Satire

CW-Wert

12.12.2003

Es gibt das Internet, und es gibt die Wirklichkeit. Beide haben nur in Ausnahmefällen etwas miteinander zu tun.

Bei der virtuellen Wohnungsbesichtigung im Immobilienportal hatten wir den Lärm der Umgehungsstraße wohl irgendwie nicht wahrgenommen. Der gebrauchte Kashmirmantel, den wir bei Ebay ersteigert hatten, stank bei der Lieferung penetrant nach Mottenkugeln. Und im Online-Chat verstanden wir uns super mit der vollbusigen Blondine, um uns dann beim Date endlos zu langweilen - mit einer dürren Brünetten. Angeblich überrascht die Realität ja manchmal positiv. Unserer Erfahrung nach hält sie aber meistens Enttäuschungen bereit. Dafür ist der Web-affine Immobilienmakler selbstverständlich genauso wenig verantwortlich wie der Anbieter der Online-Auktion. Keinen Vorwurf trifft auch die Online-Surferin, die uns genau genommen gar nichts über ihr Äußeres mitgeteilt hatte. Wer ist also schuld an der Diskrepanz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit? Wir selbst spielen uns immer wieder denselben üblen Streich. What you see is what you get? Eben nicht! Unsere Augen sehen nur, was ihnen gezeigt wird, aber das Gehirn sieht, was es sehen will. Darin liegt der Reiz des Internets als eines angeblich grenzenlosen, aber tatsächlich sehr begrenzten Mediums. Es liefert den Stoff, aus dem die Träume sind. Wir dürfen nur nie erlauben, dass der Ausschnitt, den es uns zeigt, und die Vorstellung, die wir daraus ableiten, mit der brutalen Welt da draußen kollidieren. Widerstehen wir also den falschen Verlockungen des "wirklichen" Lebens, bleiben wir stur vor unseren Bildschirmen hocken - auch und ganz besonders während der bevorstehenden Feiertage.