreichende Speicher- und Verarbeitungskapazitäten "vor Ort" besitzt; und er sieht sich imstande, wesentlich schneller und flexibler in gewissen Bereichen Problemlösungen vorzulegen, als es die klassische DV-Organisationsform vermag. Letzterer gelang es nicht, die Durchlaufzeiten vom Auftauchen eines Problems bis zur Vorlage eines fertigen Ergebnisses so zu beschleunigen, wie dies heute vom Anwender gefordert wird. Nicht nur der so viel zitierte Auftragsrückstau ist das Problem. Dieser könnte eventuell auch durch kräftige Erhöhung der Kapazitäten in der DV-Abteilung abgebaut werden. Vielmehr ändert sich die Fragestellung von Aufgaben heute so schnell, daß der klassische, schwerfällige Weg über Aufgabenanalyse, Softwareentwicklung und DV-Produktionslauf die Lösung erst recht spät präsentieren: dann nämlich, wenn die Frage in der ursprünglichen Form gar nicht mehr besteht.

Wesentlich zu dieser zeitlichen raschen Wandlung der Fragestellungen hat der Einsatz der Kleinrechner beigetragen. Sie tauchen, breit verteilt, in allen Fachabteilungen auf und erlauben es im Zusammenhang mit problemnahen, benutzerfreundlichen Sprachen dem Anwender in vielen Fällen, sich die Lösung schnell selbst zu verschaffen. Damit liegt beim Nutzer oft die ganz wesentliche Mitwirkung, ja oft die fast alleinige Gestaltung der Problemlösung und die klassische DV-Organisation verliert eine ihrer Grundaufgaben.

Andererseits entsteht ein neuer Bedarf. Er betrifft die zentrale Beratung und die Koordination der vom Anwender eingesetzten Werkzeuge. Die Kleinrechnerhardware bildet hierbei nur die Basis, während die Lösungsverfahren einschließlich ihrer softwaremäßigen Realisierung oder gar Generatoren für Lösungen die eigentlichen Werkzeuge sind. Neben der beratenden Anwenderunterstützung ist eine unternehmensweite Koordination unerläßlich. Diese "individuelle Datenverarbeitung" verlangt nach einer gesteuerten und kontrollierten Einführung und nach ebensolchem Einsatz.

Organisationseinheiten, die solche Aufgaben wahrnehmen, sind zunehmend zu finden. Ihre Aufgabenstellung und ihr Methodenspektrum läßt sie als mehr oder weniger weit entwickelte Varianten dessen erkennen, was seit kurzem als "Information Centre" mit einem Namen belegt und damit auch begrifflich institutionalisiert wurde. Das Konzept des Information Centre (mehrheitlich angelsächsisch "Centre" und nicht amerikanisch "Center" geschrieben) entstammt aus Überlegungen namhafter amerikanischer Universitäten,und ist etwa ein halbes Jahrzehnt alt. Dieser Denkansatz ist derzeit von DV-Herstellern, insbesondere der IBM, forciert und von Wirtschaftsunternehmen durchaus angenommen. Wie weit er sich endgültig durchsetzen wird, ist im Moment noch nicht ganz abzusehen.

Für das Rechenzentrum bleibt unangetastet die Tatsache bestehen, daß die zentralen Daten weiterhin der Dreh- und Angelpunkt jedes Unternehmens sind. Diese Daten können und dürfen nicht aus der unternehmenszentralen Kontrolle geraten. Dort hat die zentrale DV - also das klassische Rechenzentrum mit seinen operationalen Verfahren - einen unangreifbaren Stammplatz.