Deutsche Start-ups/Interview mit Start-up-Förderer und -Investor Peter Dietz

Das Glücksgefühl gegen Siemens einen Abschluß gewonnen zu haben

25.09.1998

CW: Wer ein Unternehmen gründen will, findet heute vergleichsweise gute Bedingungen vor. Nachdem der Investitionsstock aller Kapitalbeteiligungsgesellschaften über Jahre stagnierte, hat es 1997 einen deutlichen Zuwachs gegeben. Worauf führen Sie das zurück, ist die Politik die treibende Kraft?

Dietz: Sie hat sehr wenig dafür getan. Meiner Meinung nach sollte sie sich auch darauf beschränken, günstige Rahmenbedingungen zu schaffen. Sie könnte zum Beispiel Kapitalbeteiligungsgesellschaften steuerlich genauso stellen wie Privatpersonen, die sich an Unternehmen beteiligen und ihre Veräußerungsgewinne - anders als in den USA - steuerfrei mitnehmen können.

CW: Business Angels finden also exzellente Bedingungen vor, ihr Geld zu investieren und wann immer sie wollen auszusteigen?

Dietz: Ja. Was aber für den Business Angel gilt, sollte auch für eine Kapitalbeteiligungsgesellschaft gelten.

CW: Politiker haben sich die Themen Existenzgründung und neue Technologien zu Herzen genommen. Ist das nicht wahltaktisches Kalkül?

Dietz: Wie Politiker an der Sache vorbeiargumentieren, zeigt die Forderung nach einem stärkeren Engagement der Banken beim Risikokapital. Banken finanzieren Kredite und stellen kein Eigenkapital bereit. Alle moralischen Appelle, der Aktionismus und was dazu in den Wahlprogrammen steht, ist oft purer Nonsens.

CW: Wie sehr sich die Politik in neue Märkte orientiert, zeigt sich in München. In der Isar-Metropole tobt ein regelrechter Krieg um die beste Existenzgründereinrichtung. Der Freistaat Bayern investiert in Innovationszentren, die Münchner SPD verspricht Bürgschaften zur Abfederung von Risiken. Die Politik tut doch viel für die jungen Unternehmen.

Dietz: Nichts gegen Gründerzentren. Ich habe selbst vor Jahren eins etabliert, übrigens mit privaten Mitteln. Dennoch: Je mehr der Staat mit Entwicklungskostenzuschüssen etc. direkt Einfluß in Unternehmen nimmt, desto mehr verhindert er die Entstehung eines gesunden Beteiligungsmarkts für wachstumsverdächtige High-Tech-Unternehmen.

CW: Welche negativen Einflüsse gehen denn von staatlichen Mitteln und Förderprogrammen aus?

Dietz: Ich habe die Auswirkungen in meinem früheren Unternehmen beobachtet. Erstens richtet man sich nicht nach dem Markt, sondern nach dem Förderprogramm, das irgendwelche Bürokraten erfunden haben. Zweitens kämpft man nicht um Kunden, sondern um staatliche Zuschüsse. Damit ruiniert man die Seele des Unternehmens.

CW: Sie appellieren an gestandene Unternehmer, sich um junge innovative Gründer zu kümmern. Selbst Minister Rüttgers hat unlängst ein Netzwerk von Business Angels ins Leben gerufen. Was sollte einen solchen Paten auszeichnen?

Dietz: Er sollte nicht nur schlaue Sprüche klopfen, sondern vor allem bereit sein, Geld zu investieren. Nur dann ist er glaubwürdig. Er muß selbst Mut zum Risiko demonstrieren.

CW: Könnte man ein solches Konzept institutionalisieren?

Dietz: In den USA geht das meist über private unternehmerische Netzwerke. Zumindest in großen Zentren wie Boston oder San Franzisko kann man auf staatliche Hilfen verzichten. In Deutschland hingegen werden zur Zeit fünf Gründungslehrstühle eingerichtet, um Studenten auf die Selbständigkeit vorzubereiten.

CW: Kann man Unternehmer machen?

Dietz: Nein. Zum Unternehmer muß man eine gewisse Disposition mitbringen, die allerdings vielleicht mehr Leute besitzen, als wir denken.

CW: Ist es denn richtig, daß die Betriebswirtschaftslehre das Gründungsthema für sich reklamiert?

Dietz: Es ist nicht ganz falsch. Nur: Die deutsche Betriebswirtschaftslehre hat sich nie richtig darum gekümmert. Sie befaßt sich mit der Mikroökonomie der Großunternehmen, wo es Kästchen gibt und die Menschen völlig austauschbar sind. Zwar gibt es auch hierzulande einige Wissenschaftler, die über Unternehmensgründungen forschen. Bisher haben sie es aber nicht fertiggebracht, praxisorientierte Seminare für die Studenten auf die Beine zu stellen.

CW: Wie sollte ein solches Seminar aussehen?

Dietz: Seit einigen Jahren versuche ich, Studenten an der Universität Dortmund zu vermitteln, was Selbständigkeit bedeutet. Wir befassen uns mit konkreten Problemen aus dem Unternehmensalltag oder feilen an einem Business-Plan. Ich lade gestandene Unternehmer ein, aber immer auch einen Pleitier. Er erzählt den Studenten, wie er seine Karre vor die Wand gefahren hat und wieder aus dem Schlamassel herausgekommen ist.

CW: Was unterscheidet denn die Gründungsszene im High-Tech-Sektor von der anderer Branchen?

Dietz: Sie funktioniert nach ganz anderen Spielregeln, als es die Lehrsätze der Betriebswirtschaftslehre behaupten, für die der mittelständische Betrieb nur Abbild eines Großunternehmens ist. Die IT-Gründungsszene unterscheidet sich aber auch vom Handwerk, wo alles irgendwie austauschbar ist und nach ehernen Gesetzen funktioniert. Viele IT-Gründungen hingegen wissen noch nicht, in welche Richtung sie tendieren; oft entwickeln sie Produkte, für die es noch gar keinen Markt gibt, und das in einem Zeitfenster, das nur kurzfristig geöffnet ist.

CW: Die Wirtschaft will mehr Einfluß in den Hochschulen gewinnen. Teilen Sie diese Absichten?

Dietz: Was mich daran stört, ist der gelegentliche Ruf nach dem dressierten Affen. Sollten perfekte NT-Programmierer die Hochschule verlassen? Ich plädiere dafür, daß das Informatikstudium eine starke theoretische Komponente hat, damit die Absolventen lernen, komplexe Systeme zu analysieren und zu modellieren.

CW: Zurück zum Gründerthema. Wie sollten sich junge Unternehmer verhalten? Etwa die Hand aufhalten und sich artig bedanken?

Dietz: Die Diskussion muß aus der unseligen Bemutterungs- und Samariterecke heraus. Ich bin überzeugt, daß bald viele vermögende Privatpersonen aus eigenem Interesse in die Gründerszene einsteigen werden. Es ist attraktiv, sich zu engagieren: Es macht Spaß, und man kann gutes Geld verdienen.

CW: Sie haben selbst ein VC-Unternehmen. Wie kommen Sie mit Gründern ins Gespräch?

Dietz: Wir unterstützen Start-ups im High-Tech-Bereich. Stimmen die Voraussetzungen, vor allem die Chemie, investieren wir unser Familienkapital, in manchen Fällen ergänzt um die Mittel anderer Investoren. Dabei greife ich auf ein Netzwerk zurück, das ich im Laufe meines abwechslungsreichen Lebens aufgebaut habe.

CW: Wie beurteilen Sie die VC-Szene in Deutschland?

Dietz: Venture Capital ist an einem möglichst starken Wachstum interessiert. Erreicht der Unternehmenswert eine bestimme Größenordnung, steigt man mit satten Gewinnen aus. Soweit, so gut. Allerdings rennen die meisten VC-Unternehmen derzeit zwei Trends hinterher: IT mit Fokus aufs Internet, ferner Life Science, also Bio- und Gentechnik. Volkswirtschaftlich halte ich das für bedenklich, zumal wir Chancen in anderen Märkten hätten.

CW: Aber die Investoren orientieren sich international. Was auf den Weltmärkten Chancen habe, argumentieren sie, verdiene ihre Unterstützung. Unsere Volkswirtschaft interessiert doch nicht?

Dietz: Damit haben die nicht ganz unrecht. Aber es gibt Bereiche, wo deutsche Unternehmen vorn sein können, nur kümmert sich niemand darum. Ich muß einräumen: Auch unser Unternehmen ist sehr IT-orientiert.

CW: Das hält Sie aber nicht davon ab, über den Tellerrand zu schauen?

Dietz: Ob es zum Beispiel den Markt der Mikromechanik bald geben wird, weiß keiner genau. Ich bin aber überzeugt: VC-Unternehmen tun sich selbst keinen Gefallen, wenn sie diese spekulativen Sektoren vernachlässigen.

CW: Eine These sagt, Geld sei genug vorhanden, nur fehle es an Gründern. Was sagen Sie dazu?

Dietz: VC-Unternehmen behaupten, es gebe zuwenig Projekte, die ein Engagement rechtfertigen und ein hinreichendes Wachstum versprechen. Viel wichtiger ist etwas anderes: Die deutschen VC-Unternehmen sind nach schlechten Erfahrungen viel vorsichtiger geworden. Vor allem im Seed- und Start-up-Bereich wird zu konservativ agiert. Den Risikokapitalisten sitzen halt Großinvestoren und Pensionsfonds im Nacken, die konkrete kurzfristige Renditeerwartungen haben.

CW: Im Augenblick ist jede Firma, die Venture Capital bekommt, auf dem Weg zur Börse.

Dietz: Das haben sie auch früher alle gesagt, nur hat es - von ein, zwei Ausnahmen abgesehen - nie funktioniert. Seit es jedoch den Neuen Markt gibt, hat sich das Blatt gewendet.

CW: Worauf führen Sie das zurück?

Dietz: Lange haben die Aktienkurse vor sich hingedümpelt, dann kam Phantasie herein. Die Kursentwicklung konnte aber wohl nicht so weitergehen, sie hat sich weit von den wirtschaftlichen Realitäten entfernt. Interessant wird sein, zu beobachten, wie sich der unvermeidliche Abschwung an den Aktienmärkten auf die aufstrebende Technologiebranche auswirkt, die an die Börse will. Gibt es eine sanfte Landung? Oder wendet sich das Publikum mit Grausen ab? Auszuschließen ist auch dies jedenfalls nicht.

CW: Was passiert, wenn die Party vorbei ist? Wie sehen Ihre Erfahrungen mit Mißerfolgen aus?

Dietz: Von zehn Projekten wird bestenfalls eines zum High- flyer, zwei oder drei sind ganz erfolgreich, und der Rest wächst sich zu Problemfällen aus. Niemand braucht sich dafür zu schämen, daß etwas in die Hose geht. Mich wundert, daß VC-Gesellschaften sich dazu bedeckt halten.

Wer in Deutschland als Unternehmer scheitert, ist Zielscheibe von Spott und Häme. Ist er erfolgreich, trifft ihn der Neid.

CW: Kein Land in Sicht?

Dietz: Ich war früher ein eher technisch orientierter Mensch. Trotzdem: Wirkliche Glücksgefühle hatte ich immer nur dann, wenn ein Geschäft unter Dach und Fach war. Es gibt für einen kleinen Unternehmer nichts Größeres, als wenn ein Kunde bei ihm und nicht bei Siemens kauft. Dieses Glücksgefühl wünsche ich auch den neuen Business Angels.

Peter Dietz

Nach seinem Physikstudium promovierte Peter Dietz, 65, in Informatik und trat 1951 in das Unternehmen seines Vaters ein. 1968 wurde er geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens, das sich inzwischen aus der industriellen Elektronik heraus zu einem Computerhersteller entwickelt hatte. 1983 entschied sich die Familie, das Unternehmen mit rund 500 Mitarbeitern an eine norwegische Gruppe zu verkaufen. Dietz ist seither in der Entwicklung und Finanzierung innovativer Infrastruktur- und Unternehmensprojekte tätig. Zudem ist er seit 1985 Lehrbeauftragter für Informatik an der Universität Dortmund.

Angeklickt

Politikerreden vermitteln den Eindruck, es herrsche "prima Klima" für Firmengründungen. Winfried Gertz sprach mit einem, der als Unternehmer, Wissenschaftler, Berater und Finanzier die Realität ins rechte Licht rückt.