Satire

CW-Wert

25.06.1999

Ein Mann verabschiedete sich von seiner Frau und ging auf Geschäftsreise. Gleichzeitig fuhr die Nachbarin des Paares, wie sie sagte, zur Kur. Ein paar Wochen später sah die Ehefrau eine Fernseh-Dokumentation über Flugangst. Groß war ihr Erstaunen, als sie den Gatten und die Nachbarin zusammen im Flieger erblickte. Sie strahlten eine geradezu voreheliche Eintracht aus. Das Ehepaar ließ sich scheiden.

Diese Geschichte lehrt einmal mehr, wie die Technik das Leben verbessert. Überwachung weitet den Horizont und stärkt den Konsum. Gäbe es das Fernsehen nicht, hätten Gattin und Gatte das interessante Gerichtswesen nicht kennengelernt. Der Mann hätte keine neue Wohnung suchen dürfen, Möbelhändler und Spediteure hätten vor Hunger in die Tischkante gebissen.

Allerdings hat hier nur der Zufall geholfen. Was wäre passiert, wenn die TV-Menschen ein anderes Flugzeug gefilmt hätten? Schreckliche Vorstellung: gar nichts. Die wirtschaftlich wünschenswerte Ausspähung aller durch alle scheitert bisher daran, daß sich fast niemand einen eigenen Fernsehsender leisten kann. Es kommt immer noch vor, daß Leute einfach ihre Ruhe haben.

Wie eine Erlösung mutet daher die "Webcam" des Fraunhofer-Instituts an, eine Internet-Kamera, mit der man gegen bescheidenes Entgelt im Prinzip überall filmen und das Ergebnis auf dem PC betrachten kann. Das ist demokratisch: Jeder, ob arm oder reich, wird jedermanns Big Brother, und unsere Branche liefert dazu die Ausstattung. Darauf sind wir stolz.