Dachser knüpft Logistiknetz enger

16.11.2004
Der Logistikdienstleister hat mit "NV Online II" seine IT-Lösung für den Nahverkehr komplett überholt. Durch neue Handhelds sollen die Fahrer ihre Informationen schneller und effizienter übertragen können.

Rund 600000 Sendungen stellt Dachser jeden Monat im Nahverkehr zu. Handheld-Rechner spielen dabei schon seit Jahren eine zentrale Rolle im Logistikgeschäft des Dienstleisters. Bereits mit der ersten Eigenentwicklung "NV Online" (NV steht für Nahverkehr) aus den Jahren 1997/98 wurden rund 3000 Handheld-Terminals eingeführt. Die Fahrer erfassen damit per eingescannten Barcode Abhol- und Zustellinformationen zu rund 100000 Packstücken pro Tag. Per SMS werden diese Daten untertags an die zentralen Systeme übertragen. Digitale Unterschriften speichern die Kompaktrechner als Bilddateien, die am Abend über Kommunikations-PCs in den einzelnen Niederlassungen in ein zentrales Archivsystem überspielt werden.

Nachdem in den vergangenen Jahren der Administrationsaufwand für die Kommunikationsrechner in den über 60 deutschen Niederlassungen kontinuierlich größer geworden war und der Hersteller der Handheld-Rechner das Ende des Lebenszyklus der Geräte eingeläutet hatte, mussten sich die IT-Verantwortlichen bei Dachser eine neue Lösung einfallen lassen. Da neben dem Hardwarewechsel auch funktionale Veränderungen in der Software anstanden, um beispielsweise einzelne Prozesse effizienter abzuwickeln, entschied sich die Firmenleitung Anfang 2003 dafür, mit "NV-Online-II" eine neue Gesamtanwendung zu entwickeln.

Logistikprozesse verschlanken

Die Vorgaben waren eindeutig: Mit der neuen IT-Lösung sollten die Logistikprozesse verkürzt, Probleme automatisch und schneller erkannt sowie Informationen zeitnah und fehlerlos übertragen werden. Die Kosten sollten durch Einsparungen an der Hardware und in der Kommunikation wieder hereinkommen.

In der Handheld-Frage entschieden sich Dachsers IT-Verantwortliche für das Modell "DT-X10" von Casio. Das Gerät habe durch die Handhabung und die Ergonomie der Anwendung überzeugt, lautete das Urteil. Mit eigenen Sturztests wurde die Robustheit des Kompaktrechners überprüft. Casio bescheinigt seinem Modell, es könne schadlos aus bis zu 1,2 Metern auf Beton fallen. Den Barcode auf den einzelnen Packstücken erfasst das DT-X10 als Bild. Gegenüber der Methode, den Code mittels eines Laserstrahls abzutasten, hat dies den Vorteil, weniger Mechanik zu benötigen und damit auch weniger fehleranfällig zu sein. Die Folge sind geringere Ausfallzeiten sowie niedrigere Reparaturkosten.

Mit dem Zentralsystem des Logistikdienstleisters können die Handheld-Terminals auf unterschiedliche Weise in Verbindung treten. In den einzelnen Niederlassungen funktioniert der Up- und Download von Daten zwischen dem Mobilrechner und den I-Series-Servern via Bluetooth. Die Fahrer erhalten über eine FTP-Verbindung die notwendigen Abhol- und Zustellinformationen. Den Ausschlag für Bluetooth gegenüber einer WLAN-Lösung gaben die geringeren Anschaffungskosten sowie der hohe Sicherheitsstandard. Mit 79 Kanälen und 1600 Frequenzwechseln in der Sekunde erwies sich Bluetooth weniger störungsanfällig als die WLAN-Lösung.

Der Datentransfer lässt sich mit der neuen Lösung wesentlich schneller abwickeln, erläutert Hubert Reiser, Leiter IT-Organisation und IT-Marketing bei Dachser. Konnten die Fahrer früher nur einzeln abgefertigt werden, da jeder Handheld seine Informationen über eine zentrale Dockingstation in der Niederlassung erhielt, bekommen heute via Bluetooth bis zu sieben Geräte ihre Daten parallel. "Damit verkürzen sich die Wartezeiten, die Fahrer verlassen morgens früher den Ladehof und können eventuell auf einer Tour einen Stopp mehr erledigen", schildert Reiser die Vorteile.

Viele Infos in kleinen Paketen

Sind die Fahrer mit ihren Handhelds unterwegs, werden die Daten über den Mobilfunkstandard General Packet Radio Service (GPRS) direkt an die Dachser-Zentrale geschickt. Dazu zählen beispielsweise Informationen über den Versendestatus der Packstücke oder Bilddaten der Empfängerunterschriften. Außerdem kann die zentrale Disposition weitere Aufträge an die Fahrer senden. Die Datenübertragung funktioniert über eine Socket-Kommunikation. Dazu wurde für die Handhelds ein Socket-Server und Socket-Client in C# entwickelt. Auf den zentralen I-Series-Servern kommen entsprechende Pendants auf Java-Basis zum Einsatz. Um die Last gleichmäßig zu verteilen und für die notwendige Ausfallsicherheit zu sorgen, arbeiten insgesamt sechs Java-Server in der Zentrale. Die Daten selbst werden in einer XML-Datenbank auf dem Handheld gespeichert. Im zentralen IT-System baut Dachser auf eine DB2-Datenbank von IBM.

Pluspunkt der Socket-Kommunikation ist das geringe Datenvolumen. So habe man zwar zunächst auch hier mit FTP und TCP/IP gearbeitet, berichtet Stefan Selbach, Bereichsleiter IT bei Dachser. Dies habe jedoch wegen eines unnötigen Overheads an Datenpaketen zu Performance-Problemen geführt. Die einzelnen Datenpakete für die Statusinformationen hätten mit der Socket-Kommunikation dagegen nur ein Datenvolumen von 1 bis 2 KB. Dazu kämen noch die gepackten Daten für das Bild mit der Unterschrift.

Flächenvorteile für GPRS

Mit GPRS als Kommunikationsstandard ist man bei Dachser im Großen und Ganzen zufrieden. Zwar komme es vor, dass T-Mobile den Dienst aus Wartungsgründen manchmal für kurze Zeit abschalten muss, berichtet Reiser. Dies sei zwar ärgerlich, die Wartungsfenster werden aber angekündigt und verursachen keine Datenverluste, da die Handhelds ihre Informationen mit der nächsten möglichen Verbindung übertragen könnten. Außerdem sei GPRS mittlerweile in Deutschland und vielen angrenzenden Gebieten flächendeckend verfügbar. Dies sei dagegen mit Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) noch nicht der Fall. Daher spiele der jüngste Mobilfunkstandard in den Plänen der Dachser-Verantwortlichen bisher keine große Rolle. "Es ist anzunehmen, dass der praktische Einsatz von UMTS noch eine ganze Weile dauert", lautet das Fazit Reisers. Sollte die neue Technik jedoch in den kommenden Jahren eine höhere Eigendynamik entwickeln, lasse sich die Funktionalität nachträglich in das System einbauen.

Eine Herausforderung des NV-Online-Projektes bestand darin, die moderne Kommunikationsarchitektur mit den I-Series-Systemen in den Niederlassungen und der Zentrale in Kempten unter einen Hut zu bekommen. Auf den IBM-Maschinen laufen die mit Cobol programmierten Eigenentwicklungen "Mikado" (Warehouse-System) und "Domino" (Transport-Management-System). Diese "Green-Screen"-Anwendungen bleiben auch in Zukunft gesetzt. "Die Software, die wir benötigen, ist am Markt nicht verfügbar", erläutert Dachser-Geschäftsführer Ingo Böckenholt. Daher bestehe die Softwarelandschaft zu 95 Prozent aus Eigenentwicklungen.

Auch an der I-Series-Plattform werde Dachser festhalten, bekräftigt IT-Leiter Selbach. Die neuen Rechner könne man nicht mit den alten AS/400-Maschinen von vor acht oder zehn Jahren vergleichen. Das System sei insgesamt deutlich offener geworden. Außerdem sprächen Performance und Stabilität für die Plattform. Allerdings musste in der Zentrale ein zusätzlicher I-Series-Server implementiert werden, berichtet Selbach. Da über die direkten GPRS-Verbindungen mehr Informationen im zentralen System zusammenliefen, habe man einen separaten Rechner für die Ablieferbelege und deren Archivierung eingerichtet.

Von NV-Online II versprechen sich die Verantwortlichen von Dachser eine Reihe von Verbesserungen. So soll sich beispielsweise durch die im Vergleich zum SMS-Versand schnellere und sicherere Übermittlung der Statusinformationen die Sendequote um vier Prozent erhöhen. Während früher SMS-Sendungen teilweise verloren gingen oder Fahrer vergaßen, den Handheld in die Dockingstation zu setzen, funktioniert heute die Datenübertragung automatisch. Das bedeutet, dass monatlich Informationen zu rund 24 000 Sendungen zusätzlich bereits im Laufe des Tages im System vorliegen. Kunden können sich via Internet über den Lieferstatus informieren und müssen nicht mehr bei Dachser direkt nachfragen. Damit sparen Kunde und Serviceanbieter Prozesskosten.

Brummi - bitte kommen!

Neben der bereits beschriebenen schnelleren Auftragsabwicklung am Morgen können die Disponenten auch mit Hilfe der Anwendung "NV Dispo" untertags neu planen. Dabei werden die Fahrer mit einer Meldung auf dem Handheld über weitere Abholaufträge informiert. Handy-Anrufe, die überhört werden oder nicht entgegengenommen werden können, gibt es nicht mehr. Das System ist so konfiguriert, dass der Fahrer den Abholauftrag ablehnen oder annehmen muss. Alle übertragenen Informationen werden auf der zentralen Datenbank dokumentiert. Missverständnisse wie "Habe ich nicht gehört", "nicht gesagt" oder "nicht verstanden" sind damit ausgeschlossen. Diese Art der Kommunikation beschränkt sich nicht nur auf Abholaufträge. Disponenten können ihre Fahrer damit auch über Staus informieren oder an Termine erinnern.

Auch die Wartung von NV-Online hat sich laut Dachser gegenüber dem Vorläufersystem deutlich verbessert. So war ein Software-Update in der Vergangenheit oft schwierig und umständlich. Der IT-Koordinator musste die Flash-Karten der Handheld-Terminals ausbauen und einzeln an einem Rechner neu beschreiben. Im jetzigen System schaltet der IT-Koordinator der Niederlassung die neue Softwareversion zentral frei. Beim nächsten Upload via Bluetooth erhält der Fahrer automatisch das modifizierte Release. Zudem fallen die Kommunikations-PCs und der damit verbundene Administrationsaufwand weg.

Die einfacheren Software-Updates fördern ferner die Akzeptanz auf Seiten der Mitarbeiter, erläutert Dachser-Bereichsleiter Jens Müller. So ließen sich gute Ideen der Fahrer, was die Logistikprozesse betrifft, schneller im System umsetzen. Außerdem sei die Firmenorganisation damit in der Lage, zügig auf Veränderungen im Markt zu reagieren.

Geringe Kommunikationskosten

Die Dachser-Verantwortlichen erhoffen sich mit dem neuen System Einsparungen in Höhe von etwa 2,8 Millionen Euro jährlich. Den Löwenanteil machen dabei die niedrigeren Kommunikationskosten aus. Weiteres Sparpotenzial ergibt sich aus den Effizienzgewinnen innerhalb der Logistikkette. Den Einsparungen stehen Kosten von insgesamt acht Millionen Euro gegenüber. Diese resultieren aus der Softwareentwicklung, Projektkoordination, Rollout, Schulungen und Hardware. Auf Basis dieser Zahlen amortisiert sich NV-Online II für Dachser in weniger als drei Jahren. Unternehmensangaben zufolge wurde damit das Budget eingehalten.

Übertroffen haben die Verantwortlichen ihre Vorgaben, was die Zeitplanung anbelangt. Das Projekt NV-Online II startete Anfang 2003. Rund zehn Monate benötigte das Unternehmen, um die Software zu programmieren und die richtige Hardware auszuwählen. Im vierten Quartal 2003 begann der Praxistest in einer ausgewählten Niederlassung. Anfang 2004 lief der Rollout der etwa 3500 Handheld-Terminals an, der bis Februar 2005 abgeschlossen sein soll. Ursprünglich war das Projektende für den Sommer 2005 angesetzt.

Dachser hat für die Umstellung kein eigenes Rollout-Team auf die Beine gestellt. Man lasse sich die Zeit, die notwendig ist, da einige Neuerungen schulungsbedürftig seien, erläutert Reiser. Der Umstellungsgrad liegt derzeit bei 70 Prozent. Die Fahrer und die Mitarbeiter in den Niederlassungen müssten lernen, wie mit den Daten umzugehen sei. Zwar wäre es möglich gewesen, den Rollout mit größerem Aufwand in einigen Monaten durchzuziehen. Dies hätte Reiser zufolge jedoch zu Reibungsverlusten geführt: "Wir wollen die Leute nicht vergraulen. Die Akzeptanz ist wichtig."