Satire

CW-Wert

09.04.2004

Eine typische menschliche Schwäche dürfte darin bestehen, dass wir gerne ein zu positives Bild von uns selbst zeichnen.

Die Grenzen zwischen Sein und Sollen oder Sein und Schein verwischen sich, wenn wir Rechenschaft über unser Handeln ablegen sollen. Aber es scheint doch ein paar Grundfesten in unserer Existenz zu geben, an denen bestimmt niemand zweifeln will: Wir sind kultivierte Wesen, die sich von moralischen und intellektuellen Werten leiten lassen und nicht von niedrigen Motiven. Das ist natürlich Blödsinn, und das wissen wir auch. Das zeigt sich bei Männern - selbst bei hoch gebildeten - manchmal dann, wenn sie zwischen einer Oper und einem Spiel der Champions-League wählen können. Aber das Eingeständnis eines solchen kleinen Lasters ist natürlich ein reines Ablenkungsmanöver: In Wirklichkeit interessiert uns nur das eine.

Kulturpessimisten haben das immer schon behauptet, aber nie beweisen können. Aber mit bloßen Verdächtigungen ist jetzt Schluss, die erdrückenden Beweise liegen auf dem Tisch. Denn wer weiß besser als die Suchmaschinen im Web, was uns wirklich interessiert? Das "Missgeschick" von Janet Jackson, also die "versehentliche" Entblößung ihrer Brust beim Auftritt während des amerikanischen Football-Finales, war das am meisten gesuchte Ereignis in der Geschichte des Internets. Danach wurde 350-mal öfter gefragt als nach dem "Most Valuable Player" des Spiels.

Die Folgen dieser revolutionären Einsicht sind unabsehbar. Es liegt zumindest nahe, dass die spröden Funktionäre der Bundesliga ihre Lektion daraus lernen und Schwung in ihren Laden bringen. Wär doch gelacht, wenn die höchste deutsche Spielklasse kein "Nipplegate" zustande brächte. Aber man muss nicht beim Sport Halt machen. Man denke etwa an die CeBIT, wo wir wegen der interessanten Produkte an den Ständen stehen bleiben. Welche Möglichkeiten bieten sich den Herstellern - jetzt, wo sie endlich über uns Bescheid wissen.