Beim Executive Forum der COMPUTERWOCHE diskutierten IT-Chefs Organisations- und Infrastrukturfragen

Damit vom Budget was übrig bleibt

06.06.2003
ROTTACH-EGERN - Wie kann die IT einen Wertbeitrag leisten, wenn steigende Betriebskosten die Mittel für Innovationen auffressen? Diese Frage beschäftigte knapp 30 CIOs, die die COMPUTERWOCHE zum Erfahrungsaustausch an den Tegernsee eingeladen hatte. Als Diskussionsgrundlage dienten die jeweils von einem Professor der Universität St. Gallen und einem IT-Manager ausgearbeiteten Vorschläge zur Vereinfachung der Organisation beziehungsweise der Infrastruktur.

"Simplify your IT" lautete das Motto der Veranstaltung. Es leitete sich aus der Erkenntnis ab, dass ein großer Teil der IT-Kosten aus Komplexität erwächst: Jede Investition in zusätzliche Produkte oder Funktionen zieht Integrationskosten nach sich - umso mehr, je komplexer und unübersichtlicher die Strukturen sind, in die die Neuerungen eingebettet werden. Wer an dieser Stelle für Entlastung sorgt, gewinnt Spielraum für Investitionen, die das Unternehmen wirklich nach vorn bringen.

Organische Struktur in vier Schichten

Wie Charles Homs, Senior Analyst bei Forrester Research, in seinem Keynote-Vortrag betonte, hängt der Unternehmenserfolg weniger von der Höhe der IT-Aufwendungen ab als von der Art und Weise, wie das zur Verfügung stehende Geld verwendet wird. Forrester habe in einer mehrjährigen Untersuchung festgestellt, dass Unternehmen mit kontinuierlichem Umsatzwachstum, gutem Return on Assets und steigendem Cashflow im Schnitt nur 3,3 Prozent ihrer Einnahmen für Informationstechnik ausgeben. Allerdings würde sehr oft in vier IT-Bereiche investiert:

- Web-Services,

- Techniken zur Integration neuer Vertriebskanäle ("Right Channeling"),

- flexible Zulieferernetze und

- "organische IT".

Mit dem zuletzt genannten Begriff bezeichnete Homs weniger die von IBM, HP und Sun in Aussicht gestellten, aber erst in Ansätzen verfügbaren "On-Demand"-Angebote als vielmehr eine bereichsübergreifende Neuorganisation der IT-Infrastruktur. Eine "organische" Struktur setze sich, so der Analyst weiter, aus vier Schichten zusammen: einem horizontalen und anwendungsunabhängigen Software-Layer, einem universell verwendbaren Geflecht von Rechen-Power - ein erster Schritt in diese Richtung ist das "Grid Computing" - sowie einem gemeinsamen Speicher-Pool und einem "Redundant Array of Internet Links". Auf dieser Basis ließen sich die Infrastrukturkosten in fünf Jahren um die Hälfte verringern.

Für die Implementierung der Projekte hält Homs Programmbüros und strukturierte Methoden für hilfreich - nach dem Motto: zentral planen und dezentral ausführen. In der Regel gehe es zu Lasten des Unternehmenserfolgs, wenn sich der CEO in die IT-Strategie einmische.

Die Ausführungen des Forrester-Analysten stießen auf lebhafte Resonanz im Auditorium. So warnte Andreas Resch, Geschäftsführer des Logistikdienstleisters Fiege Deutschland, vor einem Übermaß an Integration. Sie verlange viel Disziplin, weil die kleinste Veränderung schwer überschaubare Auswirkungen habe. "Wir brauchen auch SAP-freie Zonen, Räume für flexible Innovationen", mahnte er.

Prinzipiell konnte Homs ihm da nicht widersprechen. Dennoch verwies der Analyst auf neue gesetzliche Bestimmungen wie "GDPdU" und "Basel II", denen ohne eine solche Integration nicht Genüge getan werden könne.

Ein erstes Highlight des Executive Forum waren die "Zehn Vorschläge zur Vereinfachung der IT-Organisation" von Ulrich Flatau, Leiter IT-Strategie und Prozessorganisation bei der Porsche AG, sowie Thomas Gutzwiller, Titularprofessor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen und CEO der Unternehmensberatung The Information Management Group (IMG).

1. Vor allem für große Unternehmen gilt: Teile intelligent, herrsche verantwortungsbewusst und pflege die Schnittstellen. Am Anfang muss die Definition von strategischen Geschäftsfeldern stehen. Daraus leiten sich die Prozesse ab, die wiederum von den Informationssystemen abgebildet und durch die IT-Systeme unterstützt werden müssen.

2. Es besteht ein gavierender Unterschied zwischen Run und Change. Das IT-Budget setzt sich in jedem Unternehmen aus den Betriebskosten (Run) und den Innovationen in die Weiterentwicklung des Unternehmens (Change) zusammen. Idealerweise bestehe zwischen beiden ein Fifty-fifty-Verhältnis, warf Flatau in den Raum - und erntete das erwartete Raunen. In den meisten Unternehmen verschlinge der IT-Betrieb weit mehr Mittel, als für Innovationen zur Verfügung stehen. Der Grund dafür liege in den Folgekosten der Projekte: "Pro Euro, den Sie in Change investieren, brauchen Sie 50 Cent für den Support." Der Change-Teil gehöre dabei der Unternehmensführung, nicht der IT, fuhr der Porsche-Manager fort: "Das ist Geld, das von der Bottom-Line kommt."

3. Für den Change-Teil ist ein Auftraggeber-Management mit transparenten Steuerungsprozessen außerhalb der IT zu installieren. So wird sichergestellt, dass "strategische" und Fachbereichsprojekte sowie Release-Bündelungen in den "Bebauungsplan" passen.

4. Die Verantwortung für den Run-Teil liegt einzig bei der IT. Sie muss konsequent nach Effizienzverbesserungen suchen und einen permanenten Verbesserungsprozess in Gang setzen. Bei Einkauf und Vertragsverhandlungen lässt sich, so Flatau, viel Geld "freischaufeln", das dann für das Change-Projekt zur Verfügung steht. In diesem Zusammenhang sei für Kostentransparenz zu sorgen.

5. Change und Run benötigen unterschiedliche Skills. Das sollte in der Organisation berücksichtigt werden. "Der CIO muss alles können, die anderen nicht", erinnerte Gutzwiller das Auditorium. Deshalb sei es notwendig, die beiden Bereiche getrennt zu handhaben. Flatau ging noch einen Schritt weiter: "Den Run-Bereich kann man sehr gut in ein separates Unternehmen ausgliedern." Damit die Kundenzufriedenheit dabei nicht auf der Strecke bleibe, sei jedoch eine übergreifende Qualitätssicherung notwendig.

6. Outsourcing ist per se wertneutral. Dazu ist im Vorfeld jedoch auf jeder Ebene zu differenzieren, was nach außen vergeben werden kann und was im Haus bleiben muss. "Die Beratungshäuser versuchen, aus dem Betrieb über die Implementierung in die strategische Ebene hineinzuwachsen", warnte Gutzwiller. "Aber strategische Allianzen sind schwer zu kontrollieren. Am leichtesten geht das noch durch ein Joint Venture."

7. Aufmachen, nicht zumachen! Controlling ist etwas völlig Normales. "Auch der Absatz und die Produktionsplanung liegen meist daneben", führte der Wirtschaftswissenschaftler ins Feld. Controlling diene dazu, Abweichungen aufzudecken, und gutes Management bedeute immer Kampf gegen Abweichungen. Laut Flatau sind Softwareprojekte schwerer zu schätzen als Produktentwicklungen. Trotzdem sei im Vorfeld zu fragen und im Nachgang zu beantworten, "was wir für das, was wir hineinstecken, am Ende herausbekommen".

8. Standardisierung braucht einen organisatorischen Rahmen und Koordinierungsprozesse. Hilfreich sind hier das Konzept der Technologie-Sets ("Stacks"), eine Infrastruktur und ein methodisches Vorgehen für Entwicklungskonzepte, definierte betriebliche Abläufe sowie eine enge Verbindung von Prozessen und Werkzeugen.

9. Die sprichwörtliche 80-20-Regel ist folgendermaßen anzuwenden: Eine Fachabteilung, die mehr als den Standard will, bekommt dies nur, wenn sie es mit Nachdruck fordert, wenn es im Kernsystem tatsächlich nicht enthalten ist, wenn es in die Architektur passt und die Kosten dafür tragbar sind.

10. Der Vorstand muss die Zusammenhänge verstehen. Die Verantwortung für den Change lässt sich nicht wegdelegieren. "An verpatzten Changes sterben Unternehmen": Mit diesen Worten verdeutlichte Gutzwiller die Bedeutung innovativer IT-Projekte. Die "nobelste Aufgabe" des CIO bestehe darin, dies dem Topmanagement klar zu machen.

Insbesondere an der Rollenverteilung zwischen Unternehmensleitung beziehungsweise Linien-Management und CIO entzündete sich anschließend die Diskussion. Henning Stams, CIO der Mummert Consulting AG, legte den Finger auf einen vermeintlichen Widerspruch: Wie könne der Change-Bereich dem Vorstand gehören, wo doch der CIO als Architekt dafür verantwortlich zeichne? Flatau versuchte, die Skeptiker zu beruhigen: Der Vorstand müsse keineswegs jede kleine Entscheidung absegnen, sondern nur ein "Commitment" für das Vorhaben geben.

Geordnete Infrastruktur

Vereinfachen lässt sich nicht nur die Organisation, sondern auch die IT-Infrastruktur. Das veranschaulichten Richard Hell, Leiter strategische Planung und Technologie-Management bei Daimler-Chrysler in Stuttgart und Auburn Hills, sowie Robert Winter, Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen. Die beiden Referenten hatten ihre Gedanken zu neun "Vorschlägen zur Verbesserung und Standardisierung der IT-Infrastruktur" verdichtet:

1. Architektur-Management sollte aktiv betrieben und auf höchster Führungsebene verankert werden. Als Orientierungsmarke für die Entwicklung und Durchsetzung empfehlen sich Best Practices aus anderen Unternehmen. Verantwortlich dafür zeichnet der CIO oder - etwa in Banken - der Chief Operating Officer (COO). Von den Architekturvorgaben abgewichen werden darf nur in Ausnahmefällen. Hell mahnte, auch für die Abweichungen einen Prozess zu beschreiben.

2. Die Architekturvision ist aus der Business-Perspektive zu entwickeln und kompatibel umzusetzen. Eine unabhängige IT-Architektur existiert nicht, konstatierte Winter. Die IT-Architektur muss der Business-Architektur folgen, um die geschäftlichen Vorgaben umzusetzen und so flexibel zu sein, dass sie die Business-Entscheidungen nicht behindert.

3. Ein Komplettansatz für eine Anwendungsplattform umfasst neben der Produktdefinition die Value Added Services und das Operations-Management. Der Erfolg hängt auch von der Bereitstellung der technischen Consulting-Services und dem reibungsfreien Betrieb ab. Dabei ist es sekundär, wer die Plattform letztlich betreibt, solange zentrale Vorgaben hinsichtlich Operation-Management, System-Monitoring, Change- und Konfigurations-Management und klar definierte Service-Level-Agreements bestehen.

4. Die integrierte Anwendungsentwicklungsplattform schließt Solution-Plattformen nicht aus. Auf der Basis der Infrastrukturplattform lassen sich unterschiedliche "Solution Platforms" aufbauen, doch die Basisinfrastruktur hat generell Gültigkeit.

5. Notwendig sind Release-Fähigkeit und Migrationskonzepte für Referenz- und Plattformarchitekturen. Neue Produktversionen dürfen die Gesamtarchitektur nur geringfügig beeinflussen. Der Release-Management-Prozess muss auch den "Sundown"-Prozess einer auslaufenden Technologie berücksichtigen.

6. Die aus Management-Sicht vorhandenen Synergien zwischen Schnittstellen-Systemen dürfen nicht ungenutzt bleiben. Operative und analytische Applikation werden in der Regel über ein Data-Warehouse-System eingebunden, operative Anwendungen hingegen durch Enterprise Application Integration (EAI). Die Kopplung von Systemen aus unterschiedlichen Unternehmen oder Bereichen wird mit Hilfe von Collaboration-Standards bewerkstelligt. Dafür sind einheitliche Strukturen und Abläufe nötig. Wie Hell einwarf, ist allerdings nicht überall dieselbe Integrationstiefe notwendig. Als Maßstab sollte auch hier die Geschäftsstrategie dienen: "Der Mehrwert liegt nicht in der technischen Abwicklung von Interfaces, sondern in der Business-Prozess-Integration."

7. Einzelkomponenten, die eine Rolle in der Unternehmensarchitektur spielen, sind zu standardisieren. Die Integration in die Architekturplattform ist nicht immer oder zumindest nicht immer proaktiv erreichbar. Eine Standardisierung - möglichst nicht nur auf Komponenten-, sondern auf Release-Ebene - vermeidet Redundanzen und stellt die Weichen für die spätere Integration in eine Referenzplattform.

8. Die Standardisierung sollte sich auf Bereiche mit Synergiepotenzialen beschränken. Sie ist nur sinnvoll, wenn zwei oder mehr Anwendungsprojekte ähnliche Anforderungen haben. Ohne Synergien mit anderen Vorhaben führt die Standardisierung nur zu Mehrkosten, Verzögerungen und Frustration.

9. Voraussetzung für die seriöse Lösungskonzeption ist das Engagement in Anwenderforen, Erfahrungsgruppen etc. Consulting- und Beratungsunternehmen haben sich in ihren Lösungen meist festgelegt und versuchen diese durchzusetzen. Als Partner für die Identifikation von Best Practices eignen sich deshalb andere Anwenderunternehmen besser.

Eine grundlegende Neustrukturierung der Infrastruktur kann, wie Winter einräumt, durchaus mehrere Jahre dauern und 200 bis 300 Einzelprojekte nach sich ziehen. Jürgen Kratz, CIO des Dienstleistungsriesen T-Systems, sprach aus, was einige der Anwesenden gedacht haben mögen: "Wenn jemand mit einem Acht-Jahres-Projekt zu mir kommt, werfe ich ihn sofort hinaus." Deshalb stellte Hell noch einmal klar: "Hier ist zwischen der Vision und den einzelnen Vorhaben zu unterscheiden. Die schrittweise Umsetzung der langfristigen Vision ist ein durchaus legitimer Weg. Selbstverständlich können auch wir heute nicht sagen, wo Daimler-Chrysler in acht Jahren in Bezug auf die IS/IT-Architektur sein wird."

Karin Quack, kquack@computerwoche.de

CIOs unter sich

Abseits des Alltagsstresses sollten sich CIOs in einem angemessenen Ambiente auf höchster strategischer Ebene informieren, austauschen und entspannen können - so das Ziel des ersten "Executive Forums" der COMPUTERWOCHE. Das Konzept ging auf, wie das außergewöhnlich positive Feedback der Beteiligten zeigte.

Die IT-Verantwortlichen nutzten die Chance, Kontakte zu knüpfen und auf hohem Level zu diskutieren. Den größten Gesprächsbedarf lösten zwei Präsentationen aus, die ein Professor der Universität St. Gallen und ein CIO erarbeitet hatten. Darin ging es um Vorschläge, wie sich die IT-Organisation und -Infrastruktur vereinfachen lassen. Die Teilnehmer nahmen die Einladung zum Gespräch dankbar an, es entwickelte sich ein Erfahrungsaustausch, von dem alle profitierten.

Da die Veranstaltung schon am Sonntag begann, durfte auch die Entspannung nicht zu kurz kommen. Erstklassige Unterbringung, eine gemeinsame Bootsfahrt über den Tegernsee und ein zwangloses Abendessen vor Alpenkulisse sorgten für Unterhaltung - ein Angebot, an dem auch die ausdrücklich eingeladenen Lebenspartnerinnen und -partner ihren Spaß hatten.