Das Ende der Gratisangebote im Web

27.02.2002
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Wolfgang Miedl arbeitet Autor und Berater mit Schwerpunkt IT und Business. Daneben publiziert er auf der Website Sharepoint360.de regelmäßig rund um Microsoft SharePoint, Office und Social Collaboration.
Das Überangebot an kostenlosen Inhalten hat Geschäfte mit Content lange Zeit vereitelt. In letzter Zeit mehren sich aber die Anzeichen dafür, dass die "Kostenlos-Kultur" zu Ende geht.

Es muss Schluss sein mit der Vorstellung, dass es im Web alles gratis gibt, so lautet mittlerweile das Credo der E-Commerce-Branche. Doch um diesen Kulturwechsel zu vollziehen, muss die verwöhnte Online-Klientel erst umerzogen werden. Und das dürfte kein leichtes Unterfangen sein. Die schier unerschöpflichen Geldströme von Risikokapitalgebern sorgten bisher dafür, dass Inhalteanbieter wie etwa Verlage, Medienkonzerne, aber auch Softwarehersteller gegenüber hochsubventionierten Gratisanbietern den Kürzeren zogen.

Gratisdienste verschwinden von der Bildfläche

Die Dotcom-Krise scheint nun aber Wirkung zu zeigen. Kostenlose hochwertige Dienste nehmen in letzter Zeit deutlich ab, weil die Rechnung nicht aufging, sich ausschließlich über Werbung zu finanzieren. Ehrgeizige Online-Publikationen wie der Computerchannel von Gruner + Jahr mussten beispielsweise ihren Dienst einstellen.

Auch in anderen Bereichen wechseln Anbieter zunehmend ihre Geschäftsmodelle oder geben auf. Die kostenlosen Datenspeicher im Web etwa sind rar geworden. Von den Karten- und Navigationsdiensten, die es vor einem Jahr noch in großer Zahl gratis gab, sind mittlerweile die meisten von der Bildfläche verschwunden. Dasselbe gilt für kostenlose E-Mail- und SMS-Dienste. Vor allem die Zeitschriftenverlage beginnen damit, Geld für Inhalte zu verlangen.

Wurde bisher bereits viel über das relativ erfolgreiche Bezahlmodell des US-amerikanischen "Wall Street Journal" mit rund 600000 Abonnenten geschrieben, steigen nun auch hierzulande Sites wie "Spiegel Online" in den Markt ein. Die Titelgeschichte der Print-Ausgabe gibt es jetzt bereits am Samstagnachmittag für 50 Cent zum Download. Die Abrechnung erfolgt mit dem mittlerweile recht verbreiteten Click&Buy-System von Firstgate. Dabei muss sich der Kunde einmalig bei Firstgate anmelden und kann zukünftig nach Eingabe seiner persönlichen Identifikationsnummer (PIN) bei Partner-Sites einkaufen. Der Dienstleister bucht die aufgelaufenen Kosten einmal pro Monat vom Konto des Endkunden ab.

Verlage und Portale wittern Morgenluft

Auch andere Zeitungen hoffen auf zahlungswillige Leser. Die "Rhein-Zeitung" beispielsweise bietet Abonnenten für zwei Euro monatlich eine Eins-zu-eins-Online-Ausgabe der Print-Version an. Gut 8000 Neugierige hatten sich in der Testphase angemeldet, mit den etwa 500 derzeit zahlenden Kunden gibt sich der Verlag einstweilen zufrieden. Hochwertige Dienste gegen Cash heißt es neuerdings auch bei Deutschlands größtem Online-Dienst T-Online. Das Portal ist gespickt mit kostenpflichtigen Zusätzen, von Wirtschaftsinformationen bis hin zu Online-Spielen. Die Preise bewegen sich dabei zwischen fünf Cent und 2,90 Euro. T-Online mischt den Pay-Content unter die kostenlosen Inhalte, will aber keine reinen Bezahlrubriken einführen.

Deutlich stärkere Akzente in Sachen bezahlungspflichtige Inhalte möchte der Dienst im Bereich Breitband-Internet setzen. Im Visier hat man die 2,3 Millionen DSL-Kunden, für die derzeit bereits testweise das Portal vision.t-online.de in Betrieb ist. Immerhin etwa die Hälfte der bunten Multimedia-Mischung besteht aus gebührenpflichtigem Content. Einen großen Vorteil hat das Unternehmen beim Billing: Der Kunde muss zwar einmalig eine Software installieren, abgerechnet wird aber bequem über die T-Online-Rechnung.

Aber auch für Bezahlsysteme wie das von Firstgate scheint mittlerweile die Akzeptanz zu steigen - etwa 400 000 angemeldete Benutzer meldet das Kölner Unternehmen. Musterkunde ist die Stiftung Warentest, die neben Firstgate auch noch die Systeme net900 und Infin unterstützt. 28000 Testergebnisse und Info-Dokumente konnten die Berliner alleine im Januar verkaufen und damit einen Umsatz von 45 000 Euro erzielen. Die Preise für die digitalen Inhalte liegen zwischen 50 Cent und 2,50 Euro.

Buchhändler setzen auf E-Books

Auch die großen Online-Händler Amazon.com und BOL haben mittlerweile digitale Ware zum kostenpflichtigen Download im Programm. Amazon bietet derzeit E-Books auf der Basis von Adobes "Acrobat Ebook Reader" an. Der Kunde erwirbt dabei ein per Digital-Rights-Management geschütztes Buch, das nicht kopiert und weitergegeben werden kann. BOL setzt gleich auf zwei Plattformen. Bereits seit längerem führt man das Lesegerät "Rocket Ebook" von Gemstar im Angebot. Die zweite Produktlinie basiert auf Microsofts E-Publishing-Plattform. Die Lesesoftware "Reader" gibt es schon seit einiger Zeit für die Pocket-PC-PDAs und seit kurzem auch für Windows-PCs. Nach Angaben von BOL hält sich die Akzeptanz digitaler Angebote aber noch in Grenzen und ist derzeit kein Verkaufsknüller. Amazon ist mit dem bisherigen E-Book-Geschäft zufrieden, will aber nun den Fachbuchbereich ausweiten.

Erfolgspotenzial im B-to-B-Sektor

Während es im Konsumentenmarkt derzeit noch sehr schwer ist, in größerem Umfang Umsätze für Content zu erzielen, konzentrieren sich Verlage und Medienunternehmen in letzter Zeit verstärkt auf den Syndication-Markt. Hierbei geht es in erster Linie um das Schnüren von Inhaltspaketen und den Verkauf an Website-Betreiber - entweder direkt oder über einen Content-Broker. Nach Einschätzung von Klaus Eck von der Content-Beratungs-Agentur Econcon.de versprechen derzeit vor allem hochwertige Fachinhalte für den B-to-B-Sektor geschäftlichen Erfolg.

In der ersten Boomphase sei man in diesem Markt aber von falschen Grundannahmen ausgegangen. So haben die Syndikatoren den Content-Abnehmern keine Beratungsleistungen in Rechnung gestellt in der Hoffnung, danach mit den gelieferten Inhalten Geld zu verdienen. Die Kunden, vor allem Unternehmen im mittelständischen Bereich, zeigten jedoch wenig Bereitschaft, für Inhalte viel zu bezahlen. Nachdem mittlerweile eine große Zahl von Syndikatoren wieder vom Markt verschwunden ist, haben die großen Player wie etwa Tomorrow Focus Sales die Konsequenzen gezogen und stellen den meist intensiven Beratungsaufwand für Inhaltskonzepte in Rechnung.

Auch die Art der nachgefragten Inhalte für Websites hat sich verändert. Noch vor zwei Jahren hat jede bessere Website Nachrichten angeboten. Negative Erfahrungen musste dabei Evita.de, das Shopping-Portal der Post, machen. Die Überfrachtung mit Nachrichten verwirrte die Surfer und ließ die Umsätze zurückgehen. "Viele Firmen haben in der Vergangenheit irrtümlich gedacht, sie seien ein Medium," so Eck. Mittlerweile hat sich hier ein neues Bewusstsein breit gemacht.

Die Unternehmen sind in erster Linie an Content interessiert, der zum Produkt passt und dessen Image aufwertet. Daher steigt gerade im B-to-B-Markt die Nachfrage nach hochwertigem, zielgruppenorientiertem Inhalt. Nach wie vor interessant sind News allerdings für den noch jungen Markt des Mobile Content, also bei SMS oder PDAs. Während also im Business-Bereich bereits ein Bewusstsein vorhanden ist, dass gute Inhalte nur gegen Bezahlung zu bekommen sind, rechnen Branchenkenner im Endverbrauchermarkt erst im nächsten Jahr mit nennenswerten Umsätzen.

Einig sind sich die Experten, dass die Dotcom-Krise zumindest für den Content-Markt einen positiven Effekt hat: Kostenlose Inhalte werden selten, die Surfer gewinnen einen besseren Überblick, und der Hunger nach Information wird sein Übriges tun, um die Bereitschaft zum Bezahlen ansteigen zu lassen.

Sex sells

Einer Studie der Marktforscher von Jupiter MMXI zufolge wurden 2001 in Westeuropa nur 252 Millionen Euro durch Web-Content erwirtschaftet. Der Löwenanteil davon entfiel mit rund 70 Prozent auf Erotikangebote, der Rest überwiegend auf Spiele, Finanzdienste sowie Wirtschaftsnachrichten. Bis zum Jahr 2006, so die Jupiter-Prognose, wird das Volumen über PC konsumierter Bezahlinhalte auf 1,7 Milliarden Euro steigen, wobei 47 Prozent der Befragten bekunden, auch künftig grundsätzlich kein Geld für Content ausgeben zu wollen. Zeitungs- und Zeitschriftenverlage haben es dabei nach Ansicht der Marktforscher besonders schwer, über Web-Angebote Umsätze zu generieren. Bessere Erlösmöglichkeiten werden Anbietern generell über Mobiltelefone eingeräumt. Hier schätzt Jupiter das Umsatzvolumen im Jahr 2006 auf 3,3 Milliarden Euro. "Gewohnheitsrecht" auf kostenlosen Content Die Hoffnung vieler Unternehmen, sich als Content-Anbieter im Internet eine lukrative Einnahmequelle zu erschließen, hat sich bisher nicht erfüllt. "Die Zahlungsbereitschaft auf Konsumentenseite ist generell eher schwach", beobachtet Folker Michaelsen, Leiter Online Research bei der GfK Marktforschung. Seit Jahren nehmen die Nürnberger regelmäßig das Verbraucherverhalten unter die Lupe, und auch die aktuelle Erhebung zu redaktionellen Inhalten belegt die Konsumentenzurückhaltung. Nur 19 Prozent der Befragten wären beispielsweise bereit, für einen heute noch kostenlosen E-Mail-Newsletter künftig ein Entgelt zu entrichten. Allerdings gilt die Zahlungsunlust nicht für den gesamten repräsentativen Querschnitt der Surfer. Die Marktforscher fanden heraus, dass neben der hohen Schar preisaffiner Nutzer auch eine Gruppe qualitätsorientierter Konsumenten existiert. Dazu zählen vor allem Selbständige sowie Personen in leitenden Funktionen, wobei der weibliche Anteil höher liegt als der männliche. Auffällig an dieser Klientel ist ferner, dass es sich, wie Michaelsen sagt, um keine "Internet-Junkies" handelt. In der Regel nutzen diese potenziellen Abonnenten das Internet erst seit drei Jahren, sind pro Woche weniger als zehn Stunden im Netz und gehören auch nicht zur jüngeren Generation der Surfer. Ihr Motiv, entsprechende Dienste zu abonnieren, besteht darin, über personifizierte Sites möglichst schnell und komfortabel an Informationen zu kommen. Dieses Bezugsverhalten ist im Vergleich zur breiten Masse der Internet-Nutzer jedoch untypisch. Deren Abneigung, für Inhalte einen Obolus zu entrichten, resultiert vor allem aus zwei Faktoren: Erstens gilt das Web als freies Medium mit einem Gewohnheitsrecht auf kostenlosen Content. Zweitens herrscht latent Skepsis gegenüber der Qualität von Online-Inhalten, weshalb traditionelle Medien als glaubhafter bevorzugt werden. Den Verbraucher künftig am PC für Web-Inhalte doch zur Kasse zu bitten wird also schwer, obwohl aus Sicht von Michaelsen für Provider hochwertiger Inhalte kein Weg daran vorbeiführt. Ihre Rechnung, die Kosten für Content-Aufbereitung allein durch Online-Werbung zu refinanzieren, ist nämlich nicht aufgegangen. Zum einen, weil der Werbemarkt dramatisch einbrach, zum anderen, weil der finanzielle Aufwand für die Pflege der Inhalte sowie deren technischen Support unterschätzt wurde. Allerdings wird die nachträgliche Einführung von Bezahldiensten im Internet so lang erschwert, wie es für viele Content-Typen Mitbewerber mit kostenlosen Inhalten gibt. Eine "Umerziehung" der Surfer ist deshalb ein mühseliger Prozess. Als Katalysator könnte jedoch die kostenpflichtige Nutzung von mobilen Internet-Inhalten am Handy und PDA dienen. Hier sind sich die Anbieter einig, für ihr Angebot Geld zu verlangen. "Wir dürfen nicht den Fehler machen, im mobilen Internet alles umsonst anzubieten, um dann später zu versuchen, den Hebel umzulegen", warnt Marcus Englert, CEO der Kirch Intermedia GmbH, und erhält Rückendeckung von Edgar Berger, COO Bertelsmann Content Network: "Für die Nutzer mobiler Inhalte darf sich die im Internet etablierte Anarchie, dass es Content kostenlos gibt, nicht fortsetzen."