Das Herz der Weltwirtschaft

30.08.2007
1992 erklärte die Aberdeen Group den Mainframe zum "sterbenden Dinosaurier". 14 Jahre später sagen die Trendforscher, dass er eine wichtige Rolle einnimmt zumindest in vielen der 5000 Großkonzerne weltweit.

Aberdeen begründet den Rückzieher. Die Kernanwendungen auf Großrechnern seien entgegen den Erwartungen der Analysten nie migriert worden. Nach wie vor ständen sie im Zentrum der Geschäftsprozess-Organisation von Konzernen und bildeten damit immer noch "das Herz der Weltwirtschaft", schreiben die Analysten in einer Untersu-chung. Und: Obwohl "Abermillionen von Unix-, Linux- und Windows-Servern sie seitdem umzingeln", sind Mainframes in Großunternehmen nie ausgemustert worden.

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was Analysten zur Zukunft des Mainframes sagen; wodurch sich die System-z-Mainframes auszeichnen; für welche Firmen sich der Großrechnereinsatz lohnt; warum Mainframes manchmal weniger zuverlässig sind.

Innovative Technik, kreative Preisgestaltungen und eine Zusammenführung von Industriestandards über diverse Plattformen hinweg hätten, so Aberdeen, IBMs aktuelle Mainframe-Generation, die System-z-Modelle, zu einem häufigen Gegenstand ernsthafter Überlegungen in IT-Abteilungen gemacht. Dort stelle man sich sogar die Frage, ob künftig mehr IT-Aufgaben auf Großrechner übertragen werden.

Mainframes eine wachsende Plattform

Bereits im April 2007 hatte der bei IBM als Vice President für den weltweiten Vertrieb von Mainframes zuständige Robert Hoey im Gespräch mit der computerwoche gesagt: "Der Mainframe ist eine wachsende Plattform." Das zeigte sich auch in IBMs Geschäftszahlen für 2006 (Ende: 31. Dezember 2006).

Die Hardwaresparte der IBM, die in der Systems and Technology Group (STG) zusammengefasst ist, schnitt im vergangenen Jahr mit einem Zuwachs von 4,7 Prozent gegenüber 2005 ohnehin schon gut ab. Zu bemerken ist, dass die IBM der Vergleichbarkeit der Jahre 2005 und 2006 wegen bei den Angaben zu den Hardwareumsätzen diejenigen nicht einbezog, die sie in den ersten vier Monaten 2005 mit PCs erwirtschaftete. Big Blue verkaufte die PC-Division mit Wirkung zum 30. April 2005 an Lenovo.

Zur STG gehören neben den System-z-Großrechnern die System-i-, System-p-und System-x-Linien, das Massenspeichersegment, die Microelectronics-Division (Prozessoren für die Rechner- und Spieleindustrie sowie Netzwerkkomponenten), die Drucker sowie Lösungen für den Retail-Markt.

Die "Dinosaurier", die System-z-Maschinen also, glänzten im vergangenen Jahr in der STG mit einem Umsatzzuwachs von 7,8 Prozent. Keine andere Rechnerlinie von IBM war auch nur annähernd so erfolgreich wie die Old-School-Plattform.

Erfolgreichste Produktlinie der IBM

Nicht einmal die System-x-Maschinen konnten mit einem Umsatzwachstum von 3,7 Prozent mit den Zuwachsraten der Großrechner mithalten. Die System-i- und System-p-Rechnerlinien mussten sogar Umsatzrückgänge verzeichnen.

IBM erklärt den Umsatzzuwachs bei den Großrechnern in seinem Geschäftsbericht zum einen mit der anhaltenden Akzeptanz der Kunden für so genannte Special Engines. Das sind Spezialprozessoren für die System-z-Maschinen, die für bestimmte Aufgaben wie Linux- und Java-Workloads entwickelt wurden. Zum anderen wollen die Kunden auch weiterhin herkömmliche, klassische Legacy-Workloads auf den Großrechnern nutzen. Nicht von ungefähr stieg deshalb auch die Zahl der implementierten Mainframe-MIPS im Jahr 2006 sogar um elf Prozent.

Mainframes ein Auslaufmodell?

Solche Zahlen scheinen in einem eigenartigen Kontrast zu den Angaben zu stehen, die ein Gesprächspartner gegenüber der computerwoche machte. Er ist Manager bei einem sehr großen deutschen Unternehmen, das auch eine Vielzahl von Großrechnern nutzt. Seiner Meinung nach betrachtet die IBM die Mainframes als Auslaufmodell, mit dem das Unternehmen noch so lange als möglich Geld abschöpfen wolle. Seine Begründung: "Wenn man sich die Preispolitik von IBM bei Mainframes ansieht, fällt mir kein anderer Schluss ein." Olaf Strathmann, Vertriebsleiter bei der Wilken GmbH, kann diese Argumentation jedoch nicht nachvollziehen. Wer so viel in die Weiterentwicklung einer Plattform investiere, der tue dies nicht, um sie dann einzustampfen (siehe Interview auf Seite 18). Allerdings beschweren sich auch andere Anwender darüber, dass IBM die Preise in diesem Plattformsegment mehr oder weniger nach Belieben diktieren kann.

Eintrittsbarrieren in die Großrechnerwelt beseitigt

Für die Hardware kann die Argumentation von der Auslaufgeneration nicht gelten. Denn hier hat Big Blue seit der Einführung der zwei neuen System-z-Plattformen Enterprise Class (EC) und Business Class (BC) am 27. April 2006 sogar Eintrittsbarrieren in die Großrechnerwelt beseitigt. Für eine Rechenleistung von 26 Großrechner-MIPS in der BC-Klasse beginnen die Preise bei rund 100 000 Dollar. Die Power der Systeme kann von einem Einstiegs-BC-System schrittweise bis hin zu 18 000 Mainframe-MIPS bei einer Highend-EC-Maschine gesteigert werden. Abgesehen von schrittweisen Rechner-Upgrades könnten Anwender im Zuge des Capacity-on-Demand-Programms zu Spitzenzeiten auch Rechenleistung mieten, betont Aberdeen in der Untersuchung "Rethinking the IBM-Mainframe". Allerdings hat solcher Service einen hohen Preis.

Jedem seinen Mainframe auch für kleinere Firmen

IBMs Mainframe-Marketing-Verantwortlicher Hoey will denn auch an dem Beispiel des klei-nen belgischen Mittelständlers Nexxar belegen, dass das Thema Großrechner mittlerweile auch für kleinere Unternehmen interessant ist. Nexxar habe früher 80 Intel-Server betrieben. Um ihre heterogene Server-Umgebung zu konsolidieren, sei die Firma auf einen kleineren System-z-Mainframe der BC-Klasse umgestiegen. Der kostete etwa 125 000 Dollar. Unter anderem habe Nexxar damit seine hausinterne Servicemannschaft für die Rechner um 75 Prozent reduzieren können.

Wofür Anwender auf keinen Fall bezahlen wollen

Auch in Sachen Softwarekosten hat Big Blue ein Modell etabliert, das für Anwender interessant ist. Früher kalkulierte die IBM und die meisten der weltweit rund 1300 Independent Software Vendors (ISVs) die Preise für ihre Großrechnerapplikationen anhand der Rechenleistung in MIPS eines Mainframes. Diese Methode "One size fits all" war allerdings den Mainframe-Verkäufen abträglich. Denn Anwender wollen verständlicherweise nicht für Leistungen bezahlen, die sie überhaupt nicht in Anspruch nehmen. Mit dem Konzept der Specialized Engines hat Big Blue hier gegengesteuert.

Bei diesen handelt es sich um Spezialprozessoren, die für bestimmte Aufgaben entwickelt wurden. Der "System z9 Application Assist Processor" (zAAP) beispielsweise stellt unter dem z/OS-Mainframe-Betriebssystem auf der System-z-Plattform eine Java-Ausführungsumgebung bereit. Der Prozessor Integrated Facility for Linux (IFL) wiederum ist auf Linux-Workloads zugeschnitten. Mit dem "System z9 Integrated Information Processor" (zIIP) lassen sich Anfragen in IBMs DB2-Großrechnerdatenbank beschleunigen.

Die Wirkung der Specialized Engines auf die Softwarelizenzkosten ist einfach: DB2-, Java- oder Linux-Workloads werden auf diese Specialized Engines heruntergeladen und dort verarbeitet. Das z/OS-Betriebssystem verwaltet diese Workloads. Wichtig ist nun: Die Spezialprozessoren werden für die Berechnung der MIPS, die wiederum für die Software-Preisgestaltung von entscheidender Bedeutung sind, nicht in die Kalkulation einbezogen. Interessant für Anwender ist zudem die Tatsache, dass Mikrocode und Software-Tools auf den Specialized Engines dafür sorgen, dass die Workloads "beträchtlich effizienter" laufen, schreibt Aberdeen.

IBM wirbt denn auch mit der Aussage, Anwender könnten mit dem Application Assist Processor die IT-Kosten etwa für den Websphere-Application-Server und andere auf Java basierende Anwendungen senken. Mit der Integrated Facility for Linux ließen sich ferner zusätzliche Verarbeitungskapazitäten implementieren, ohne dass dies Auswirkungen auf die Kosten hat.

Unabhängige Softwarehäuser haben schon reagiert: Rund 80 Prozent von ihnen migrierten Aberdeen zufolge Anwendungen, die die Websphere-Plattform unterstützen, auf die System-z-Großrechner SAP ist einer davon.

Im Zentrum der Anwendungen der größten Unternehmen

Zudem kosten die Spezialprozessoren nur rund ein Viertel so viel wie Standard-Mainframe-CPUs. Nicht überraschend ist deshalb die Wachstumsrate für die Spezialprozessoren auch hoch. Im ersten Vierteljahr 2007 hat IBM weltweit allein mit Spezialprozessoren rund 1,7 Millionen Mainframe-MIPS abgesetzt. 1,2 Millionen davon entfallen auf IFL-Prozessoren, die unter Linux laufen. Jim Stallings, General Manager der System-z-Mainframes, sagte, IBM verkaufe mittlerweile ungefähr ein Viertel seiner gesamten Mainframe-MIPS in Linux-Workload-Umgebungen.

Diese Aussage hat auch insofern Gewicht, als DB2-, Java- und Linux-Workloads im Zentrum der Applikationsrealität der Global-5000-Unternehmen stehen. Der Trend zur Service-oriented Architecture (SOA) mache IBMs neue Technik- und Kostenmodelle im System-z-Umfeld noch interessanter, sagt Aberdeen. Denn diese Workload-Typen basierten auf Industriestandards, die über alle Hardwareplattformen hinweg genutzt würden.

Einspruch, Euer Ehren - wie viel Mainframe? Wofür?

Diese Sicht der Dinge bleibt allerdings nicht unwidersprochen. Der Analyst Dale Vecchio von Gartner sieht zwar auch, dass heutzutage viel in Business-Process-Management-Aktivitäten und SOA-Techniken investiert wird. Diese Anstrengungen dienten zudem dazu, Mainframe-Anwendungen zu modernisieren. Aber Vecchio glaubt, dass Unternehmen diese Trends vor allem nutzen, um neuere "Applikationsarchitekturen" zu evaluieren. Die IT-Branche werde deshalb ?† la longue eine "deutliche Ausrichtung von großen Hardware-, Software- und IT-Service-Anbietern auf die Wünsche von Anwendern sehen". Und die hätten eben im Sinn, ihre Legacy-Portfolios zu modernisieren.

Vecchio führt noch zwei weitere Argumente gegen den zweiten Frühling der Mainframes ins Feld. Zum einen brächten die HPs, Fujitsus etc. dieser Welt immer robustere und leistungsfähigere Plattformalternativen auf den Markt. Unbestreitbar zwar könnten die Großrechner mit den altbekannten RAS-Tugenden Reliability, Availability und Sustainability auftrumpfen, der Zuverlässigkeit, der ständigen Verfügbarkeit und der Langlebigkeit der Maschinen also. Vecchio stellt sich aber die Frage, wie viele Anwendungen es überhaupt gibt, die den von Mainframes garantierten Grad an Zuverlässigkeit überhaupt brauchen. Nach Wilken-Manager Strathmann sind dies allerdings immer noch eine ganze Menge.

Mainframe: Weniger zuverlässig bei neuen Anwendungen?

Schwerer wiegt ein weiteres Argument von Vecchio: Das Argument der Zuverlässigkeit von Mainframes werde unter bestimmten Voraussetzungen abgeschwächt. Dann nämlich, wenn IBM-Mainframe-Kunden neuere Entwicklungen wie Java und SOA auch in der IBM-Großrechnerwelt nutzen wollen und hierfür auf Big Blues weiterentwickelte Produktangebote wechseln. In diesem Fall erkauften sie sich diesen Wechsel mit einem Verlust an Zuverlässigkeit. Eine "moderne" Mainframe-Umgebung nutzen zu wollen, wenn man von älteren, wiewohl stabilen Legacy-Plattformen kommt, könne deshalb erhebliche Investitionen nach sich ziehen, sagt Vecchio.

Ein biologisches Problem: Keine Mainframe-Experten

Das eigentliche Hauptproblem für die Zukunft der Mainframe-Plattform sieht Vecchio jedoch im Generationenwechsel der IT-Experten, den veränderten Ausbildungsinhalten und dem andersartigen Know-how der nachwachsenden Informatiker.

IBM hat die Gefahr allerdings erkannt. Deshalb begann das Unternehmen 2006 ein auf fünf Jahre angelegtes Softwareprojekt. Ziel ist es, Tools zu entwerfen, die es Anwendern zum einen erleichtern, ihre Mainframes zu handhaben und zu verwalten. Zum anderen will IBM die Anmutung der Benutzeroberflächen an die Server-Umgebungen von Windows, Linux und Unix anlehnen. So soll es zum Beispiel für Anwenderunternehmen einfacher werden, Mitarbeiter aus- und weiterzubilden, die nicht in der Legacy-Umgebung groß geworden sind, also keine Erfahrung mit Großrechnern besitzen.

Ob das reicht, neue Kunden für die Großrechnerwelt zu begeistern #224; la Nexxar, bleibt dahingestellt. IBM selbst gibt sich bei der Frage nach dem Neukundengeschäft eher zugeknöpft. Hoey konzediert lediglich, dass Big Blue nicht so erfolgreich war, wie es sich das Unternehmen erhofft habe.

Das Mainframe-Business ein lohnendes Geschäft

Für IBM ist das Mainframe-Segment allemal ein lohnendes Geschäft. Die Verkäufe steigen jährlich um rund fünf Prozent - wobei die vergangenen Quartale erheblich über diesem Wert lagen. Der Return on Investment für das Großrechnersegment ist erklecklich. IBM schweigt sich zwar auch über solche Zahlen aus. Marktexperten gehen aber davon aus, dass IBMs Bruttogewinn im Mainframe-Bereich zwischen 85 und 90 Prozent liegen könnte.

Laut dem Marktforschungsinstitut IDC hat IBM seit Anfang 2000 bis Ende 2006 seinen Marktanteil im Segment der über 250 000 Dollar teuren Server um 15 Prozent gesteigert. Bei Modellen dieser Preiskategorie haben Hewlett-Packard (HP) und Sun Microsystems im gleichen Zeitraum entweder leicht (HP) oder spürbar (Sun) Marktanteile verloren.