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Cyberpunks gründen Daten-Eldorado auf hoher See

06.06.2000

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Eine Handvoll Cyberpunks will auf der künstlich angelegten Insel Sealand, dem kleinsten Land der Welt, einen "sicheren Hafen" für Daten errichten. Das Unternehmen mit dem Namen Havenco bietet Unternehmen die Möglichkeit, auf der Insel im Ärmelkanal unzensiert Daten zu lagern. Dabei soll alles außer Spam-Mail und Websites mit obszönen Inhalten oder Kinderpornografie erlaubt sein. Havenco will im September seinen Betrieb aufnehmen.

Dieses Geschäftsmodell dürfte jedoch die Regierungen weltweit auf die Barrikaden treiben. Durch ein solches Datenrefugium wären illegale Sites dem Zugriff der Behörden entzogen. Allerdings könnte sich Londons Innenministerium zur Wehr setzen, indem es die Insulaner von ihrer Richtfunkverbindung mit dem Rest der Welt abschneidet. Des weiteren könnten die Unternehmen, die Havenco mit Satellitenverbindung ausstatten, Probleme mit den Regulierungsbehörden bekommen. Last but not least, bliebe die Möglichkeit, die Bankkonten der Firma zu sperren.

Die Insel Sealand ist ein rostendes Bollwerk vor der Küste Großbritanniens, das im zweiten Weltkrieg errichtet wurde, um deutsche Kampfflieger abzuschießen. In den 1960er Jahren nahm der britische Ex-Major Roy Bates Besitz von dem Basketballfeld-großen Eiland und rief es zum "Fürstentum von Sealand" aus. 1968 erkannte ein britisches Gericht die Souveränität des Inselstaates an. Sealand besitzt eine eigene Währung, Briefmarken und Flagge.

Fürst Bates hatte bereits zuvor versucht, aus seinem Mini-Staat Profit zu schlagen. Eine Idee bestand darin, die Insel auf drei Meilen zu verlängern und einen Flughafen sowie ein Bankenzentrum zu errichten. Später wollte Bates zusammen mit deutschen Investoren einen Millionen-schweren Hotel- und Kasinokomplex errichten. Der Schuss ging allerdings nach hinten los: Die Deutschen kaperten die Insel und schmissen Bates raus. Dieser eroberte das Eiland mit einem Helikopterangriff bei Morgendämmerung wieder zurück.

Im Fall von Havenco hat sich der inzwischen rund 80-jährige Kronprinz diesmal abgesichert. Sein Sohn und Thronerbe Michael hält die Position des Chief Logistics Officer bei dem Startup-Unternehmen, und die königliche Familie erhielt einen Sitz im Aufsichtsrat. Zu den Havenco-Gründern gehören der ehemalige MIT-Student Ryan Lackey, der sich selbst als Cyberpunk bezeichnet, sowie Chairman Sameer Parekh, der bereits die Sicherheitsfirma C2Net Software ins Leben rief, und Joichi Ito, Chef der Investmentgesellschaft Neoteny.