CW-Test: VoIP over UMTS

21.07.2006
Prinzipiell kann der Anwender VoIP heute bereits im Mobilfunk nutzen, doch der Teufel steckt im Detail, wie die Versuche der COMPUTERWOCHE mit verschiedenen Softphones zeigen.

An IT-Stammtischen wird immer wieder die Frage laut: Warum telefonieren wir unterwegs nicht ebenfalls einfach und günstig per VoIP, statt die teuren Handy-Tarife zu bezahlen? Zumal mit UMTS und HSDPA, das gerne auch als Breitband-UMTS beworben wird, nun ja im Vergleich zu GPRS leistungsfähige mobile Datenübertragungsverfahren zur Verfügung stehen - und E-Plus zu seinem UMTS-Angebot Skype als Ergänzung vermarktet.

Kommentar

Schreckgespenst der Mobilfunker

Was die EU-Kommission mit Roaming- und Terminierungsentgelt-Regelungen nur langsam und mühsam zustande bringt, könnte VoIP im Sturm gelingen: die Mobilfunker zu deutlichen Preissenkungen zu zwingen. Denn wie unsere Versuche zeigten, ist das Telefonieren via UMTS- oder HSDPA-Datennetz kein akademisches Thema mehr, sondern eine reale Möglichkeit. Und diese ist zudem häufig um die Hälfte billiger als die Sprachtarife der Mobilfunk-Provider. Wer etwa eine Daten-Flatrate besitzt, bleibt so auch mit VoIP für seine Kunden ständig erreichbar, ohne dass diese Wuchertarife von 20 Cent pro Minute für einen Anruf vom Festnetz auf das Handy bezahlen müssen. Ganz zu schweigen davon, wie sich mit VoIP, gepaart mit dem entsprechenden Datentarif, die exorbitanten Roaming-Gebühren im Ausland umgehen lassen. Dass die Mobilfunker angesichts dieses Potenzials VoIP fürchten wie der Teufel das Weihwasser, wundert nicht weiter. Doch wenn sie ihre Milliarden-Ausgaben für UMTS-Lizenzen wieder einspielen wollen, dann haben sie nur zwei Optionen: Entweder sie senken massiv die Preise, oder sie werden selbst zu Vorreitern des VoIP-Zuges. Die dritte Alternative, VoIP zu blockieren, dürfte auf Dauer kaum funktionieren: Findige Köpfe werden dann bald auf andere Protokolle oder Ports ausweichen. Jürgen Hill

Hier lesen Sie …

• was Sie für VoIP over UMTS benötigen;

• welche Qualität mit SIP-basierenden Lösungen im Mobilfunknetz möglich ist;

• wie sich Skype per mobile Datenübertragung schlägt;

• welches Sparpotenzial die Kombination aus VoIP und UMTS-Datenübertragung bietet.

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Handy-Tarife vs. VoIP (national)

Handy VoIP over UMTS

Tarif Vodafone Vodafone Vodafone Vodafone Vodafone Vodafone Vodafone Vodafone Business Business Volume L Volume L Time L Time L Fair Flat Fair Flat Basic Classic

VoIP-Verfahren SIP Skype SIP Skype SIP Skype

Gesprächsdauer in Minuten 10 10 10 10 10 10 10 10

Handy-Minutentarif 0,41 E 0,14 E

Handy-Gebühren gesamt 4,10 E 1,40 E

VoIP-Datenvolumen Rund 11 MB Rund 5 MB Rund 11 MB Rund 5 MB Rund 11 MB Rund 5 MB

Preis pro MB 1,276 E 1,276 E

Volumenpreis gesamt 14,036 E 6,38 E

10 Minuten UMTS-Datentransfer 1,856 E 1,856 E

10 Minuten VoIP ins Festnetz 0,179 E 0,17 E 0,179 E 0,17 E 0,179 E 0,17 E

Summe 4,10 E 1,40 E 14,215 E 6,55 E 2,035 E 2,026 E 0,179 E 0,17 E

Alle Preisangaben in Euro; Bei der Berechnung wurden monatliche Grundgebühren sowie Inklusiv-Minuten oder - Volumen nicht berücksichtigt.

Bei GPRS verbot sich der Gedanke an den mobilen VoIP-Einsatz noch: Eine Transferrate von bis zu 56 Kbit/s ist schlicht zu gering für VoIP, das bei Verwendung eines guten Sprachcodecs (etwa G.711) Geschwindigkeiten um die 80 Kbit/s erfordert. Ferner war die Latenzzeit, also die Verzögerung, für die Sprachkommunikation per VoIP zu hoch. Eine Anforderung, die eigentlich UMTS mit Übertragungsraten von bis zu 384 Kbit/s im Downlink (64 Kbit/s im Uplink) knapp und HSDPA mit bis zu 1,8 Mbit/s im Downstream (384 Kbit/s Upstream) locker erfüllt - zumindest auf dem Papier.

Das benötigen Sie in der Praxis

Theoretische Überlegungen, die wir in der Praxis mit einem Tablet-PC als mobile PC-Plattform überprüften. Zur mobilen Datenübertragung diente eine "Globetrotter-3+"-PC-Card des Herstellers Option, die bereits HSDPA-fähig ist und als Quad-Band-Karte in allen gängigen Netzen verwendet werden kann. Für die eigentliche IP-Telefonie kam einerseits mit X-Lite ein SIP-basierendes VoIP-Softphone zum Einsatz, anderseits der aktuelle Skype-Client in der Version 2.5. Um Echoeffekte durch Mikrofon und Lautsprecher zu vermeiden, verwendeten wir für die Telefonate ein handelsübliches Headset.

Die Vorbereitung des Tablet-PC auf den mobilen VoIP-Einsatz verlief unspektakulär. Um die UMTS-Datenkarte nutzen zu können, mussten wir lediglich die vom Mobilfunkanbieter Vodafone mitgelieferte "Mobile-Connect"-Software installieren. Genauso einfach ging die Installation des im Test verwendeten Softphones vonstatten, zumal der verwendete VoIP-Anbieter Sipgate auf seinen Web-Seiten ein personalisiertes Download-Paket offeriert. Verwendet der User dieses, muss er sich nicht mit Einstellungen wie SIP-Gateway oder STUN-Server (Simple Traversal of UDP over NAT) herumärgern, denn Sipgate überträgt diese Daten automatisch in das Installationsskript. Deshalb sollte der Anwender dieses Installationspaket auch nicht an Dritte weitergeben, denn diese telefonieren sonst auf seine Kosten.

Der Versuch

Ebenso wenig stellt die mobile Verwendung von Skype den Anwender vor Probleme. Ist bereits ein Skype-Account vorhanden, muss lediglich der Skype-Client heruntergeladen und wie vom PC gewohnt installiert werden. Mehr Vorarbeiten sind nicht erforderlich.

Mit etwas zittrigen Fingern erfolgte nach diesen Vorarbeiten der erste Einwahlversuch ins UMTS-Datennetz: Sollte das Experiment VoIP over UMTS gelingen und der Tester künftig den Mobilfunkanbietern die lange Nase zeigen können? Endlich, die UMTS-Datenverbindung stand. Danach flugs das VoIP-Softphone gestartet. Und voilà - die Telefonsoftware meldete sich ohne Schwierigkeiten beim VoIP-Server von Sipgate an. Noch immer skeptisch, ob VoIP over UMTS wirklich funktionieren kann, wählte der Tester vom Bürotelefon die Münchner Festnetznummer des VoIP-Accounts an. Ein paar Sekunden später klingelte dann das Softwaretelefon auf dem Tablet-PC. Damit ist also der VoIP-over-UMTS-Benutzer auch unterwegs unter einer normalen Rufnummer erreichbar. Angesichts dieser Erkenntnis zogen vor dem inneren Auge des Autors die traumhaftesten Szenarien auf: Dank UMTS-Flatrate und VoIP sollte sich mit einem Tablet-PC eigentlich überall an den Mittelmeer-Stränden Europas arbeiten lassen, statt im stickigen Office in der Stadt zu sitzen - eine UMTS-Abdeckung vorausgesetzt.

Ernüchterung

Doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. Ein Anruf vom Tablet-PC ins Festnetz funktionierte anfangs zwar problemlos, doch nach zirka 30 bis 45 Sekunden brach das Gespräch unter lautem Rauschen zusammen. Ein Verhalten das leider reproduzierbar war. Das Phänomen trat allerdings nicht mehr auf, als anstelle der eingebauten Mikrofone (der verwendete LE 1600 von Motion Computing besitzt davon drei) und Lautsprecher ein Headset benutzt wurde. Mit dieser Kombination ließen sich längere Telefonate führen - jedoch unter Qualitätseinbußen. Während der Tester die Angerufenen ohne Probleme verstand, hörten diese nur abgehackte Wörter und unterbrochene Sätze. Ein Kollege empfand dies "als Zumutung und für den Business-Einsatz untauglich". Einen befreundeten Journalisten, mit dem ein Ferngespräch geführt wurde, erinnerte die Sprachqualität an frühere Telefonate in die USA.

Skype überzeugt

Auch Versuche, mit einem im Hintergrund als Endlos-Batch ablaufenden Ping auf eine Internet-Seite die Datenverbindung konstant auszulasten, brachten keine Besserung. Allerdings zeigte der Ping eine mögliche Ursache für unsere Probleme: Er schwankte bei der gleichen Web-Seite zwischen 120 und 360 Millisekunden. Zur Erinnerung: Für klassische VoIP-Gespräche empfehlen Experten eigentlich eine Latenzzeit von 100 bis 150 Millisekunden.

Um auszuschließen, dass die schlechten Erfahrungen womöglich auf das Softphone selbst zurückzuführen waren, wurde zum Vergleich das "Sjphone" von Sjlabs installiert. Dieses verwendet etwas andere Sprach-Codecs als das X-Lite. Im Vergleich zum ersten Versuch stellten die Gesprächspartner aber nur eine marginale Verbesserung fest.

Nach diesen ernüchternden Erfahrungen erfolgte der dritte Versuch mit Skype ohne große Erwartungen. Wie zuvor die beiden SIP-basierenden Softphones buchte sich auch der Skype-Client ohne Probleme über UMTS ins Netz ein. Für großes Erstaunen sorgte dann das erste reine Skype-Telefonat mit einem Kollegen. Beide Gesprächspartner verstanden sich klar und deutlich. Zudem wollte der Angerufene anfangs nicht glauben, dass das Skype-Telefonat über eine Datenverbindung per Mobilfunk lief. "Die Sprachqualität ist besser als bei manchem Telefonat über einen DSL-Internet-Zugang", stellte der Kollege begeistert fest. Auch Skype-out-Telefonate in das deutsche Festnetz klangen wesentlich besser als bei den Tests mit der SIP-Lösung.

Die Kostenfrage

VoIP over UMTS ist keine hypothetische Frage für technisch vorgebildete Stammtische mehr, sondern eine reale Möglichkeit, auch wenn der Benutzer bei SIP-basierenden Lösungen noch Abstriche in Sachen Sprachqualität machen muss. Ein anderes Thema ist dagegen die Frage, ob sich das Ganze auch lohnt. Wie unsere Beispielrechungen zeigen, lässt sich dies nicht pauschal beantworten. Zum einen ist das anfallende Datenvolumen je nach verwendeter VoIP-Technik sehr unterschiedlich, zum anderen hängt die Kostenrechnung stark von den gebuchten Mobilfunk-Tarifoptionen ab.

Preisvorteil VoIP

So schlägt etwa ein klassisches zehnminütiges VoIP-Telefonat unter Verwendung des G.711-Sprach-Codecs mit etwas über 11 MB zu Buche und benötigt eine Transferrate von rund 80 Kbit/s. Codecs, die sich an der Sprachqualität des GSM-Netzes orientieren (etwa G.723), verursachen dagegen nur ein Datenvolumen um die 3 MB. Skype-User müssen in der gleichen Zeit mit rund 5 MB rechnen und eine maximale Übertragungsgeschwindigkeit von rund 50 Kbit/s sicherstellen. Wer also eine Daten-Flatrate gebucht hat, kann mit VoIPdeutlich sparen.

Selbst bei einem Daten-Zeittarif rechnet sich das VoIP-Telefonieren beziehungsweise Skypen im Vergleich zu einem normalen Sprachtarif noch. Zahlt der Kunde etwa im Tarif Vodafone Business Basic für zehn Minuten ins deutsche Festnetz 4,10 Euro, kostet ihn das gleiche Gespräch per Skype over UMTS nur 2,02 Euro (bei einem Time-Volume-Datentarif). Noch deutlicher fällt die Ersparnis im Ausland aus. Schlägt hier ein zehnminütiges Gespräch nach Deutschland mit 8,90 Euro zu Buche, zahlt der IP-Telefonie-Nutzer lediglich um die 3,50 Euro.

Zwar verschiebt sich obige Rechnung zugunsten der Mobilfunkangebote, wenn der Benutzer eine der vielen Tarifoptionen oder -varianten zur Reduzierung des Minutenpreises dazubucht. Doch auf der anderen Seite stellt sich die Frage, warum der Benutzer überhaupt noch einen Sprachtarif akzeptieren soll und nicht gleich zu einem reinen Datentarif mit VoIP greift. Dabei sticht selbst das Argument nicht, dass der im Test verwendete Tablet-PC zu sperrig ist, denn mit der aktuellen Generation der datenfähigen Smartphones und Pocket-PCs stehen auch schlankere Alternativen zur Verfügung, für die auch ein Skype-Client erhältlich ist.

Fazit

Bei aller Euphorie, VoIP über UMTS nutzen zu können, sollte der Anwender die rechtliche Seite nicht vergessen. So verbietet etwa E-Plus bei seiner Datenflatrate ausdrücklich in den AGB die Nutzung von VoIP, ging dafür aber auf der IFA 2005 eine Kooperation mit Skype ein. Bei Vodafone sind dagegen die VoIP-Gehversuche momentan noch geduldet. Allerdings behält sich der Anbieter in seinen AGB vor, ab Mitte 2007 den VoIP-Verkehr zu sperren. Doch bis dahin kann der User je nach Vertrag mit VoIP kräftig sparen.