Satire

CW-Wert

20.04.2001

Unter einem Konsumtempel stellen wir uns normalerweise ein Kaufhaus vor oder eine Einkaufsmeile mit fein dekorierten Schaufenstern und Läden, die Luxusgüter feilbieten: vom Beluga-Kaviar bis zum Zobelpelz.

Über allem weht ein Hauch von London-Paris-New York, für den natürlich die vielen Duftanbieter verantwortlich sind. Zum sinnlichen Verdruss des wohlbetuchten, auf Fin-de-Claire-Austern und Sancerre spezialisierten Connaisseurs mischt sich unter diese Ansammlung feinster Genüsse allzu oft eine "Nordsee" oder ein "Bratmaxe". Mit üblen Gerüchen nach Schellfisch oder Pommes Frites stören sie das Klima, den Geruch nach Geschmack und feingeistigem Konsum.

Das eine wie das andere fehlt leider und Gott sei Dank den Internet-Einkaufsmeilen. Ihr Warenangebot ist schier unendlich. Doch nur wer Kaschmir fühlt, wird auch Kaschmir kaufen; das Haptische und Sinnliche fehlt online einfach.

Ein Gegenentwurf scheint überfällig, ein spezielles Angebot, das nicht wetteifert mit den großen Einkaufsmeilen dieser Welt, sondern die Stärken des Web in der Produktpräsentation nutzt.

Den Justizvollzugsanstalten Niedersachsen ist das mit ihrem ersten Online-Shop auf Anhieb gelungen. Sortiert nach "Spielzeug", "Freizeit-" und "Geschenkartikel" präsentieren dort Insassen ihre handgefertigten Artefakte. Vom Kerzenständer (Holz) über den Metallgrill (klein) "mit abnehmbarer Seitenablage für das Grillbesteck oder das Würzbier" bis hin zum "Bollerwagen mit Luftreifen" sind gut 20 Artikel gegen Nachnahme oder Abholung abrufbar. Dieses - nach dem Internet-Größenwahn - so dringend nötige, neue Bescheidenheit signalisierende Angebot passt auch wunderbar in die Zeit des Dotcom-Sterbens und der Gewinnwarnungen. Wer braucht schon die Einkaufsmeilen von Paris, Mailand oder New York, wenn er im Online-Shop der JVA das "Niedersachsen-Pferd, klein, Holz natur", ordern kann.