Auf dem Weg zum Business-Thema

CRM - die nächste Generation

16.08.2002
MÜNCHEN (js) - Die Zahl der Customer-Relationship-Management-(CRM-)Projekte steigt rasant - auch wenn viele Pioniere damit auf die Nasen gefallen sind. Die heutigen Vorhaben werden zumeist mit dem nötigen Pragmatismus angegangen: Ziele werden definiert und Mitarbeiter auf die neue Unternehmenskultur eingeschworen.

Schmale Budgets und ein streng auf Nutzwert ausgerichtetes Controlling haben viele IT-Projekte erst einmal gestoppt. Bei den meisten Anwendern liegen große Vorhaben auf Eis oder wurden kleiner dimensioniert. Was keinen zügigen Return on Investment (RoI) bringt, lässt sich kaum mehr durchsetzen. Allerdings gibt es einige Themen, die trotz Sparzwangs noch einen hohen Stellenwert haben. Dazu gehören Supply-Chain-Management (SCM), Enterprise Application Integration (EAI) und vor allem CRM. Die Ausrichtung der Organisation hin zum Kunden und seinen Bedürfnissen entscheidet über die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.

Doch auch im CRM-Bereich ist die erste Euphorie gewichen. Die Umsätze der Softwareanbieter wachsen langsamer, Steigerungsraten von 40 Prozent, wie sie in der ersten Boom-Phase noch erreicht wurden, sind passé. Doch auch die 25 Prozent Marktzuwachs, die zum Beispiel PAC (Pierre Audoin Consulting) dem Markt noch für 2002 prophezeit, dürften bei anderen Softwareanbietern Neidgefühle wecken. Etwas zurückhaltender sind die Erwartungen der Marktforscher von Frost & Sullivan. Sie erwarten nur elf Prozent CRM-Zuwachs in diesem Jahr. Eine Marktsättigung ist also nicht in Sicht, auch wenn bedeutende CRM-Anbieter wie Siebel Systems drastisch Personal abbauen und weniger prominente Häuser wie die CRM-Beratung Cure AG auf den Insolvenzbekanntmachungen der Staatsanzeiger erscheinen.

Das anhaltende Marktwachstum verblüfft angesichts der negativen Bilanz vieler CRM-Projekte. Je nach Marktbeobachter kann man von Fehlschlagquoten bis zu 65 Prozent lesen. Die Hauptgründe dafür sind laut Gartner und anderen Marktbeobachtern unzureichende Planung und daraus resultierende fehlende Anwenderakzeptanz, mangelnde Unterstützung seitens der Geschäftsführung, falsche Projektzuständigkeiten sowie die fehlende Bereitschaft, die Organisation von einer produktzentrischen Unternehmenskultur in eine kundenzentrische zu überführen.

Hier zeichnet sich ein Wandel ab. CRM reift - sowohl aus technischer als auch aus unternehmerischer Sicht. Zunehmend werde CRM auf der Business-Seite in den Unternehmen gesehen und nicht mehr als reines IT-Thema, erläutert Jennifer Kirkby, Research Director bei Gartner. Viele Leute würden allerdings nach wie vor mit dem Begriff CRM in erster Linie Software verbinden. "In erster Linie geht es um einen kulturellen Wandel", so Kirkby. Die "zweite Generation" - Unternehmen, die heute CRM einführen - seien sich dessen auch bewusst. "CRM ist dabei, ein heißes Business-Thema zu werden."

Noch seien die wenigsten Unternehmen wirklich kundenorientiert aufgestellt, so Kirkby, die Erfolgsrate der CRM-Projekte steige aber. Trotzdem gebe es unverändert Probleme. So sei das Thema zwar zunehmend auf der Business-Seite der Unternehmen angesiedelt, werde aber häufig in den einzelnen Abteilungen und Geschäftsbereichen noch fragmentiert betrachtet.

Auch Rüdiger Spies, Vice President Application Delivery Strategies der Meta Group, sieht bei den Anwendern erste Fortschritte. CRM sei mittlerweile Allgemeinwissen in den Unternehmen. Es werde aber in vielen Fällen noch immer als ein Softwarethema verstanden: "Ich sehe bei weitem noch nicht, dass überall die Prinzipien von CRM auch tatsächlich gelebt werden", so Spies. Es gebe viele CRM-Installationen und eine Menge Erfahrung mit dem Thema, aber den großen Schub in Richtung Serviceorientierung in den deutschen Unternehmen habe auch die CRM-Welle nicht gebracht. "Wir sind noch lange nicht an dem Punkt, der uns vor vier oder fünf Jahren versprochen wurde", so sein kritisches Urteil. Auf dem Weg dorthin sind allerdings Unternehmen, die bereits erfolgreich CRM implementierten, ein gutes Stück vorangekommen: "Es geht jetzt um die Optimierung und bessere Nutzung der Systeme."

Die Arbeitsweise muss sich ändern

Einen Grund dafür sieht der Meta-Group-Berater darin, dass sich zwar die Unternehmensausrichtung, nicht aber die einzelnen Mitarbeiter schwerpunktmäßig auf den Kunden konzentrieren. "Die Arbeitsweise muss sich ändern, wenn man CRM ernst nimmt", so seine Überzeugung. Um die Mitarbeiter dazu zu bringen, Wissen zu teilen und konsistente Kundendatenbanken aufzubauen, sei Überzeugungsarbeit notwendig. Sein Rat, um den Mitarbeitern die Vorteile einer CRM-Einführung nahe zu bringen: "Der wichtigste Mensch, den man für ein CRM-Projekt gewinnen muss, ist der Beste im Vertrieb." Dieser verkaufe zwar auch ohne Softwareunterstützung gut, habe aber eine Vorbildfunktion.

Neben CRM ist zurzeit EAI ein drängendes Thema in den Unternehmen. Laut Spies ist es kein Zufall, dass gerade diese Projektarten auf der Agenda stehen: "EAI und CRM laufen nicht unabhängig voneinander." Die treibende Kraft hinter EAI-Projekten sei meist die CRM-Orientierung der Unternehmen, die den Bedarf an durchgängigen Prozessen und Datenströmen wecke. Generell ist der Drang zu integrierten Projekten ungebrochen, so der Analyst.

Dem stimmt auch Kirkby zu. CRM sei oft der Anlass, EAI-Projekte aufzusetzen: "Die Integration ist kundengetrieben." Auf ihrer Rangliste, was bei der Ausrichtung auf den Kunden zu beachten ist, nimmt die Integration der Software den zweiten Platz ein - gleich nach der Unternehmenskultur.

Die Ansichten der Marktbeobachter zu den Erfordernissen einer umfassenden CRM-Strategie werden von erfahrenen Anwendern bestätigt. Die Deutsche Leasing AG in Bad Homburg zum Beispiel hat bereits seit 1997 ein Database-Marketing-System im Einsatz und migrierte Ende 2001 auf die CRM-Lösung des Herstellers Siebel Systems (siehe CW 19/01, Seite 62). Im Unternehmen sei CRM ein Dauerthema auf der Agenda des Vorstands und des Topmanagements, erläutert der Fachleiter CRM, Friedel Jonker.

"Wir hatten zunächst einen technikorientierten Ansatz", erinnert sich Jonker. Das habe sich geändert, die jetzige Herangehensweise bezeichnet er als "soziotechnoökonomisch". Jedes große Technologieprojekt habe auch soziale, technische und ökonomische Auswirkungen auf die Arbeit und die Belegschaft. Um die Mitarbeiter damit vertraut zu machen und ihre Akzeptanz zu gewinnen, müsse das Change-Management fester Bestandteil des Projekts werden. "Technik alleine führt zunächst nur zu höheren Kosten." Die Nutzenentwicklung dürfe nicht dem Zufall überlassen werden.

Erfolg muss messbar sein

Deshalb hat die Deutsche Leasing verschiedene Metriken entwickelt, um den CRM-Nutzungsgrad zu messen. Zusammen mit dem Betriebsrat erarbeitete das Unternehmen ein Modell, um auf teambezogener und anonymer Basis zu ermitteln, wie sich die Datenqualität bei den strategisch wichtigen Kunden-Accounts entwickelt. Also zum Beispiel, ob die Mitarbeiter alle wichtigen Informationen zu einem Kunden in das System eingegeben haben. Aus der Datenqualität ergibt sich der CRM-Nutzungsgrad, der mittels einer Business-Intelligence-Lösung ausgewertet wird. Das Ergebnis geht dann an die jeweiligen Teamleiter, die auf die Anwenderakzeptanz und das Anwenderverhalten einwirken.

Ein weiteres Messinstrument ist finanzieller Natur: "Wir haben einen positiven Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung der Geschäftsstellen und ihrer Nutzung des CRM-Systems festgestellt", erläutert Jonker. Generell sind Metriken für den CRM-Erfolg aus seiner Sicht unerlässlich, um die Kontrolle über das Projekt zu behalten: "Was ich nicht messen kann, kann ich nicht steuern."

Obwohl die Akzeptanz der Mitarbeiter seit der Umstellung auf Siebel erfreulich zugenommen habe, gebe es natürlich immer wieder Mitarbeiter, die sich gegen die CRM-Lösung wehrten. "Wir überzeugen, unterstützen und schulen, um die Leute zum Einsatz des Systems zu bewegen", erläutert Jonker. Bereits in der Planungsphase seien Anwender immer wieder mit Workshops und ähnlichen Kommunikationsinstrumenten in das Projekt einbezogen worden. Die Kosten, die durch diesen Kommunikationsaufwand entstehen, sind aus Jonkers Sicht vernachlässigbar im Verhältnis zum gesamten Projektbudget.

Mit dem System zufrieden

Nachdem das Kundenbeziehungs-Management nun die Geschäftsentwicklung der Deutschen Leasing messbar verbessert, steht das Thema Integration als nächster Punkt auf der Tagesordnung. Wie alle Systeme wächst auch die CRM-Lösung, wodurch die Schnittstellen-Komplexität zunimmt. Mit einem EAI-Projekt, das gerade in Planung ist, möchte die Deutsche Leasing eine Plattform schaffen, um die IT-Unterstützung weiter ausbauen zu können.

Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen zeigt sich der CRM-Profi zufrieden. CRM sei bei der Deutschen Leasing mittlerweile fast schon ein strategisches Allgemeingut geworden, die CRM-Strategie werde immer mehr in der Unternehmensstrategie verankert. Die Probleme bei der Einführung, wie zum Beispiel die Akzeptanz der Mitarbeiter, seien lösbar gewesen, und die Erwartungen, die an das Kundenbeziehungs-Management gestellt wurden, hätten sich mehr als erfüllt. "Es war für uns vielleicht von Vorteil, dass wir vorher schon das Database-Marketing hatten und die Mitarbeiter bereits an die notwendige Arbeitsweise gewöhnt waren", resümiert Jonker.

Ähnliche Erfahrungen hat die Tyrolit Schleifmittelwerke Swarovski KG aus Schwaz in Österreich gemacht. Da innerhalb der Swarovski-Gruppe SAP als Softwarestandard vorgegeben war, hat Tyrolit im März 2001 auch das CRM-Modul der Walldorfer eingeführt. Damals ging Mysap CRM in der Version 2.0b in Betrieb. Ein weiterer Entscheidungsgrund für das SAP-Produkt war die Frage der Integration der CRM-Lösung mit den Backend-Systemen. Erst Integration ermöglicht CRM, zeigt sich Markus Piber, Business Unit Manager E-Business bei Tyrolit, überzeugt.

Wie bei der Deutschen Leasing ist auch bei dem Tiroler Schleifmittelhersteller CRM in erster Linie kein technisches Thema: "CRM war ein Wunsch des Vertriebs und des Topmanagements. Bei uns kam die IT erst ins Boot, nachdem die E-Business- und CRM-Strategie festgelegt waren", erinnert sich Piber. Der Ansatz sei nicht immer optimal gewesen, aber die Vorteile überwögen. Wäre die Technik früher in das Projekt eingebunden gewesen, hätten einige technisch nicht realisierbare Anforderungen gleich im Vorfeld aussortiert werden können. Andererseits wollte das Unternehmen bei seiner Business-Neuausrichtung nicht von vornherein technische Restriktionen in Kauf nehmen. CRM ist bei Tyrolit klar im Bereich Vertrieb angesiedelt, der E-Business-Manager berichtet dem Vorstand Marketing und Vertrieb.

Der Wandel vom produkt- zum kundenorientierten Unternehmen begann jedoch bereits Ende der 90er Jahre. Im ersten Anlauf hatte Tyrolit mit einigen Problemen zu kämpfen. Eines davon war, dass die SAP-CRM-Lösung zum damaligen Zeitpunkt ganz neu auf dem Markt war und laut Piber nicht alle Funktionen bieten konnte, die eigentlich enthalten sein sollten: "Bis zu einem gewissen Grad war uns das bewusst und wurde uns auch von SAP gesagt. Im Endeffekt traten dann aber etwas mehr Probleme auf als erwartet."

Doch auch im eigenen Unternehmen seien Fehler gemacht worden. So habe Tyrolit einige Kunden in den CRM-Erstling eingebunden. Diese überfrachteten mit ihren Anforderungen das System. Tyrolit habe daraufhin zu viele Funktionen in die Lösung integriert, die sich im Nachhinein als nicht wirklich wichtig herausstellten.

Weniger Probleme gab es seitens der Mitarbeiter. Trotzdem musste das Unternehmen um ihre Akzeptanz kämpfen und sie auf die neue Unternehmenskultur einschwören. "Was uns dabei vielleicht geholfen hat, war, dass wir von Anfang an viele Mitarbeiter in die Strategiefindung eingebunden hatten", meint der E-Business-Leiter. Der kulturelle Wandel ist aus Pibers Sicht jedoch noch lange nicht abgeschlossen: "Es wird immer besser, aber es gibt nach wie vor noch Bereiche, die in CRM eher eine persönliche Bedrohung sehen." Um die Skeptiker zu überzeugen, demonstriert das Unternehmen die Vorteile, die sich aus der CRM-Nutzung sowohl für den Einzelnen als auch für Tyrolit ergeben, zum Beispiel über Erfolgsgeschichten aus anderen Unternehmensbereichen.

Auch bei Tyrolit wurden Metriken entwickelt, um den Erfolg der CRM-Einführung messbar zu machen. Diese "Key Performance Indicators" führte das Projektteam gleich zu Beginn ein. Dazu gehört zum Beispiel, wie sich die Lagerhaltungskosten entwickeln oder wie lange ein Auftrag von der Erfassung bis zur Auslieferung dauert - und natürlich auch, welche Kosten in der Bearbeitung eines Auftrags entstehen. Auf eine direkte Messung des Nutzungsgrads verzichtet das Unternehmen, lediglich anhand der Besuchsberichte wird eine Kontrollfunktion ausgeübt. Von Anfang an wurde auch hier der Betriebsrat in das Projekt eingebunden.

Pragmatischer Ansatz beim Release-Wechsel

Im März dieses Jahres wechselte Tyrolit auf die Version 3.0 des Walldorfer CRM-Moduls. Nach den bislang gemachten Erfahrungen ging das CRM-Team beim Release-Wechsel pragmatischer vor als im ersten Projekt. So wurde zum Beispiel Wert darauf gelegt, möglichst wenig Customizing zu betreiben. Funktional unwichtige Merkmale wie die Bedienbarkeit blieben völlig unangetastet: "SAP hat viele Mannmonate in die Usability der Software gesteckt. Wieso sollten wir das nochmal erfinden?" Der pragmatische Ansatz zeitigte dann auch die gewünschten Ergebnisse, fast alle funktionalen Defizite der ersten Lösung konnten nun behoben werden. "Nicht ausgezeichnet, aber gut bis sehr gut", bewertet Piber das aktuelle System. Sein Fazit: "Beim ersten Versuch haben wir eine 100-Prozent-Lösung angestrebt und haben eine 30-Prozent-Lösung bekommen. Beim zweiten Mal peilten wir eine 80-20-Lösung an und bekamen ein 90-10-Ergebnis."

Die Entwicklungen im CRM-Bereich der vergangenen zwei Jahre sieht Piber mehr als Evolution denn als Revolution. Aus seiner Sicht haben vor allem die Anwender einen Erfahrungsprozess durchgemacht und verstanden, wie CRM dem Kerngeschäft eines Unternehmens hilft. Hier sieht er besonders Anwender im Vorteil, die früh mit CRM begonnen und ihr Lehrgeld bereits gezahlt haben. Diese können ihre CRM-Projekte jetzt gezielt neu ausrichten und optimieren. Auch die Consulting-Szene habe sich gewandelt, beobachtet Piber. "Die Berater hatten früher die kühnsten strategischen Visionen entwickelt", kritisiert er. Da das Thema neu war, hätten auch die Berater nur auf sehr geringes Know-how zurückgreifen können. Von den Visionen hätten sie fast nichts einzulösen vermocht. Insgesamt habe der CRM-Markt nun aber einen Reifegrad erreicht, mit dem man sinnvoll arbeiten könne.

Messgrößen für CRM

Ein Grund, warum bislang viele CRM-Projekte die Erwartungen nicht erfüllten, waren falsche oder fehlende Zielvorgaben. Das zumindest ermittelte die Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton in einer Studie. Klare Mess- und Steuergrößen sind demnach für den Projekterfolg unverzichtbar. Als objektiv messbare Faktoren bieten sich Unternehmenszahlen wie Umsatz oder Vorsteuergewinn an. Aber auch Lagerdaten, Durchlaufzeiten und dergleichen können Aufschluss geben, ob das Kundenbeziehungs-Management Früchte trägt.