Das "globale Dorf" ist möglich

04.12.1981

Techniker nehmen sich seit jeher vor, ein vorhandenes technisches Angebot besser zu machen oder durch ein ganz neues zu ersetzen. Insoweit sind die Techniker jeden Tag unterwegs nach vorn. Kreativität und ihr Ziel, die Innovation, machen vor den Labors der Techniker nicht halt. Innovation im strengen Sinn kann man zwar nicht immer planen, aber man muß sie wollen. Man kann auch herausfinden, was Innovationen und eine ihrer Voraussetzungen, die Kreativität, behindert oder fördert. Der Satz "Wir brauchen keine Ideen, sondern Produkte" ist jedenfalls ein falscher Satz. Denn am Anfang von Produkten standen immer Bedürfnisse und Ideen.

Der Vernetzung näher

Das ist auch bei den neuen Informationstechnologien so. Sie werden uns der Vernetzung der Welt näher bringen, und sie werden eine neue Qualität in dieses Netzwerk hineinbringen. Das erste Netz, das die Menschen miteinander knüpften, ergab sich aus dem Bedürfnis, das Leben und Überleben des einzelnen und der Art zu sichern. Das zweite Netz wurde gewirkt, um sich in der komplexer werdenden Umwelt behaupten zu können. Das dritte Netz, das wir heute zu knüpfen beginnen, erlaubt uns vielleicht, zu einem rationalen Modell der ganzen Welt vorzustoßen, in der alle ihre Lebenschance finden können.

Marshall Mc Luhan hat die Welt der näheren Zukunft einmal als "Global Village" beschrieben. Von der technischen Kommunikationsstruktur her wird dies bald möglich sein, wenngleich Technik und Kommunikation allein uns den Weg in unser "globales Dorf" nicht ebnen können. Doch sie können helfen, Grenzen zu überwinden und Brücken zu schlagen.

Mc Luhan meint, das neue Netz elektronischer Kanäle sei wie eine Erweiterung unseres eigenen Nervensystems. Und tatsächlich ist die Vernetzung der Welt ja auch kein Naturereignis, sondern ein Produkt menschlicher Gehirne. Die Elektronik vermittelt uns die Erweiterung unserer Fähigkeit, Informationen zu empfangen und zu verarbeiten. Wie wir sie nutzen und zu welchen menschlichen und gesellschaftlichen Zielen sie uns führen soll, bleibt wie bei jeder neuen Technologie ein Problem der moralischen und politischen Grundentscheidung unserer Gesellschaft.

Kreativität ist die auf Innovationen bezogene Anstrengung des menschlichen Geistes. Doch mancherlei "Killerphrasen" säumen oft den Weg des Fortschritts. "Das haben wir noch nie gemacht", "Wo kommen wir denn da hin?", "Damit kommen wir doch nicht durch" - wer kennt solche Sentenzen nicht aus dem Alltag der Wirtschaft, der Politik oder gar der Wissenschaft?

Drei Vorurteile müssen, was die Kreativität anbetrifft, ausgeräumt werden:

- die irrige Ansicht, daß Kreativität angeboren sei,

- die Auffassung, Kreativität sei infolgedessen nicht erlernbar und

- die These, es sei immer am besten, das Bewährte um jeden Preis zu bewahren.

Solche Vorurteile schüren die Angst davor, sich auf kreatives Denken und Verhalten überhaupt einzulassen. Denn es liegt in der Natur eines kreativen Gedankens oder einer kreativen Erfindung, daß sie zunächst nicht alle überzeugt. Diese Zurückhaltung gegenüber neuen Gedanken oder Erfindungen mag hier und da ein guter Filter sein, um Unsinniges nicht erst aufkommen zu lassen. Aber wenn die These stimmt, daß unsere Zivilisation vom innovatorischen Fortschritt mehr abhängt als von anderen Faktoren, dann brauchen wir doch wohl größere Offenheit gegenüber neuen Angeboten des Denkens und der Technik.

Der Erfolg der anderen

Neben Initiative und Kreativität ist es die Kooperation, die wir brauchen. Aber kooperieren kann man auf sehr unterschiedliche Weise. Wir müssen genauer bestimmen, welche Art des Zusammenwirkens Innovationen fördert und welche eher das Gegenteil bewirkt.

Ich möchte einen Satz von Thomas Mann an den Anfang dieser Überlegungen stellen. Er hat einmal gesagt, daß niemand andere gut führen könne, wenn er sich nicht ehrlich an deren Erfolgen zu freuen vermag. Man kann dem natürlich entgegenhalten, daß der unserem System auch zugrunde liegende Gedanke des Wettbewerbs und der Konkurrenz eine solche altruistische Haltung ausschließe. Ich meine dennoch, das Thomas Mann recht hatte. Denn die Übersteigerung des Wettbewerbs und der Konkurrenz führt nicht zu e gemeinsamer Initiative, Kreativität und Kooperation, sondern zu autoritärer Führung, zu organisatorischen Flaschenhälsen, zu sozialem Neid und zur Frustration bei den vielen dann und dabei zu kurz Gekommenen.

Zunächst sollten wir uns über einen Grundtatbestand verständigen: Wer Verantwortung tragen soll, muß die Voraussetzungen dafür haben. Und Verantwortung setzt immer eine zureichende Information, Erfahrung und Entscheidungskompetenz voraus. Will man diese drei Bedingungen zu einem Gleichklang bringen dann darf keiner dieser Faktoren fehlen.

Mit anderen Worten: Wenn Information und Erfahrung in zureichendem Maße gegeben sind, muß die Entscheidungskompetenz hinzutreten, sofern wir begründet von Verantwortung reden wollen. Dies schließt Zielvorgaben für alle - zum Beispiel in einem Unternehmen - nicht aus, und auch die Dezentralisierung als einer Schnittstelle zwischen arbeitsteiliger Sachkompetenz und Entscheidungskompetenz wird nur dann greifen, wenn die von Entscheidungen Betroffenen rechtzeitig in den Prozeß der Meinungsbildung über diese Entscheidungen einbezogen werden. Man vermeidet auf diese Weise Reibungsverluste, die sonst durch mangelndes Verständnis, Überraschung oder Frustration ausgelöst werden können.

Alle sind Innovatoren

Nun haben wir in der arbeitsteiligen Organisation unserer Arbeit längst einen Stand erreicht, in dem sich diese Arbeitsteilung nicht nur auf den jeweils einzelnen hin ausweitet und zugleich verengt, sondern die Gruppe als Arbeitseinheit braucht. Man kann für das Wort Gruppe auch das englische Wort "Team" einsetzen. Denn Innovation unter den Bedingungen eines arbeitsteile-organisierten Unternehmen ist eine Mischung von kooperativer Neugier und Schnelligkeit. Diese Tendenz wird durch die Arbeitschancen mit audiovisuellen Technologien noch wesentlich begünstigt.

Aber man darf aus dieser positiven Sicht der Gruppe nun wiederum kein Dogma machen. Gruppen als Ersatzkollektive für die Verantwortlichkeit des einzelnen sind keine gute Sache. Sie führen dann leicht zur Delegation von Nicht-Verantwortung an andere. Die Gruppenarbeit birgt auch die Gefahr in sich, daß die Gruppe sich nach dem Geleitzugprinzip bewegt: Der Langsamste bestimmt das Tempo. Und schließlich muß man bei der Gruppenarbeit darauf achten, daß sich die weniger Engagierten nicht hinter den Zugpferden einer Gruppe verstecken, dann aber die Meriten als Gleiche und Gleichen einheimsen wollen.

Wenn man diese Nachteile vermeidet, behält die Gruppe als Arbeitsform einen großen Vorzug: Sie hebt die Zergliederung des Ganzen - durch die extreme Arbeitsteilung bedingt - durch Kooperation, Kommunikation und Integration wieder auf. Gruppen können Gelenke sein im Organismus eines Unternehmens, wenn man sie richtig einsetzt und wenn sie sich selber so verstehen.

Die Bedürfnisse der Menschen finden ihren gemeinsamen Nenner in dem Wunsch wohl eines jeden, sich selber zu verwirklichen, mit sich selber eins zu sein oder zu werden. Dies in unserer arbeitsteiligen Gesellschaft zu bewerkstelligen, ist die Gretchenfrage unseres Zusammenwirkens und Zusammenlebens. Bezogen auf Innovationen heißt das: Ein arbeitsteilig strukturiertes Unternehmen kann nur gedeihen, wenn sich alle Mitarbeiter als Innovatoren begreifen, ein jeder an seinem Platz.

Auszug aus einem Vortrag, den Lohmar während der Kölner AV-Tage am 12. November 81 gehalten hat - unter dem Originaltitel "Innovationsstrategien in der Kommunikationsgesellschaft"