Unix- und OS2-Plattform soll CISC und RISC vereinen

Das ACE-Konsortium sieht sich als Speerspitze bei Workstations

19.04.1991

BRÜSSEL (jm) - An starken Worten hat es nicht gefehlt, als das 21 Unternehmen umfassende Workstation-Konsortium um Compaq, DEC, Mips, Microsoft and SCO den Schleier über ihren Plänen für eine einheitliche und offene Hard- und Software-Umgebung lüftete. Danach soll der Anwender in Zukunft zwischen DOS/Windows-, OS/2- und Unix-Umgebungen sowie RISC- und CISC-Welten wandern können, ohne sich jemals noch Gedanken über Kompatibilitätshürden machen zu müssen.

Doch die Begeisterung bei der Presse hielt sich in Grenzen. Sie mochte Mips-President Charles M. Boesenberg nicht so recht folgen, als der in einer Tour de Force den Bogen schlug von IBMs /360-Welt der 60er über DECs Minicomputer-VAXen der 70er bis zu den IBM-Intel-PCs der 80er Jahre. Diese Architekturen verkörpern nach Boesenberg die bisherigen drei marktdominanten Standards.

Die Ansprache des zur Zeit sehr hofierten RISC-Chip-Designers, kulminierte in einem wenig bescheidenen Aus- und Anspruch: "Mit unserem Hard- und Softwarekonzept wird ACE der vierte Standard."

Nutznießer, so die beteiligten Unternehmen unisono, sie der Anwender. Der erhielte nun endlich eine offene Welt, die weder von Hardware-Architekturen noch Betriebssystemen verstellt sei.

In Zukunft stelle sich für den Anwender nicht mehr die Frage, ob er nun RISC-Workstations - auf Mips-Basis allerdings - oder Intel-CISC-Rechner - hier gar querbeet durch die Herstellerpalette - für sein Tagesgeschäft kaufen solle. In Zukunft sprächen Intel-DOS- oder Unix-Maschinen aller X86-Klassen die gleiche Sprache wie R3000- oder R4000- bewehrte Mips-Boliden.

Das Grundkonzept, mit welchem einige der beteiligten Unternehmen bereits seit zwei Jahren schwanger gingen, fußt auf einer gemeinsamen Hardware und Betriebssystem-Umgebung. Die Hauptelemente der Initiative betreffen zum einen die Unterstützung für PCs und PC-Systeme auf Basis von X86-Prozessoren sowie der gängigen Bussysteme EISA, ISA und MCA.

Compaqs Europa-Chef Andreas Barth ließ keinen Zweifel daran, daß die ACE-Gruppe das Potential der millionenfach installierten PC-Basis als festen Faktor in ihrer Gewinnrechnung aufführt. Man erwarte, so Gary Stimac, Entwicklungschef bei Compaq, mit neugewonnenem Selbstbewußtsein gegenüber Intel, vielmehr von dem Prozessormonopolisten in der Zukunft verstärkte Entwicklungsanstrengungen für X86 -CPUs. Wichtiger sind zum anderen aber die ARC-Spezifikationen (Advanced RISC Computing), mit denen sich die ACE-Mitglieder auf eine einheitliche Rechnerplattform auf Basis der Mips-RISC-Architektur und den Busarchitekturen EISA, VME und DECs Turbo-Chanal festlegten. Um zwischen den RISC- und CISC- Hardware-Architekturen freien Datenaustausch zu gewährleisten, wird man sowohl bei SCO als auch bei Microsoft mit Emulationstechniken arbeiten müssen.

Bei SCO denkt man noch darüber nach, wie man DOS-Anwendungen an die erweiterte Unix-Umgebung unter ODT heranführen kann. "Möglicherweise werden wir einen Intel-Emulator für DOS-Applikationen bringen", räsoniert James P. Wilt, Vice-President Business Development bei SCO.

Zwischen den Unix-ODT- und OS/2-Version-3.0-Umgebungen der zukünftigen ARC-RISC-Architektur und den Intel-CISC-Systemen wird Sourcecode-Kompatibilität bestehen. Anwendungen müssen somit für die jeweils andere Hardwareplattform lediglich rekompiliert werden.

Dies ist möglich, da sich die ACE-Mitglieder darauf verständigt haben, ihre RISC-Rechner als sogenannte "Little-endian"-Maschinen - wie es bei den Intel-PCs der Fall ist - zu konzipieren. Das heißt, beide Hardware-Architekturen besitzen die gleiche Art, ihre Bytes im Memory und auf Disks anzuordnen, verstehen somit die Datenformate der jeweils anderen Architektur.

Das, so betonen Paul Maritz, Vice-President Advanced Operating Systems bei Microsoft, und Wilt gleichermaßen, bedeute, daß der Anwender für seine DV-Topologie in Zukunft die besten am Markt verfügbaren RISC- und CISC-Komponenten nutzen und sie zu einem kompatiblen Gesamtsystem zusammenfügen kann.

Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg des neuen Konsortiums wird wohl sein, ob Software-Entwickler sich für das Betriebssystem-Softwarekonzept erwärmen können. Nach den Worten von Didier Chaussonniere von Zenith Data Systems gibt die OSF als wesentlicher Ausstatter der Unix-Technologie zukünftig den Ton bei ACE an. Da aber auch die Unix Software Laboratories (USL) Zulieferer sein soll, nennt der Zenith-Manager den kleinsten gemeinsamen Unix-Nenner der ACE-Gruppe: "Konzentriert haben wir uns mit unseren Standardisierungsbemühungen jedoch auf die durch die X/Open entwickelten Vorgaben wie X/Open Portability Guide 3 (XPG) und XPG4 sowie auf Standards wie Posix 1003.1 und OSF AES und SVID (System V Interface Definition) Issue 2."

Allen Ultrix-Anwendern garantiert ACE für die Zukunft Binärkompatibilität zu SCOs 32-Bit-Betriebssystem-Umgebung. Skip Garvin, Product Sales Manager Systems Marketing Europe von DEC, umriß die Unix-Road-Map für Ultrix-Anwender: Bis zum zweiten Quartal 1992 will DEC sowohl seine Ultrix/UWS Version 4.2 - Garvin: "In der Vergangenheit haben wir vor allem VMS und ein paar Ultrix-Versionen verkauft. Heute wollen die meisten Ultrix aber nicht mehr." - als auch das VAX-System-V-Produkt in ODT Release 1 verschmolzen haben.

Garvin versprach, daß für VMS noch im Spätsommer 1991 die im Feldtest befindliche Posix-Schnittstelle verfügbar sei. Im "Open VMS" werden zeitgleich Motif und Posix integriert sein: "Wenn wir das nicht vor dem Jahresende realisiert haben, dann ist unser Zeitplan ganz eindeutig verfehlt."

Das erweiterte ODT-Unix-Betriebssystem von SCO wird die Spezifikationen von OSF DCE (Distributed Computing Environment), von Suns NFS (Network File System) und die Netzwerksysteme Netware, LAN Manager/Server sowie Banyans Vines-Software und die Anbindung an Decnet und IBMs SNA unterstützen.

Die zweite Betriebssystem-Plattform, auf die sich die ACE Gruppe einigte, ist die für 1992 zu erwartende und auf der NT-Technologie (New Technology) basierende 32-Bit-Version 3.0 von OS/2. Sie wurde bereits auf der Comdex 1989 erstmals erwähnt. Ein Jahr später - in der gemeinsamen Erklärung von Microsoft und der IBM zu deren zukünftiger Aufgabenteilung bei der Entwicklung der Betriebssysteme -gab Microsoft dem Kind einen Namen: OS/2 portable.

Merkmale der Version 3.0 von OS/2 sind unter anderem pre-emptives Multitasking, symmetrisches Multiprocessing und Sicherheitslevel C2 mit einer Design-Option auf B1. Alle Vorläuferversionen - also 1.3 und 2.0 - von OS/2 sowie Posix werden unterstützt.

Software-Entwicklern stellt Microsoft darüber hinaus einen Satz von APIs zur Verfügung, die sowohl in der DOS/Windows- als auch OS/2-Version-3.0-Umgebung ablaufen. Mit dieser sogenannten "Windows-32"-Schnittstellensammlung können wiederum sowohl RISC- als auch die Intel-CISC-Rechner angesprochen werden. Version 3.0 soll unter den Windows-32-APIs sowohl 16-Bit- als auch 32-Bit-Windows -Applikationen fahren können.

Paul Maritz widersprach übrigens heftig dem Gerücht, ACE-Mitglied Microsoft koche wieder sein eigenes Süppchen, weil hausintern bereits portable OS/2-Versionen im Test seien, die auch auf anderen RISC-Plattformen - genannt wurde Suns Sparc-Architektur - ablauffähig seien. Maritz sibyllinisch: "Da OS/2, Version 3, per Definition portabel ist, könnten wir es natürlich auch auf andere Plattformen portieren als auf die von ACE ausgesuchten. Aber wir tun dies nicht - es sei denn, mein Entwicklungsteam würde etwas vor mir verstecken."

Es geht nicht um finanzielle Unterstützung

Günter Frommel, Chef der Systemplanung Workstations, Terminals, Drucker bei ACE-Mitglied SNI, stellte klar, daß es sich bei den RISC-Verbündeten um ein Komitee handelt, das keinen gemeinsamen FuE-Topf unterhält. Nicht um finanzielle Unterstützung ginge es. Vielmehr könne in den Kreis der HP-, Sun- und IBM-Gegner jeder aufgenommen werden, der Mips-basierte Systeme nach den ACE-Spezifikationen entwickle.

Erste Produkte der ACE-Gruppierung sind übrigens für Entwickler ab Ende 1991 zu erwarten. Der Endanwender soll ab Mitte kommenden Jahres mit solchen rechnen können.