Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit:

Das Denken macht den Menschen einmalig

01.03.1985

"Der Unterschied zwischen uns und unseren Computern schwindet mehr und mehr. Eines Tages wird ein menschliches Wesen einen Roboter von General Electric niederschießen und zu seinem großen Erstaunen feststellen, daß er weint und blutet. Der sterbende Roboter aber wird zum tödlichen Gegenschlag ausholen und dicke graue Rauchschwaden sehen, die aus der elektrischen Pumpe aufsteigen, die das Herz des Menschen ersetzen. Für beide wird es die Stunde der Wahrheit sein."

Philip K. Dick aus "Actuel" Nr. 46 (September 1974)

Vom Computerbauer zum Computerkritiker führt derzeit der Weg mancher prominenter Insider. Eines Ihrer Argumente ist, der Mensch bedrohe durch die neue Technik seine Wesensart. Der Medienwissenschaftler Professor Dr. Friedrich Knilli, TU Berlin, weist auf bedenkliche Tendenzen hin.

Es geht heute bei dem Thema "Mensch und Technik" nicht um irgendein Verhältnis, nicht um die Frage der Naturbeherrschung, sondern um die technische Beherrschung und Machbarkeit des Menschen. Ich brauche die Aktualität dieses Themas nicht besonders zu erläutern. Die Roboter sind im Anmarsch. 1982 gab es bereits 30 000 Industrieroboter im Einsatz. Und es werden von Jahr zu Jahr mehr.

Gentechnologen können zwar noch nicht Menschen, aber bereits Mäuse klonieren. Wann es also Eiweißautomaten geben wird, ist nur noch eine Frage der Zeit. Und nicht nur die Machbarkeit des Menschen hat zugenommen; zugenommen hat auch die Möglichkeit, die Menschheit sozusagen mit einem Schlag zu töten. Die Folgen dieser zwiespältigen Technikentwicklung sind Technikangst, Technikfeindlichkeit in der Bevölkerung.

Was die Telefonie für die Livemedien war, nämlich die Beschleunigung der akustischen Kommunikation von Schallgeschwindigkeit auf Lichtgeschwindigkeit, ist der Computer für die Speichermedien, nämlich die radikale und sprunghafte Vergrößerung der Speicherkapazität durch die Verwendung von Silizium. Die Kapazität solcher Chips erreicht zur Zeit etwa 1 000 000 Bit pro Chip bei einer Gesamtfläche von nur etwa einem cm². Mit diesen neuen Speichern und den entsprechenden Programmen kann nicht nur Sichtbares und Hörbares präzise wiedergegeben werden; mit dieser Speicherkapazität, die Computer zur Verfügung stellen, ist es möglich, unser Denken in einer Weise zu reproduzieren und zu steigern wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Mit dem Computer wird in unser Gedächtnis eingedrungen und in unser Denken eingegriffen, daß das Hier und Jetzt einer ganz bestimmten persönlichen Intelligenz, einer bestimmten geistigen Leistung ihren Wert zu verlieren scheint oder gar verliert.

Denn sie ist wiederholbar, reproduzierbar von einem solchen Gerät. Und das ist faszinierend, meine ich, wie auch beängstigend. Aber noch faszinierender und beängstigender ist unsere Anpassung an den Rechner, unsere Bereitschaft, unser Denken und Erinnern computergerecht zu organisieren. Ich denke hier an Umstellungen in den Wissenschaften, an die Empirisierung bestimmter Bereiche, an die Art der Datenaufbereitung.

Diese Anpassung unseres Denkens an die Reproduzierbarkeit durch Computer ist wohl - der im Augenblick - weiteste Schritt, den wir im Zeitalter der technischen Ersetzbarkeit, der technischen Reproduzierbarkeit gemacht haben. Einer der bekanntesten amerikanischen Computerspezialisten, Joseph Weizenbaum, wurde durch diesen Schritt so imitiert, daß er von einem Computerbauer, der er war, zu einem der schärfsten Computerkritiker wurde. Er hatte in den Jahren 1964-66 ein Dialogprogramm geschrieben, das Gespräche imitiert, wie sie in der Gesprächstherapie in der klientenzentrierten Therapie des amerikanischen Psychologen Rogers geführt werden. Der Therapeut bittet den Patienten zu wiederholen und zu erklären, was er denn mit dem eben Gesagten eigentlich gemeint habe und wie er es verstehe. Weizenbaum nannte dieses Programm "Eliza" nach der Hauptfigur in dem berühmten Pygmalionmotiv, wo es um ähnliches geht.

Computer: KÖNNEN SIE EIN BEISPIEL NENNEN?

Frau: Na ja, die Idee zu diesem Gespräch stammt von meinem Freund. Computer: DIE IDEE ZU DIESEM GESPRÄCH STAMMT VON IHREM FREUND

Frau: Er sagt, daß ich oft deprimiert bin.

Computer: ES TUT MIT LEID VON IHNEN ZU HÖHREN DASS SIE EPRIMIERT SIND

Frau: Das stimmt, ich bin unglücklich.

Computer: GLAUBEN SIE DASS DIESES GESPRÄCH IHNEN HILFT NICHT MEHR UNGLÜCKLICH ZU SEIN

Frau: Ich brauche jedenfalls Hilfe, das steht fest.

Computer: WAS WÜRDE ES FÜR SIE BEDEUTEN HILFE ZU BEKOMMEN

Frau: Vielleicht könnte ich lernen, mit meiner Mutter auszukommen. Computer: ERZÄHLEN SIE MIR MEHR ÜBER IHRE FAMILIE

Frau: Meine Mutter erledigt alles für mich.

Computer: WER IN IHRER FAMILIE ERLEDIGT NOCH ALLES FÜR SIE

Frau: Mein Vater.

Computer: IHR VATER

Frau: Sie sind ein wenig wie mein Vater.

Computer: WELCHE ÄHNLICHKEIT SEHEN SIE

Frau: Sie sind nicht besonders aggressiv, aber ich glaube, Sie möchten nicht, daß ich das beachte.

Computer: WAS LASST SIE VERMUTEN DASS ICH NICHT SEHR AG

GRESSIV BIN

Frau: Sie streiten nicht mit mir.

Computer: WIESO GLAUBEN SIE DASS ICH NICHT MIT IHNEN

STREITE

Frau: Sie haben Angst vor mir.

Computer: MACHT IHNEN DER GEDANKE SPASS DASS ICH ANGST

VOR IHNEN HABE

Frau: Mein Vater hat vor jedem Angst.

Computer: WAS FÄLLT IHNEN NOCH EIN WENN SIE AN IHREN

VATER DENKEN

Frau: Angeber.

Computer: HAT DAS ETWAS DAMIT ZU TUN DASS DIE IDEE ZU DIESEM GESPRÄCH VON IHREM FREUND STAMMT

Frau: Die Männer sind alle gleich.

Computer: IN WELCHER WEISE?

Frau: Sie machen uns immer wegen irgendwas verrückt.

Der Erfolg dieses Programms war sehr groß. Psychiater und Therapeuten überschlugen sich. Sie schrieben Weizenbaum begeisterte Briefe und versprachen sich von Eliza eine Massentherapie, eine Psychotherapie, ohne lebendige Therapeuten, ohne menschliches Dabeisein, ohne die Aura des Seelenarztes.

Was der Computer in der innerbetrieblichen Kommunikation an Veränderungen bringt, wird gerade überall untersucht. Die Studien ergeben, daß die Menschen am Arbeitsplatz einsamer werden, daß zwischen ihnen Entfremdung auftritt, daß sie nervöser werden, daß sie über Kontaktarmut klagen. Vielleicht sind das nur Anfangsprobleme, die sich in der Zukunft lösen lassen.

Die Aura des Menschen verkümmert im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit. Aber das muß nicht so sein, denn wir haben es hier nicht mit einem Naturvorgang zu tun, sondern mit einem Stück von Menschen gemachter Geschichte. So wie wir gelernt haben, Werbung zu durchschauen, so können wir lernen, den Computer zu durchschauen. Und wenn Gentechnologen uns im nächsten Jahrhundert mit klonierten Menschen konfrontieren, werden wir auch lernen zu unterscheiden, wer das menschliche Original ist und was der Eiweißroboter. Es besteht also kein Grund zur Panik.

Es besteht kein Grund zur Untergangsstinimung, wenn wir bereit sind, uns mit Computern und Technik kritisch auseinanderzusetzen. Denn das ist nötig, Die internationalen Riesen versäumen keine Gelegenheit, uns einzuschüchtern, und uns klarzumachen, welche Versager Menschen im Vergleich zu Computern sind. IBM erklärt in einer Fibel, die ich vor kurzem in die Hand bekam, Kindern den Unterschied zwischen Mensch und Maschine.

Erstens: Der Mensch arbeitet langsam. Der Computer arbeitet schnell.

Zweitens: Der Mensch kann Felher machen. Der Computer macht keine Fehler.

Drittens: Der Mensch ist vergeßlich. Der Computer vergißt nie.

Viertens: Der Mensch hat wenig Ausdauer. Der Computer hat Ausdauer.

Fünftens: Der Mensch denkt selbst. Der Computer kann nicht denken.

Daß der Mensch selbst denkt, ist, wie allgemein zugestanden wird, die wichtigste menschliche Eigenschaft. Nicht auf dieser Liste. Hier ist Denken etwas wie langsam arbeiten, Fehler machen, vergeßlich sein, wenig Ausdauer haben. Daß solche Eigenschaften Folgen des Denkens sind - und somit zugleich menschlichc Qualitäten darstellen - unterschlägt diese Kinderfibel zynisch.

*Wir veröffentlichen einen Auszug aus dem Vortrag mit dem Titel "Der Mensch im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit"