Open-Source-Software/Fragen schaffen Nachfrage

Das Consulting-Geschäft um Open Source

27.04.2001
Schlechte Nachrichten von großen Namen der Linux-Branche haben der Open-Source-Euphorie einen Dämpfer verpasst. Gleichwohl erwarten alle Beobachter eine steigende Nachfrage nach Beratung. Die wird sich allerdings von der Missionarstätigkeit vergangener Jahre unterscheiden. Von Winfried Gertz*

"Eine Herztransplantation", sagt Hans Bayer, Chef von SCO Deutschland, "möchte man lieber bei einem erfahrenen Chirurgen durchführen lassen." Auch andere Brancheninsider argumentieren, es könne nicht sein, dass zwar technikbegeisterte, aber in Management-Fragen völlig unbedarfte Open-Source-Protagonisten den Anwender möglicherweise in höchste Not bringen.

Ulrich Domröse, Berater von T-Systems, umreißt die Ziele eines professionellen Consultings so: "Unter allen Lösungsmöglichkeiten einschließlich Linux diejenige auswählen, die dem Anwender die bestmögliche Umsetzung der avisierten Ziele gewährleistet." Nutzen und Kosten, auch Folgekosten sowie die Sicherstellung des Betriebs stehen dabei ganz oben auf der Prioritätenliste. Entscheidend ist für die Anwender, dass die favorisierte Lösung sich in die IT-Architektur integrieren lässt und betriebliche Prozesse unterstützen kann.

Mit dem Interesse wächst der BedarfEines ist klar: Seit Open Source und Linux das Interesse der Anwender geweckt haben, nimmt der Bedarf an Service und Support, an Schulung und Beratung enorm zu. Unternehmen wollen genau erfahren, worauf sie sich mit einer Investition in diese Systeme einlassen, wer ihnen bei wichtigen Arbeiten kompetent zur Seite steht und - nicht zuletzt - welches Risiko sie dabei eingehen.

Marktbeobachter sehen bereits einen sprunghaften Anstieg dieser Dienstleistungen im Open-Source-Umfeld voraus. In ihrer aktuellen Studie "Beyond Linux for Geeks" prognostiziert IDC einen jährlichen Umsatzanstieg von 85 Prozent im Bereich Support und Services, und zwar von 56 Millionen Dollar in diesem Jahr auf 285 Millionen Dollar 2004.

Aus Sicht der Gartner Group wächst der westeuropäische Markt für Linux-Dienstleistungen, bezogen auf das Server-Segment, von 43 Millionen Dollar 1999 bis 2004 auf 429,4 Millionen Dollar. Im Unterschied zu IDC fassen die Experten der Gartner Group darin alle Leistungen aus Entwicklung und Integration, Training, Consulting sowie Hard- und Software-Support zusammen. Auf das reine Beratungsgeschäft soll à la longue ein Anteil von 33 Prozent entfallen.

Daraus jedoch den Schluss zu ziehen, nun stürze sich jeder auf das einträgliche Beratungsgeschäft, ist weit gefehlt. "Wer sich im Consulting eine Chance ausrechnet", argumentiert Alan MacNeela, Principal Analyst IT Services in der Londoner Zentrale der Gartner Group, "sollte gute Kontakte zur Open-Source-Community pflegen." Nicht nur das: Vor allem die Kompetenz entscheide - laut MacNeela die "Currency" der Szene.

Daran sowie an der mangelnden Offenheit gegenüber den "philosophischen" Grundüberzeugungen dürften sich die McKinseys und Boston Consultings dieser Welt noch eine Weile die Zähne ausbeißen. Einhellig stimmen die Beobachter der Open-Source-Szene darin überein, dass allen voran IBM einen großen Schritt auf die "Bewegung" zu gemacht habe. Dies demonstriere Big Blue, so MacNeela, nicht nur mit seinen rund 500 in zahlreichen Linux-Labs zusammengezogenen Experten, sondern vor allem durch die teilweise enge Kooperation mit Entwicklern aus der Linux-Gemeinde.

Linux-Consulting hat in der Praxis alle Register zu ziehen: Überzeugendes Know-how und langjährige Erfahrung sind erforderlich, wenn etwa eine riesige Organisation im Bankbereich rund 150000 Clients betreuen will. Von Dieter Wendel, Geschäftsbereichsleiter Business Enabling Platforms bei Diebold, wollen die Anwender wissen: "Was bedeutet Linux für unser Geschäft?"

Wendel zufolge begegnen die Diebold-Berater in Konzernen zunehmend Verantwortlichen, die zwar auf die "strategischen" Entscheidungen der Topetage zugunsten von Microsoft NT oder SAP R/3 verweisen, hinter vorgehaltener Hand aber große Bereitschaft erkennen lassen, Linux in überschaubaren Projekten zu favorisieren. Diese Beobachtung bestätigt auch Andreas Pestinger, Direktor IT Service bei der Meta Group. Er geht sogar davon aus, dass bis zum Jahr 2004 rund 90 Prozent der von der Meta Group beratenen Großunternehmen Linux einsetzen.

"Noch befindet sich Linux in der ersten Entwicklungsstufe, und Anwender verhalten sich zu Recht erst einmal abwartend", resümiert Pestinger. Spätestens dann aber, wenn sich Linux auch im Application Service Providing (ASP) einen Namen gemacht habe, werde die Consulting-Nachfrage im Enterprise-Umfeld deutlich anziehen. "Unsere Untersuchungen zeigen eindeutig, dass Linux in der Total Cost of Ownership (TCO) im Vorteil ist", so Pestinger.

Anwenderbedürfnisse und Code verstehenCarl Howe, Principal Analyst von Forrester Research in Cambridge, USA, beurteilt die Lage ein wenig anders. In einer neueren Studie ermittelten die Auguren, dass etwa 56 Prozent der befragten Unternehmen "irgendeine" Open-Source-Software einsetzen. Jedoch fällt der Anteil von Linux-Systemen an der gesamten IT-Umgebung mit lediglich einem Prozent verschwindend gering aus. "Nur große Unternehmen haben genug Zeit, Geld und Fachkräfte, um solche neuen Techniken auszuprobieren." Dies zieht laut Howe einen großen Beratungsbedarf mit technischer Ausprägung nach sich. "Linux-Consultants verstehen, wie sich der Code in einer Pilotanwendung verhält, und können ihn sofort an den Anwenderbedürfnissen ausrichten."

Kein Wunder, dass Linux-Consulting für die Distributoren inzwischen zur tragenden Säule ihres Geschäfts avanciert ist. "Bereits vor zwei Jahren", erläutert Dieter Hoffmann, Europachef von Red Hat, "haben wir uns von der Channel-Strategie verabschiedet und sind mit Dienstleistungen ins Enterprise Business vorgestoßen." Nicht mehr das Geschäft mit den Linux-Distributionen im Media-Markt steht im Vordergrund. Vielmehr wollen die Amerikaner - zusammen mit IBM und anderen "strategischen" Partnern - so genannte "Solution Stacks" offerieren, vor allem für mittelständische Unternehmen.

Doch Hoffmann ist Realist genug, um Wunsch und Wirklichkeit auseinander zu halten. Solange Anwender an der Reife von Open Source zweifeln oder sich von Hackerbanden umzingelt sehen, dürfte sich das Consulting zunächst darauf beschränken, die schlimmsten Vorbehalte zu entkräften und auch offen über Grenzen von Open Source zu sprechen. Hoffmann: "Viele fürchten, unweigerlich zum Abschuss freigegeben zu werden, nur weil sie einen IBM-Server mit Linux bestellen." Solange man mit Engelszungen auf IT-Chefs einredet, also Aufklärung betreibt, räumt Hoffmann ein, sei selbstverständlich nicht viel zu verdienen.

Als Missionar unterwegs zu sein ist eine Sache, Business eine andere. Deutsche Linux-Dienstleister haben das in der letzten Zeit schmerzhaft erfahren. Im November vergangenen Jahres ging die Bonner ID-Pro bankrott; neben diversen eigenen Fehlern konstatierte nachher der einstige ID-Pro-Chef Daniel Riek gegenüber der COMPUTERWOCHE: "Unser Pech war, viel Marktvorbereitung machen zu müssen, immer wieder erklären zu müssen, was Linux ist."

Die Erkenntnis, dass Propaganda nicht nährt, hat die Berliner Innominate AG zu einer radikalen Neorientierung veranlasst - weg vom breiten Beratungsansatz und hin zur Spezialisierung auf IT-Security. Laut Vorstandssprecher und Gründer Raphael Leiteritz hat sich der Linux-Service-Markt langsamer entwickelt als geplant. Ein weiteres Manko: "Linux wird noch immer mit bestimmten Kostenerwartungen assoziiert" - nämlich "kostet nichts".

Leiteritz zufolge ist es mit Linux schwer, die sonst in der IT üblichen hohen Stundensätze durchzusetzen. Zugleich aber ist Beratung im Sinne von Missionierung ein extrem personal- und kostenintensives Geschäft mit leider nur limitierten Perspektiven. Und zugleich trage derlei zu einer Ablenkung der Service-Anbieter von ihrem eigentlichen Geschäft bei.

Deshalb lautet auch der Rat von Dirk Hohndel, Chief Technology Officer der Suse AG in Nürnberg, nicht allein auf Consulting zu vertrauen. "Unternehmen wollen Lösungen aus einer Hand." Professional Services à la Suse umfasse deshalb alles - von der Beratung über Entwicklung und Support bis hin zur Schulung.

Kostendruck fördert LinuxSo sehr die Beispiele ID-Pro und Innominate zu denken geben, sind damit alle Träume vom Linux-Consulting ausgeträumt? "Sicherlich nicht", meint SCO-Mann Bayer. "Das Wissen rund um Linux ist noch nicht in dem Maße verfügbar, wie es der Markt momentan benötigt. Der Aufbau von Kompetenzen sowohl bei Endkunden als auch bei Resellern dauert sicherlich noch einige Jahre, um den Bedarf decken zu können."

Ähnlich argumentiert auch Hoffmann von Red Hat: "In den Anwenderfirmen herrscht ein großer Kostendruck, wir stehen am Anfang einer großen Konsolidierungsphase." Also komme Open Source gerade zur rechten Zeit. Die Berater müssten in dieser neuen Etappe, zumal jetzt die Anwender Linux weit mehr Vertrauen entgegenbringen, erhebliches technisches Wissen mitbringen - für Hoffmann eine willkommene Gelegenheit, auf die Qualifikation zum "Red Hat Certified Engineer" (RHCE) hinzuweisen.

Die Nachfrage nach Linux und damit nach entsprechendem Consulting nimmt auch deshalb zu, weil immer mehr traditionelle große DV-Anbieter ihre Programme auf Linux portieren. "Allein dass Oracle seine neuesten Datenbankversionen dafür öffnet", beobachtet Meta-Group-Analyst Pestinger, "zieht weiteren Beratungsbedarf nach sich."

Prompt sei zu beobachten, dass überall Kompetenzzentren entstünden, so zum Beispiel bei Siemens Business Services. Deshalb ist nach Pestinger schon bald damit zu rechnen, dass sich das aktuelle Verhältnis von eins-zu-eins zwischen Produkt- und Service-Umsätzen auf "eins-zu-drei oder sogar eins-zu-fünf" zubewege.

Für Forrester-Analyst Howe sind es vor allem IBM, Dell oder Intel, ohne die in den Konzernen kaum jemand auskomme und deren klares Linux-Engagement nachhaltig zum Auftrieb des Consultings beitragen dürfte. Allerdings sieht Howe insbesondere Red Hat als treibende und führende Kraft im Linux-Consulting. Und fast unbemerkt würden sich Organisationen wie Collab.net und Sourceforge als Informationsdrehscheiben professioneller Softwarespezialisten etablieren, aus denen sehr qualifizierte Beratungskapazität erwachse.

Für die klassischen Unternehmensberater wie McKinsey oder Boston Consulting könnten die Zeichen der Zeit allerdings nicht gut ausschauen. MacNeela von der Gartner Group: "Wenn die in zwei Jahren das Linux-Geschäft entdecken, wird es für sie zu spät sein."

*Winfried Gertz ist freier Journalist in München.

Abb: Das Servicegeschäft mit Linux

Bei einem durchschnittlichen Jahreswachstum von 58,4 Prozent soll sich der europäische Markt für Linux-Dienstleistungen zwischen 1999 und 2004 verzehnfachen. Quelle: Gartner Group