Cortal Consors durchschaut seine Kunden

15.02.2007
Die Direktbank spart dank ausgefeilter Datenanalysen Kosten im Marketing und Vertrieb.
Cortal Consors, IT-Architektur
Cortal Consors, IT-Architektur

Gern behaupten Unternehmen von sich, ihre Kunden gingen ihnen über alles. Doch nur wenige gestalten auch ihre Anwendungen und Prozesse entsprechend. Anders bei Cortal Consors, Tochter des französischen Finanzkonzerns BNP Paribas, die fast ihr gesamtes Geld im Direktkundengeschäft im Internet verdient. "Wir haben gelernt, dass wir nicht nur unsere Produkte, sondern auch die gesamte Organisation an den Kundenbedürfnissen ausrichten müssen", erklärt Jörg Neumann, Team-Manager Customer Intelligence in der Nürnberger Zentrale der deutschen Zweigniederlassung.

Projektsteckbrief

Projektart: Aufbau einer verteilten System- und Datenarchitektur zur Integration, Detailanalyse und zeitnahen Bereitstellung von Kundendaten.

Branche: Direktbank

Zeitrahmen: schrittweise von 2000 bis Ende 2006.

Herausforderungen: Ausrichtung von IT-Prozessen und Organisation auf das Kundenbeziehungs-Management. Kundeninformationen müssen sich laufend detailliert auswerten und segmentieren lassen, aber auch im täglichen Beratungs- und Online-Geschäft schnell und konsistent verfügbar sein.

Produkte: SAS 9 und SAS Intelligent Miner von SAS Institute (Data Mining), Powercenter von Informatica (Datenintegration), Oracle (Datenbank), Microstrategy (Reporting), Innovations (Kampagnen- Management), Clarify (CRM), Spotfire Decisionsite (Datenanalyse).

Hier lesen Sie ...

• wie Cortal Consors eine Architektur für die Kundenanalyse und -betreuung schuf;

• welche Herausforderungen es gab;

• wie die einzelnen Bestandteile zusammenarbeiten;

• warum sich die Mühe gelohnt hat.

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Bis zu dieser Einsicht hatte die Direktbank Lehrgeld zahlen müssen. So hatte man sich in den Boomjahren des Internets Ende der 90er Jahre wenig Gedanken um eine ausgeklügelte Strategie für Customer-Relationship-Management (CRM) gemacht. Man ging davon aus, dass die Unternehmens-Website fast ausschließlich "Trader", also Börsenprofis, für den Aktienhandel oder das Spekulieren mit Derivaten nutzten.

Vom reinen Verkauf zu "Customer Intelligence"

Zwar gab es Vermutungen, dass auch andere Kunden auf die Website kamen und sich vielleicht weitere Finanzprodukte verkaufen lassen könnten, doch fehlten dem Marketing detaillierten Informationen dazu. Das Platzen der Internet-Blase und der dadurch verursachte Stellenabbau bei Cortal Consors erhöhten zudem den Druck, effizienter zu arbeiten. Die Folge war eine Neuorganisation, die unter anderem zur Bildung von Neumanns Abteilung "Customer Intelligence" führte. "Wir sind eine Schnittstelle zwischen Marketing, Vertrieb, Controlling und IT", beschreibt der Manager seine Rolle. Das Team unterstehe dem Marketing-Leiter und setze sich aus Leuten zusammen, die Bankwissen mitbringen, aber auch programmieren können: "Dadurch lassen sich Anforderungen aus den Fachabteilungen leichter der IT vermitteln."

Es geht nicht ohne detaillierte Kundeninformationen

Strategisch hieß die Vorgabe, auch Anlageberatung zu betreiben, um neue Kunden zu gewinnen oder bestehende durch zusätzliche Angebote enger an sich zu binden. Hierzu mussten sich Kundeninformationen detailliert auswerten und segmentieren lassen, aber auch im täglichen Beratungs- und Online-Geschäft schnell verfügbar sein, damit Kunden gezielter ansprechen ließen. Damit war die Idee einer IT-Architektur geboren, die heute den Namen "Circle of Intelligence" trägt. In ihr sind Lösungen für Customer-Relationship-Management (CRM), Kampagnen-Management, Data Mining, Datenvisualisierung und ein zentrales Data Warehouse miteinander so integriert, dass die Systeme Daten und Auswertungen austauschen können.

Doch der Kreislauf ließ sich nicht von heute auf morgen schließen. Eines seiner ersten Elemente war ein zentrales Data Warehouse, mit dem Kunden- und Geschäftsinformationen aus dem Marketing und bankspezifische Anwendungen konsolidiert und für weitere Auswertungen aufbereitet werden sollten. Doch das Projekt drohte früh zu scheitern, denn ein Heer externer Berater dokumentierte zwar die Datenbestände und Anforderungen, es fehlten aber klare Vorgaben für das Datenmodell und die Umsetzung. Das Management zog schließlich die Notbremse, schickte die Berater nach Hause und wechselte die Projektleitung aus.

Neumann und der neue Projektleiter Peter Fuchs erhielten die Auflage, noch im selben Jahr Ergebnisse vorzulegen, andernfalls werde es kein Data Warehouse geben. Dies gelang, da sie einen klaren Fokus für die erste Ausbaustufe des Systems definierten und schnelle Resultate liefern konnten. "Wir haben das Datenmodell genau definiert und prüfen stets, wie sich neue Anforderungen abbilden lassen und ob der Aufwand gerechtfertigt ist", schildert Neumann.

Best of Breed statt alles von einem Anbieter

Das Data Warehouse basiert auf einer Oracle-Datenbank (Mischung aus "Star Schema" und "Snow Flake Schema"). Die Datenbewirtschaftung (Laden der Flatfiles aus den Quellsystemen, Mapping der Daten und "Multidimensional Form") übernimmt Software des Anbieters Informatica. Sie aktualisiert jede Nacht die Daten. Das Berichts-Frontend stellt die Software "Microstrategy" des gleichnamigen Anbieters. Sie ist als Client-Variante für Power-User als auch in einer Web-basierenden Variante im Einsatz. Viele Berichte werden ferner über das Modul "Narrow Caster" via das hausinterne E-Mail-System verteilt.

Enterprise Data Warehouse als Herzstück

Das Data Warehouse hat inzwischen einen Umfang im "Terabyte-"Bereich, erklärt Neumann. Und das Volumen steigt weiter. Täglich fallen allein zwei Millionen Datensätze durch das Einspeisen der Portfoliostände an. Neben Trading-Informationen speichert die Lösung die vollständige Kundenhistorie mit allen Transaktionen seit 1999, damit die Angestellten Kundenanfragen beantworten können. Die Call-Center-Agents greifen bei Kundenkontakten sowohl auf Daten des Data Warehouse als auch auf die Informationen des operativen Bankensystem "Kordoba" zu. Mittlerweile nutzt Cortal Consors die Daten in seinem "Enterprise Data Warehouse" nicht nur für Response-Analysen und Reporting im CRM. Auch das interne Controlling erstellt seine Finanz- und Quartalsberichte auf Basis der Daten aus dem Data Warehouse. Neben 15 "Power-Usern" greifen täglich rund 70 weitere Mitarbeiter auf die Daten zu. Zusätzlich wurden Kundenservices aufgebaut, die sich automatisch aus den Data-Warehouse-Informationen erzeugen und verschicken lassen. Hierzu gehört ein kostenpflichtiger Order-Daten-Service für Kunden, die Informationen über ihre zahlreichen Transaktionen für die Steuererklärung brauchen (Komplettaufstellung aller Transaktionen). Über eine Schnittstelle können Kunden ihre Daten auch direkt in die Bürosoftware "Wiso Börse" einfügen. Neuester Service ist ein "Personal Investment Report" als PDF, der eine aktuelle Übersicht über den Finanzstatus des Kunden sowie Risikoeinschätzungen enthält.

Parallel dazu entwickelte Neumanns Mannschaft Analyseanwendungen, um Kundendaten aus dem Data Warehouse detaillierter auszuwerten und für Vertrieb und Marketing aufzubereiten. Dabei interessierte sie sich zunächst vor allem für eine Kundensegmentierung. Aufgebaut wurden Anwendungen und Modelle mit Hilfe der Programmierwerkzeuge "SAS Base" und der Mining-Komponente Enterprise Miner von SAS Institute. Da Data Mining immer noch vor allem etwas für Spezialisten ist, suchte das Projektteam zunächst Auswertungen, die leicht zu verstehen, aber zugleich überraschend waren: "Beispielsweise hatte sich vorher kaum einer vorstellen können, dass Trader auch Sparpläne nutzen." Neumann profitierte in dieser Projektphase stark von seinen Erfahrungen, die er in Projekten im Data Mining und Business Intelligence bei Karstadt-Quelle sammeln konnte. So gelang es, mit Hilfe der Analyseanwendungen die bestehenden Kundendaten zu ordnen und in Segmente zu unterteilen. Dabei halfen Auswertungen nach Merkmalen wie Trade-Aktivität oder Depotvolumen, aber auch Informationen über Kundenwünsche und -bedürfnisse aus dem Call-Center oder dem E-Mail-Verkehr.

Dank Data Mining neue Kundengruppen entdeckt

Durch die Segmentanalysen können Marketing und Vertrieb heute zwei Hauptgruppen nach Verhalten und Interessen unterscheiden: Trader und Anleger. Diese lassen sich in Subsegmente wie "Gambler", "Active Trader" oder "Portfolio-Anleger" unterteilen. Da jede Gruppe andere Bedürfnisse und Interessen hat, organisiert Cortal Consors seinen Vertrieb an diesen Kundengruppen. Trader, Investoren, Neukunden und Geschäftspartner sollen so individuelle Angebote und Informationen erhalten. Alle Kunden können sich selbst auf der Website anmelden und ihre Konten und Depots verwalten. Für Trader gibt es zusätzlich ein individuell anpassbares Profi-Tool, das ihnen bei den vielen komplexen Transaktionen helfen soll.

Heute ermitteln die Marketing-Experten mit Hilfe der Lösung einmal pro Woche das Segment, dem der Kunde angehört. Dadurch entstehen nicht nur stabile Gruppen, sondern Cortal Consors kann schneller auf Wanderbewegungen zwischen den einzelnen Kategorien oder Änderungen im Kundenverhalten reagieren und in seinen Marketing-Kampagnen berücksichtigen.

Modelle für Forecast, Vertriebsanalysen und Simulationen

Sechs Mitarbeiter nutzen die SAS-Software derzeit vor allem für System- und Produktauswertungen. Die Ergebnisse beeinflussen zugleich die Weiterentwicklung des Data Warehouse. Ferner dienen die Tools zum Aufbau von Modellen zur Forecast-Analyse (etwa von Kundenbewegungen), für Vertriebsanalysen und Simulationen.

Speziell für Scoring-Analysen ist zudem seit einiger Zeit die Data-Mining-Software Enterprise Miner von SAS Institute im Einsatz. Sie soll durch die Auswertung und Qualifizierung von Kundendaten helfen, ausgewählte Zielgruppen etwa über Werbe-Mails zu erreichen. "Aus dem Data Warehouse erhalte ich immer nur die Beschreibung eines Zustands. Wie wichtig die Ergebnisse sind und welche Ursachen sie haben, erkennen wir erst mit Data Mining", resümiert Neumann. Allerdings erfor- dere Data Mining "viel Wissen über die Daten", das kein Tool ersetzen kann. Deshalb empfiehlt er, eigene Spezialisten auszubilden und sich nicht nur auf Software und externe Berater zu verlassen.

Dank des "Circle of Intelligence" versorgt Cortal Consors heute Marketing und Vertrieb zeitnah mit Data-Mining-Analysen und Auswertungen aus dem Data Warehouse. Hierzu werden die Ergebnisse in die operativen CRM-Systeme überführt, die die Bank nach dem Aufbau der BI-Architektur eingeführt hatte. Herzstück ist die Software "Clarify" des Anbieters Amdocs, die alle operativen Aufgaben und Prozesse im CRM abdeckt. Hinzu kommt ein Tool für das Kampagnen-Management, das vom Softwarehaus Innovations aus Immenstadt stammt. Das Werkzeug basiert auf einer Regel-Engine, wertet für die diversen Vertriebskanäle der Bank Informationen aus dem Data Warehouse sowie Data-Mining-Analysen (Scoring, Segmentierung) aus und ermöglicht, Kunden über verschiedene Kanäle zu aktuellen Angeboten anzusprechen. Mit der Lösung lassen sich auch Dauerkampagnen einstellen und automatisiert betreiben. Beispiele hierfür sind Geburtstags-Mailings, Kundenansprache bei hohen Geldeingängen, Welcome Call und "WinBack"-Aktionen.

Kundenbetreuer erhalten aktuelle Informationen

Laut Neumann war das Zusatzprodukt für Kampagnen-Management notwendig, da Zielgruppenanalysen mit den vorhandenen SAS-Werkzeugen zu aufwändig wurden. Beide Lösungen können aber untereinander Daten austauschen. "Wir können dank der Analysen bisheriger Kundenaktionen und Kampagnen Marketing-Botschaften kundenspezifisch auf der Website oder im Call Center hinterlegen. Zudem sehen die Kundenbetreuer weitere Angebote auf ihrem Bildschirm, die sie dem Anrufer unterbreiten können." Heute arbeiten alle CRM-Verantwortlichen in den jeweiligen "Customer Divisions" mit den Tools, müssen aber Kampagnen zuvor von Neumanns Abteilung prüfen lassen. Etwa 15 Mitarbeiter arbeiten heute mit der Software.

Grafische Kundenanalysen für das Management

Als jüngstes Element des Circle of Intelligence kam Ende 2005 Software zur grafischen Darstellung von Analysen des Anbieters Spotfire hinzu. Sie soll dem Wunsch des Managements nach einer besseren grafischen Aufbereitung von Geschäftsinformationen (Reports) nachkommen. Trends und Zeitreihen sollten sich ansprechender als in der bisherigen Tabellenform darstellen lassen. Die Software wird mittlerweile mit dem CRM-System, dem Data Warehouse und auch im Data Mining verwendet. Beispielsweise nutzt Cortal Consors Spotfire bei der Variablenselektion im Data Mining.

Doch wie erfolgreich und nützlich ist die IT-Strategie von Cortal Consors heute? Technisch bildet es laut Neumann schon eine Besonderheit, dass ein Unternehmen seine CRM-Systeme derart integriert habe, über ein zentrales Data Warehouse verfüge und Data Mining und Kampagnen-Management kombinieren könne. Zudem lägen mittlerweile Erfahrungen zu den Kosten vor. So habe vor zwei Jahren eine interne Studie der Marktforscher von IDC zum Return on Investment gezeigt, dass Cortal Consors dank der Architektur sein Marketing-Budget besser einsetzen kann als zuvor. Zum Beispiel ließen sich heute Informationen aus dem analytischen CRM für Cross-Selling-Kampagnen unter den Bestandskunden wiederverwenden oder Verkaufsgelegenheiten auch spontan durch Angebote nutzen. Ferner versuche das Team für Customer Intelligence regelmäßig nachzuweisen, was einzelne Mining-Analysen dem Unternehmen bringen. "Wir haben jetzt klare Controlling-Vorgaben, bis wann ein Kunde sich lohnen muss", sagt Neumann.

Gefragt, ob es mit Blick auf die Kosten und Wartung nicht besser gewesen wäre, eine homogene BI-Landschaft aufzubauen statt nach dem Best-of-breed-Ansatz auf diverse Produkte zu setzen, nennt Neumann zwei Gründe für seine Entscheidung: Zum einen waren in der Vergangenheit nicht immer die passenden Produkte verfügbar, um den heutigen Mix zu vermeiden. Der sorgt heute für eine aufwändige Wartung und Weiterentwicklung von Infrastruktur und Schnittstellen. Zum anderen sei man mittlerweile von dem Konzept überzeugt, weil man dadurch flexibel bleibe. Dennoch: Auch künftig sei kein Hersteller für immer "gesetzt".