Ein ehrgeiziges japanisches Projekt ist am Markt gescheitert

Das Echtzeit-Betriebssystem Tron kommt nicht mehr voran

18.12.1992

*David Kellar ist Korrespondent des IDG News Service in Tokio.

Trotz anhaltenden Optimismus ihrer Protagonisten scheint Japans revolutionäre "Tron"-Tehnologie steckengeblieben zu sein. Das Projekt "Real-Time Operating System Nucleus" war Mitte der 80er Jahre mit viel Tamtam gestartet worden - als Versuch, die ultimative Computerarchitektur für die integrierte elektronische Gesellschaft von morgen zu entwickeln.

Damals hatten einige Beobachter in den USA sich Sorgen gemacht, das Projekt könnte den Niedergang der diversen unkoordinierten Betriebssysteme einleiten, die vom Rest der Welt angenommen waren. Aber der Wettbewerbsdruck und die Triebkräfte der internationalen Standards haben bis dato Tron daran gehindert, die allumfassende Technologie zu werden.

Unbestätigte Behauptungen

Nach Aussagen von Ken Sakamura, einem japanischen Professor, der das Projekt 1984 initiierte, hat Tron sich am stärksten in Japans Fabrikautomations- und Telekommunikations-Industrie durchgesetzt. Sakamura behauptet, Tron-Technologie finde sich heute in rund 90 Prozent der japanischen computergesteuerten Industriemaschinen und Kommunikationsgeräten. "Dieser Erfolg wird sich mit der Zeit auch auf Geschäfts- und private Bereiche ausweiten", fügt er hinzu.

Gleichwohl gibt es wenige unabhängige Angaben, um Sakamuras Behauptungen zu bestätigen oder zu widerlegen. Selbst die Tron Association, die zentrale Non-Profit-Organisation, welche die verschiedenen Tron-Entwicklungsprojekte koordiniert, hat bisher ihre Mitglieder nicht befragt, um die Marktdurchdringung von Tron zu ermitteln.

Allerdings werfen Gespräche mit japanischen Unternehmen, die mit dem Projekt befaßt sind, die Vermutung auf, daß Tron nicht annähernd so weit verbreitet ist, wie Sakamura glaubt. Ähnlich sieht es in der japanischen Kommunikationsindustrie aus, die sich auf Tron-basierte Betriebssysteme gestützt hatte. Sie scheint mittlerweile von dieser Ausrichtung Abstand zu nehmen, indem sie wachsenden Anforderungen nachkommt, mit internationalen Kommunikationsstandars übereinzustimmen.

Auch internationale Marktanalysten zweifeln am Erfolg von Tron. "Die Behauptungen eines kommerziellen Erfolges sind absurd", meint Steve Myers, Analyst bei der Jardine Fleming Securities Ltd. in Tokio. "Es gibt eine Menge Betriebssysteme am Markt, und keine große Gesellschaft unternimmt irgend etwas, um ihre Produkte mit anderen Standards als den eigenen in Übereinstimmung zu bringen", kommentiert er die Dominanz proprietärer Systeme im japanischen Markt für Industrieautomation.

Bisher war Tron ein Vehikel für Technologietransfer und Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Tron Association, in der jede bedeutende japanische IT-Firma beteiligt ist. Während Verschiedene japanische Unternehmen schon mit den Zehenspitzen das Tron-Gewässer geprüft haben, hat sich keine einzige getraut hineinzuspringen.

Proprietäre Systeme bleiben dominant

Obwohl sie die Vorteile einer von Grund auf neuentwickelten Computerarchitektur für Echtzeit-Systeme anerkennen, finden sie es schwierig, sich von Unix abzuwenden. Zugleich bleiben proprietäre Systeme in einigen Anwendungsbereichen dominant, denn ihr Markt erweist sich als langlebig und die Ingenieure sind mit ihnen vertraut.

"Tron ist wie ein Gletscher. Er bewegt sich sehr langsam, aber unaufhaltsam vorwärts", bemerkt James Farrell, Öffentlichkeitschef bei VLSI Technology Inc. aus Tempe, Arizona, und offizieller Repräsentant der Tron Association in den USA. Obwohl er den gegenwärtigen schwachen Marktstatus von Tron eingesteht, zeigt sich Farrell optimistisch über die Zukunft: "Tron ist jetzt in derselben Situation wie der Macintosh 1984" erklärt er, um auszudrücken, daß Tron nur wenige Jahre vor der allgemeinen Akzeptanz stehe. "Es gibt ein großes Potential besonders der auf B-Tron basierenden Multimedia-Peripheriegeräten für PCs."

Der Schlüssel zum künftigen Erfolg im globalen Computermarkt besteht laut Farrell für die Tron Association darin, weitere internationale Mitglieder zu gewinnen. "Es gibt in den USA ein starkes Interesse an Tron", kommentiert Farrel die Tatsache, daß er in den letzten zwei Jahren mehr als 1000 Anfragen erhalten habe. Bisher allerdings ist dieses Interesse wohl schlichte Neugier. Von den 1000 Interessenten sind nur zwei Mitglieder geworden.

Die Tron-Forschung teilt sich in drei Richtungen für Echtzeit-Betriebssysteme auf: B-Tron für Geschäfts- und Privatwendungen, I-Tron für industrielle Applikationen und C-Tron für Kommunikationssysteme. Ein viertes Projekt, Macro Tron (M-Tron) zielt auf die Entwicklung einer umfassenden Betriebssystem-Architektur, um I-, B- und C-Tron wieder unter einen Hut zu bekommen.

Bei I-Tron ergibt sich folgendes Bild: Die Fanuc Ltd., der führende japanische Hersteller von Robotern, nutzt nach Angaben von Firmenvertretern Tron nicht für Echtzeit-Steuerungssysteme. In ähnlicher Weise bestätigen Fujitsu Ltd., NEC Corp. und Hitachi Ltd., die alle Mikrocontroler für die Industrieautomation herstellen, daß Tron-basierte Betriebssysteme nur einen kleinen Teil ihrer Umsätze an Echtzeit-Betriebssysteme ausmachen. Die Mehrzahl der in Japan verkauften Embedded-Steuerungssysteme sind unverändert proprietär.

Bei Hitachi bauen die meisten der verkauften Echtzeitsysteme für Embedded-Roboter- Anwendungen auf I-Tron auf, der für industrielle Applikationen optimierten Tron-Architektur. Allerdings "stellen Tronentsprechende Produkte nur einen sehr kleinen Prozentsatz an Hitachis Gesamtangebots an DV-Steuerungssystemen für industrielle Anwendungen", führt ein Unternehmenssprecher aus. "Für die meisten Anwendungen verwenden wir Unix oder unser eigenes Echtzeit."

Nicht viel besser sieht es bei C-Tron aus: In der japanischen Kommunikationsindustrie, in der C-Tron eine Art Standard geworden ist, behaupten Nicht-Tron-Produkte eine Vormachtstellung im Markt. NEC verwendet C-Tron beispielsweise in keiner der Nebenstellenanlagen. Mitsubishi Electric nutzt die Architektur nur für Kommunikationsgeräte der obersten Leistungsklasse, dem "es ist zu umfangreich und uneffizient bei Systemen mit relativ geringer Rechnerleistung", erläutert ein Unternehmenssprecher.

Die letzte Bastion der Optimisten

Japans größtes Telekommunikations-Unternehmen, die NTT Corp., zieht sich gerade von C-Tron, das ihr wichtigstes Betriebssystem ist, zurück und favorisiert eine neuentwickelte Schnittstellenspezifikation für Echtzeit-Betriebssysteme. Dieses "Interface for Realtime Operating Systems" (Iros) ist kompatibel zu international gängigen Standards.

B-Tron für den Busineß- und Privatmarkt ist die letzte Bastion der Optimisten. "Der große Unterschied zwischen B-Tron und anderen grafischen Betriebssystemen besteht darin, daß B-Tron darauf zugeschnitten ist, Dinge zu steuern", sagt Ken Sakamura.