Componentware / Evolutionäre Software-Entwicklung statt Altlasten

Das Componentware Consortium: Die Suche nach dem Mittelweg

04.10.1996

Meistens entstehen Konsortien in der DV-Branche mit dem Ziel, einen allgemein akzeptierten Standard durchzusetzen. Beim Componentware Consortium war und ist das etwas anders. Die Gründungsmitglieder waren Sun Microsystems, I-Kinetics, Pratt & Whitney, Networks und BBN. Sie hatten ursprünglich in einem von der US-Regierung finanzierten Technologie-Förderprogramm zusammengearbeitet.

Nach dessen Ende stieß als erstes eine Abteilung der Siemens AG (nicht SNI!) dazu. Von Anfang an waren Anwenderunternehmen dabei, "Early Adopters", die die ersten praktischen Erfahrungen mit Componentware machten. Inzwischen sind rund 20 DV-Firmen und Anwender im CWC locker zusammengeschlossen. Nicht dabei ist Microsoft. Inzwischen betreut das Konsortium sechs Componentware- Projekte bei Anwendern.

Das Konsortium begann seine Arbeit vor gut eineinhalb Jahren mit recht bescheidenen Schritten. Zunächst ging es nur darum, zu klären, was die beteiligten Unternehmen unter Componentware verstanden und welche Perspektiven sie dem Konzept einräumten. Der gemeinsame Nenner lautete, daß Components unabhängige Softwarebausteine sind, die auf beliebigen Plattformen miteinander verzahnt agieren können.

Das ist nicht zu verwechseln mit Softwaremodulen, wie sie beispielsweise SAP R/3 zu eigen sind. Diese Module lassen sich nicht ohne weiteres durch andere ersetzen oder ausbauen, das verlangt vielmehr ein großes Maß an Feinarbeiten zur Integration. Das CWC aber will mehr: beliebiges und sofort funktionierendes Plug and play.

Es gibt verschiedene Modelle, die diesem Anspruch entgegenkommen. Das bekannteste ist Microsofts Distributed Common Object Model (DCOM), in dem die Technik Object Linking and Embedding (OLE) die entscheidende Mittlerrolle spielt. Auf den Desktops der Wintel- Welt funktioniert Componentware - aber eingeschränkt, nämlich nur bis in LAN-Größenordnungen.

Das zweite bedeutende Modell hat auch proprietäre Ursprünge, ist inzwischen aber vom Standardisierungsgremium Object Management Group (OMG) offiziell anerkannt worden: Opendoc. Hier ist der OMG- Standard Common Object Request Broker Architecture (Corba) die Grundlage für jedwede Verbindung zwischen zwei Objekten.

DCOM und Opendoc ist etwas gemeinsam, was sich das Componentware Consortium zu eigen gemacht hat. Beide sind keine Regeln für Schnittstellen, sondern Regelwerke, die festlegen, welche semantischen Standards alle Komponenten erfüllen müssen, was also erlaubt ist und was nicht - in ihrer jeweiligen Welt. Und darin sieht das CWC eine Begrenzung.

Das Componentware-Konsortium möchte durchaus auch Regeln, faßt sie aber in einen sehr weichen Begriff. Es möchte zu übergreifenden stilistischen Richtlinien kommen, die es erlauben, aus den Komponenten verschiedener Hersteller beliebig skalierbare Systeme zu schaffen. Es läßt sich etwa mit architektonischen Grundregeln vergleichen, die es ermöglichen, aus Bauteilen verschiedenster Materialien und Hersteller beliebig große Gebäude für unterschiedliche Zwecke zu errichten.

Das läßt sofort an Standards denken, was aber zur Zeit noch falsch zu sein scheint. Bruce Cottman, President des CWC-Mitbegründers I- Kinetics, gegenüber der COMPUTERWOCHE: "Unser Ziel ist nicht etwa ein neuer Standard, sondern der Erfahrungsaustausch zwischen Herstellern und Early Adopters."

Das CWC ist einfach noch zu jung und zu schwach, um sich ernsthaft zutrauen zu können, am Markt einen Standard für das Interagieren von Komponenten durchzusetzen. Auch CWC-Mitglieder, die gelegentlich den Begriff Standard verwenden, gestehen ein, daß derzeit nur Microsoft Standards setzt.

Obwohl DCOM in CWC-Kreisen als ganz anständige Architektur angesehen wird, gilt OLE als viel zu schwach, als daß ihm allein die Zukunft gehören sollte. Es sei umständlich, schlecht implementiert, programmiertechnisch schwer zu adressieren und führe zu fehlerträchtigen Lösungen.

Deutlich mehr Sympathien hat Opendoc. Dies liegt schon daran, daß über 200 Firmen damit arbeiten und für ihre Systeme Implementierungen geschaffen haben. Außerdem hat es den Segen eines der stärksten Standardisierungsgremien, der OMG, zu der das CWC enge Beziehungen hat. Das CWC ist die inoffizielle Komponenten-Forschungsabteilung der OMG. Es berichtet ihr über bisherige Erfahrungen und gibt Empfehlungen für Spezifikationen.

Allerdings sollte die Nähe zur Objektorientierung nicht zu Fehlschlüssen verleiten. Zwar basieren beide Konzepte im Prinzip auf denselben theoretischen Grundlagen, trotzdem bezeichnen sie unterschiedliches. Ein Objekt ist noch lange keine Komponente, diese bestehen vielmehr aus mehreren Objekten. Objektorientierung ist lediglich eine Entwicklungsmethode, während Componentware sich auf die Interaktion verteilter Komponenten bezieht.

Komponenten müssen nach CWC-Regeln nicht zwangsläufig in einer objektorientierten Sprache geschrieben sein. Ganz im Gegenteil. Den Komponentenvordenkern schwebt es eher vor, auch alte Legacy- Software in möglichst viele kleine Komponenten zu zerlegen. Das würde ihre Wartung und Modernisierung wesentlich vereinfachen. Solange die Verwendung einer "alten" Komponente erforderlich und ökonomisch sinnvoll ist, spricht nichts dagegen.

Gepflegtes Wachstum wie in britischen Parks

Es gäbe, so die Träume im CWC, keine Altlasten mehr. Große Migrationsprojekte wären überflüssig, wenn verschiedenste, junge und "alte" Komponenten auf der Grundlage stilistischer Richtlinien in einem großen System zusammenarbeiten könnten - skalierbar vom PC bis zum Mainframe. Ein solches Modell wäre in der Tat evolutionär, indem es sich ständig modernisierbar fortentwickeln kann. Die Richtlinien bestimmen, in welchen Bahnen das System wachsen soll - Software-Entwicklung nach Art britischer Parkgestaltung.

Davon allerdings ist das Componentware Consortium weit entfernt. Die Zahl der Opendoc-Komponenten ist so gering, daß man sie schon suchen muß. Doch das scheint der Aufbruchstimmung in dem lockeren Verein keinen Abbruch zu tun. Opendoc werde in der Industrie auch erst seit bestenfalls einem Jahr ernstgenommen. Jetzt aber komme die Sache in Gang.

Anwender und Anbieter warten lieber noch

Es sei durchaus verständlich, daß die Softwarehäuser lange gezögert hätten, ein Modell zu übernehmen. Die Neuausrichtung der eigenen Software auf eine Component-Strategie ist ein tiefgreifender Einschnitt er legt auf Jahre die Strategie und die Entwicklung eines Unternehmens fest. Und die mühsame erste Phase des Lernens kann sehr schnell sehr teuer werden.

Dieses Risiko gehen viele nicht ein - Deutsche schon gar nicht. Viele Unternehmen warten lieber ab, wie sich risikofreudige Softwarehäuser entwickeln. Vorerst folgen sie dem Microsoft- Mainstream. Trotz aller Schwächen der Produkte des Großanbieters schaffen seine personellen und finanziellen Ressourcen ein Klima von Vertrauen und Sicherheit.

Genauso sieht es auf der Anwenderseite aus. Es gibt einige "Early Adopters", die in eng umrissenen Bereichen Componentware testen. Das CWC unterstützt sie bei diesen Projekten. Solche Anwender sind beispielsweise AT&T, Boeing und Texas Instruments. Vor allen Dingen im Bereich der Telekommunikation, der sich schon länger der Objektorientierung bedient, um nicht an der schieren Größe der DV- Systeme zu scheitern, hat Componentware einige Aufmerksamkeit erregt. Der Rest wartet, ob die Projekte zu Erfolgen führen. Fürs erste aber ist Microsoft angesagt.

Internet-Techniken wie etwa Java-Applets haben in CWC-Kreisen neue Hoffnungen aufkeimen lassen. So meint Bruce Cottman: "Das Internet wird die Entwicklung der Komponententechnologie erheblich beschleunigen. Schon jetzt handelt es sich um komplementäre Technologien."

Allerdings solle man besser nicht zu euphorisch sein. Die Sicherheitsmechanismen und Replikationsfähigkeiten der neuen Techniken seien beispielsweise den entsprechenden Services von Corba deutlich unterlegen.

Trotz verhältnismäßig gedämpfter Töne ist ein gewisser Optimismus in CWC-Kreisen nicht zu überhören. Die Entwicklung könnte demnächst durchaus schneller vorangehen. Der plötzliche Boom des alten Internet läßt auch hier auf technologische Schübe hoffen. Zumal Componentware noch sehr jung ist, könnte es sein, daß die heute bekannten Konzepte und ihre Umsetzungen in fünf bis zehn Jahren nicht mehr wiederzuerkennen sein werden.

Angeklickt

Eine kleine Gruppe avantgardistischer Unternehmen hat sich im Componentware Consortium (CWC) zusammengefunden. Ziel ist nicht die Festschreibung von Standards, sondern die Entwicklung einer Architektur, die ein Plug and play unterschiedlicher Komponenten verschiedener Hersteller ermöglicht. Das würde die bisherigen Grenzen in der Komponentenwelt sprengen. Am Ende könnte ein System entstehen, das sich evolutionär fortschreiben ließe. Neben Softwarefirmen spielen im CWC einige Anwender eine wichtige Rolle. Als "Early Adopters" bringen sie erste Projekterfahrungen mit Komponententechnik in den Kreis ein.