Darf`s noch etwas mehr sein?

10.06.2009
Kunden verlangen gute Informationen, eine Benutzerführung und individuelle Angebote. Viele Online-Shops bieten das nicht.

Rund 36 Millionen Deutsche werden dieses Jahr laut Forrester Research auf lokalen E-Commerce-Sites herumstöbern und dabei durchschnittlich 869 Dollar pro Jahr ausgeben. Bis 2014 könnte ihre Zahl auf 44 Millionen steigen, die Ausgaben pro Kopf auf 994 Dollar klettern. Gefragt sind vor allem Bücher, Kleidung, Tickets, Musik und Privatreisen. Folgt man den Prognosen der Analysten, kann sich der deutsche Handel (samt Reisebranche) auf ein Wachstum der E-Commerce-Einnahmen von derzeit geschätzten 31,3 Milliarden Euro auf 44 Milliarden Euro bis 2014 einstellen. Je deutlicher indes der Trend zum Web-Shopping ausfällt, desto dramatischer fallen die vielfältigen Defizite der Web-Auftritte ins Gewicht. Weil ihre Betreiber sich nicht genügend um die Bedürfnisse ihrer Klientel kümmern, suchen die Kunden woanders nach Angeboten, die nur einen Klick entfernt sind, oder kaufen doch lieber im Geschäft.

13 Jahre nach der Erfindung des E-Commerce sind die Anforderungen an Webshops größer denn je (siehe Grafik auf Seite 14: "Einflussfaktoren"). Neben der technischen Integration (Prozesse, Anwendungen, Backoffice, Clients, Lokalisierung), der Softwareauswahl oder der Vertriebsstrategie gibt es aus Sicht der Kunden vor allem zwei Aspekte, mit denen der gesamte Web-Auftritt steht und fällt: das Auffinden von Informationen und die Benutzerführung.

Dauerthema Usability

Doch gerade bei dem, was Experten mit Usability bezeichnen, liegen seit Jahren die größten Probleme, wie Andreas Selter weiß. Er ist Manager Web Solutions bei der User Interface Design GmbH (UID) in Ludwigsburg und München, einer Unternehmensberatung, die Kunden unter anderem beim Aufbau ihrer E-Commerce-Auftritte betreut. Die neuen alten Probleme von E-Commerce-Lösungen kennt er zur Genüge: "Die meisten Webshops haben in puncto User Experience immer noch erheblichen Nachholbedarf." Viele Shop-Betreiber glaubten nach wie vor, dass Kunden auf direktem Weg zu ihnen kämen, um einzukaufen. Tatsächlich wollen Nutzer aber zwischen den Angeboten vergleichen und auf den ersten Blick erkennen können, was geboten wird. Zudem gibt es verschiedene Strategien bei der Informationssuche: Manche Besucher erwarten von einer E-Commerce-Lösung, dass sie hilft, detaillierte Angaben zu einem Produkt auf direktem Weg zu finden, andere stöbern zunächst und sind für zusätzliche Angebote empfänglich, während sich wieder andere an den Rubriken der Website orientieren und über diese in den Inhalten navigieren.

Es müssen also verschiedene Formen des Zugangs geboten werden: Ein einfaches Suchfeld à la Google sollte ebenso Standard sein wie ein Suchformular, in dem sich je nach Wunsch Filter setzen lassen, ohne dass der Nutzer abgeschreckt wird, weil er zu viele Detailangaben machen muss. Was die Navigation durch die Rubriken betrifft, so sind diese bis heute nur selten eindeutig und stringent gekennzeichnet, sondern oft durch ein Zuviel an Marketing-Inhalten und eigenen Wortschöpfungen gespickt, mahnt Selter. Wichtig ist es zudem, dass die Site für externe Suchmaschinen wie Google optimiert ist, da so die Mehrheit der Kunden nach Produkten sucht.

Diese Einschätzung teilt Stefan Bauer, Vorstand der in München und Berlin ansässigen Internet-Agentur Marit AG. Neben der Suchmaschinenoptimierung der Angebote bleibe die direkte Suche auf der Website wichtig. Diese sei jedoch oft noch "Case-sensitiv" implementiert und erfordert exakte Eingaben, die der Benutzer nicht immer machen könne. Die Folge sind falsche oder keine Ergebnisse, obwohl das gesuchte Produkt vielleicht vorhanden ist. Betreiber sollten stattdessen ihren Kunden beispielsweise eine Ähnlichkeitssuche und gute Suchkategorien bieten:

Dringender Handlungsbedarf besteht auch bei der Produktpräsentation. Vor allem zu technischen Artikeln wünschen sich Kunden viele Details. Ebenso sollten nur hochwertige und ansprechende Bilder verwendet werden, und der Stil der Informationen ist nüchtern und sachlich zu halten, rät Bauer, "denn Marketing-lastige Anpreisungen mag niemand". Dies gilt für B-to-B-Sites im besonderen Maß. Ferner sollten Anbieter stark darauf achten, dass die Nutzung und Weitergabe persönlicher Daten transparent und verständlich erläutert ist.

Lieblose Präsentationen

Dazu gehören neben übersichtlichen Formularen nachvollziehbare Preisangaben sowie sichtbare und verständliche AGBs. Außerdem sollten Unternehmen nur die unbedingt nötigen persönlichen Angaben einfordern, um Kunden nicht abzuschrecken.

Ein anderes Thema, das den Erfolg und das Erscheinungsbild des Shops beeinflusst, ist die Bezahlung. Laut Forrester möchten die wenigsten deutschen Nutzer ihre Kreditkartennummer eingeben. Sie bevorzugen eine Vorauszahlung, eine Zahlung per Nachnahme oder gegen Rechnung. Als einen Grund für diese im Vergleich zu anderen Ländern größere Zurückhaltung gegenüber Kreditkartenzahlungen sehen die Analysten Alexander Hesse und Victoria Bracewell Lewis ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Sicherheit von Websites. Nur ein Viertel aller Online-Shopper macht sich laut Forrester keine Sorgen um seine Finanzdaten beim Online-Kauf. Daran konnten auch alternative Bezahlverfahren wie T-Pay oder Giropay bislang nichts ändern. Lediglich PayPal haben laut Forrester ein Drittel der Kunden schon genutzt.

Laut Marit-Vorstand Bauer liegen die Gründe aber auch in der oft umständlichen Zahlungsabwicklung. Die sei zwar nach jahrelangen Klagen insgesamt besser geworden, doch gebe es immer noch einiges zu optimieren. So fehlt es vielen Sites an einer klaren Sprache und guten Benutzerführung. "Viele Einkaufswagen bleiben stehen, weil die Preisgenerierung (Gesamtkosten) nicht nachvollziehbar ist oder der Kunde in puncto Sicherheit einen schlechter Eindruck vom Shop gewinnt. Manchmal weiß der Anwender auch einfach nicht, worauf er als Nächstes klicken soll."

Grundsätzlich zeichnen sich die besseren Web-Seiten durch zwei Aspekte aus: gut strukturierte Inhalte und ein konsistenter Seitenaufbau (Navigation, einheitliche Elemente, Trennung von Werbung und objektiv informierenden Inhalten). Ob hingegen viel oder wenig Text auf einer Seite steht, ist zweitrangig. "Kunden haben nicht grundsätzlich etwas gegen Werbung", so Selter, sie müsse nur klar als solche erkennbar sein. Bauer ist diesbezüglich skeptischer. Der Kunde wolle Inhalte und Mehrwerte geboten bekommen, die ihn interessierten, und keine belanglosen Marketing-Parolen: "Es geht um Relevanz statt Awareness." Der Nutzer sei heute so aufgeklärt, dass er Werbung als solche erkennt und nicht mehr möchte. Dies gelte in einem noch stärkeren Maß für Social Networks, wo Werbung negativ auffalle und ignoriert werde. Eine Ausnahme bilden Videoportale, in denen Werbe-Clips meist akzeptiert sind.

Web 2.0 schafft Kundennähe

Relevanz entsteht in B-to-B-Sites vor allem durch die Dreingabe (exklusiver) fachlicher Informationen zum Produkt. Im Endkundengeschäft (B-to-C) sind es hingegen Techniken und Kommunikationsformen des Web 2.0, die für mehr Kundennähe sorgen. Insbesondere der User-generated Content (Bewertungen) wird von Kunden als "wahr" akzeptiert und dient als Kaufkriterium. Online-Händler sollten die entsprechenden Bewertungsstrukturen vorgeben (zum Beispiel ein Notensystem) und einen klaren Produktbezug schaffen, um von Kundenempfehlungen unmittelbar zu profitieren.

Allerdings gibt es laut Selter kein Patentrezept, um kollaborative Web-2.0-Techniken in den E-Commerce einzubinden. Vielmehr hänge dies von den jeweiligen Zielgruppen und Produkten ab. So gehören im Reisemarkt beispielsweise Bewertungsmechanismen schon seit längerem zum Standard, während bei Lifestlye-Produkten mittlerweile Community-Features gewünscht sind: "Ist ein Produkt emotional aufgeladen, wollen sich die Kunden darüber austauschen können und Empfehlungen abgeben." Offen ist laut Bauer, ob sich auch Weblogs oder Twitter als Vertriebskanäle für Webshops eignen. Hier sollte man die Entwicklung der nächsten zwei Jahre abwarten. Ebenso seien die Tendenzen im E-Commerce nicht auf das B-to-B-Geschäft übertragbar, denn dort stehe nicht das Kauferlebnis, sondern die Prozessintegration im Vordergrund: "Der größte Unterschied zu B-to-C ist, dass Anbieter auch mit sehr standardisierten Shop-Lösungen Erfolg haben können, weil die Zielgruppe meist bekannt ist und nicht erst gewonnen werden muss." Zudem sind viele Produkte nur über einen einzigen Anbieter erhältlich, wodurch der Wettbewerb entfällt.

Als grundsätzliches Gebot für Webshop-Betreiber gilt es, künftig einen persönlichen Mehrwert für Kunden zu schaffen: "Individualisierung ist angesichts der heutigen Informationsüberflutung ein entscheidendes Erfolgkriterium", mahnt Bauer. Dies fange bei einfachen Zubehörlogiken an, die mittlerweile viele Shops abbildeten, und reiche über Cross-Selling à la Amazon (Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch...) bis zu einer profilbasierenden Logik, die individuelle Startseiten und Angebote passend zu bisherigen Käufen anzeigt.

Individuelle Inhalte und Angebote

Letzteres kann aber auch schiefgehen, wenn die Site beispielsweise mehrere Profile eines Nutzers verwaltet und ihm dann unnütze Inhalte unterbreitet (Fachbuch plus Kinderbuch). Um dies zu vermeiden, muss der Shop-Betreiber Kunden und Interessenten verstärkt über ein Dialog-Marketing (E-Mail) kontaktieren, um mehr über ihre Wünsche zu erfahren beziehungsweise auf spezielle Angebote hinweisen zu können.

Letztere können zum Beispiel saisonale Inhalte sein, die der Shop-Betreiber gezielt vor den Ferien oder etwa zum Muttertag platziert und per Newsletter bewirbt. Allerdings bietet herkömmliche Shop-Software laut Bauer keine ausreichenden Möglichkeiten, weshalb viele Unternehmen mittlerweile temporäre Inhalte und Angebote mit Hilfe eines zusätzlichen Web-Content-Management-Systems erstellen. Ein anderes Beispiel ist die Individualisierung von Produkten: Sites wie MyMüsli.com oder Spreadshirt.de gestatten es dem Kunden, Produkte zusammenzustellen, die es vorher nicht gab.

Aufwändige Personalisierung

Der Anbieter schafft also den Rahmen, in dem sich der Kunde nach seinen Wünschen bedient. Abgesehen von einigen großen Shops stehen die meisten Betreiber mit der Personalisierung ihrer Angebote noch am Anfang. Gründe sind die komplexe individuelle Implementierung und Konzeption sowie der hohe Programmieraufwand. Zudem können Standard-Shop-Lösungen solche individuellen Anforderungen nicht abdecken. "Eine Investition auf diesem Gebiet würde sich aber für jeden Shop sehr schnell rechnen."

Das Einmaleins der Usability

  • Webshops immer aus der Sicht der Nutzer gestalten (welche Inhalte/Funktionen werden in welcher Form für das jeweilige Nutzungsziel benötigt?);

  • nachvollziehbare Inhaltsstruktur (Informationsarchitektur) bieten, nicht die eigene Organisationsstruktur, sondern schlüssige Abläufe und Handlungsstränge abbilden;

  • klare, konsistente Layouts aus Sicht des Nutzers (optimale Strukturierung und Unterscheidbarkeit von Navigation, Inhalten, Interaktionselementen);

  • eindeutige und konsistente Begriffe bei Navigation und Interaktion verwenden;

  • differenzierte Suchmöglichkeiten bieten (einfache, intelligente Suche, Produktberater, schlüssige, eindeutige Navigation etc.);

  • optimale Balance zwischen Bild und Text finden – Bilder emotional/Texte sachlich kompakt;

  • Vertrauenswürdigkeit (Preistransparenz, klare AGBs, bei der Anmeldung wenig Daten abrufen);

  • innerhalb des Bestellprozesses Seiten möglichst schlank gestalten (Nutzer möchten nach ihrer Entscheidung effizient abschließen und sollten nicht mehr abgelenkt und aufgehalten werden);

  • hochwertiges, emotional ansprechendes Design bieten, um Professionalität auszustrahlen und die Benutzung angenehm zu gestalten;

  • Flüchtigkeitsfehler (Schreibfehler, Inkonsistenzen, Fehlfunktionen etc.) vermeiden, da die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit darunter erheblich leidet;

  • den Mehrwert von Features deutlich analysieren (individuelle Vorlieben beachten: Manche mögen Filter, andere stören sie);

  • auch bei der bestmöglichen Befolgung der wichtigsten Standards führt kein Weg um Tests mit echten Anwendern herum.