Das Angebot von oben ist unerläßlich

Corporate Culture in der Praxis Wie der Herr - so's Gescherr

25.01.1991

Der Boß ist tot, es lebe der Boß - und sein motivierter Mitarbeiten. Dieses Konstrukt umreißt die unternehmens-kulturellen Bestrebungen nicht nur deutscher Chefs, in schwierigen Zeiten Mitarbeiter zu motivieren und zu binden, um übergeordnete wirtschaftliche Ziele zu erreichen.

Eine Welle der Humanisierung im Sinne einer Gestaltung des Arbeitsklimas durch eine für alle akzeptable Corporate Culture schwappt über die Unternehmen der DV-Branche, die kreatives Potential an sich binden müssen. Unter dem Begriff Corporate Culture vereint sich ein Ideenbündel mit Visionen, das die tägliche Zeit des Broterwerbes lebenswert macht. Es wird der größtmögliche gemeinsame Nenner des menschlichen Miteinanders angestrebt - und doch, er generiert bei falscher, unsensibler Anwendung allzu häufig zum kleinsten gemeinsamen Vielfachen.

Renaissance der Kapitänsfunktion

Experten definieren Unternehmenskultur als Gesamtgefüge der Einstellungs- und Verhaltensgewohnheiten innerhalb des sozialen Systems "Unternehmen" mit eigenen formellen Soll- und informellen Ist-Gesetzen. Da soziale Gemeinschaften sich konsequent entwickeln und verändern und fast seismologisch genau reagieren, scheint nichts so sensibel zu sein wie die Umsetzung von Visionen in diesem Bereich. Obwohl sich der patriarchalische Gedanke und die entsprechende Unternehmensführung weitestgehend aus den Büros verabschiedet hat, ist dennoch eines bemerkenswert: die Renaissance der Kapitänsfunktion. Bösartig verkürzt könnte man auch sagen: In der Chefetage wird die Unternehmenskultur bestimmt - wem sie nicht paßt, der kann ja gehen.

Es wäre allerdings zu hart, die Mitarbeiter zu bloßen Claqueuren abzustempeln - Corporate Culture ist etwas, das Eigenständigkeit entwickelt. Von Basisdemokratie ist zwar selten eine Spur, aber die Mitarbeiter wissen sich Gehör zu verschaffen, wenn denn die Grundzüge einer Corporate Culture erst einmal eingeführt sind. Der starke Betriebsrat mag als erste Anlauf stelle für eine zu meldende Verletzung dienen.

Teamgeist soll gefördert worden

Viele Trends, über die man durchaus streiten kann, basieren mit auf einer zunehmenden Internationalisierung unserer Welt. Das US-amerikanische "Du" scheint mittlerweile Pflicht in jenen Unternehmen, die Mütter jenseits des Atlantik haben. Mit der deutschen Mentalität kann dies zuweilen kollidieren und zu innerem Zwiespalt führen. "Es gibt Leute, mit denen würde ich mich mein' Lebtag lang nicht duzen", ist eine Aussage, eine andere, "Ich unterscheide sehr wohl zwischen einem kollegialen und einem persönlichen ,Du'." Viele Manager in der Chefetage haben hier Probleme: "Wenn es an harte Personalentscheidungen geht, ist das ,Du' schon schwierig." Die Mischform "Vorname" und "Sie" bietet sich an, wie es bei der Computer 2000 AG, München, laut Aussage von Presse-Chef Walter Glogauer gepflegt wird.

Das Duzen ist Ausdruck handfester Prinzipien einer Corporate Culture: Der Teamgeist soll gefördert werden, eine Politik der "offenen Tür" das Gefühl vermitteln, in einer großen Familie gemeinsam ein Ziel zu verfolgen. Auch da aber ist sensibles Vorgehen notwendig - "open door" sollte nicht soweit führen, daß - wie von einem Unternehmen kolportiert - alle Türen schlicht ausgehängt werden.

Das Verständnis dafür, daß ungestörte Freiräume für konzentriertes Arbeiten existieren müssen und trotzdem Ansprechpartner für jedes Problem auch in den oberen Etagen greifbar sind, ist nur durch aktive Kommunikation und daraus sich entwickelndem Vertrauen aufzubauen, meint Michael Appel, Sales- und Marketing-Direktor der Autodesk AG, Pratteln/Schweiz.

Für Appel ist Kommunikation über alle Ebenen hinweg das wichtigste Element, eine Unternehmenskultur mit Leben zu erfüllen. Electronic Mail gehört nicht nur für diesen Manager zu den bedeutendsten technischen Hilfsmitteln, die eine Unternehmenskultur benötigt. Auch Renate Knüfer, Pressesprecherin der Apple Deutschland GmbH, weiß die Vorzüge von E-Mail zu schätzen. "Bei uns genügt ein Knopfdruck" um eine Mitteilung ,publik' zu machen", erzählt die Apple-Mitarbeiterin. "Da ist es dann ein Leichtes, Dinge mitzuteilen, die einen Mitarbeiter momentan bewegen." So ist beispielsweise eine Spende für die Sowjetunion über E-Mail initiiert worden. Auch diese Aktionen tragen durch ihren sozialen Aspekt zur gemeinsamen Unternehmenskultur bei. Bei der persönlichen E-Mail ist wichtig, daß die Post auch vom Empfänger selbst gelesen wird - und das Sekretariat nicht vorsortiert, wie es auch schon vorgekommen sein soll.

Organisation - einfach und flexibel

Grundlage aller Unternehmenskultur sind Ziele, die zur Vereinbarung anstehen - Ziele, die, als Prinzipien formuliert, sowohl das tägliche Miteinander regeln als auch den Zweck der wirtschaftlichen Unternehmung und angestrebte Punkte der Entwicklung nennen. Ein Paradebeispiel hierfür ist Apple mit seinen neun weltweit gültigen und in allen Niederlassungen gleichlautenden "Values". Was auf den ersten Blick als Selbst-Motivationsphrase ("Wir gewinnen oder verlieren gemeinsam. Wir sind begeisterungsfähig.") klingt, bekommt Sinn mit den dazugehörigen Erklärungen ("Die Organisation so einfach und flexibel wie möglich halten, um sicherzustellen, daß Ideen und Informationen ausgetauscht werden können..."). Das hier gelebte Prinzip ist allemal wertvoller als eine noch so schön formulierte Wunschvorstellung.

Besonderes Augenmerk richten die Mitarbeiter auf die Vorbilder aus der Führungsetage - und hier gelten schriftlich niedergelegte Prinzipien auch schon mal als Aufhänger für Kritik. Der Vorwurf: "XYZ hat gegen ein Value verstoßen", ist bei Apple der Kommunikationsöffner, um Mißfallen zu artikulieren.

Der Zielformulierung im unternehmerischen Sinn, aber auch auf den einzelnen Mitarbeiter bezogen, kommt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. In vielen Unternehmen hat sich das meist einmal jährlich stattfindende Gespräch durchgesetzt. Dabei stellt sich dann heraus, in welchem Grad sich die persönlichen Entwicklungsziele mit den Unternehmenszielen decken.

Oft sind es Kleinigkeiten, die Mitarbeitern das Leben schwer machen: Wenn der Top-Manager mit Jahresgehalt keine Uhrzeit kennt und Überstunden schiebt, mag das in Ordnung sein. Wenn jedoch der Mitarbeiter mit Monatslohn psychologisch unter Druck gesetzt wird und ein Zeiterfassungssystem nur Verwirrung stiftet und vermeintlicher - Kontrolle dient, ohne Rückvergütung, Überstundenausgleich oder sonstige Incentives nach sich zu ziehen, wird Unmut laut.

Incentives können negative Folgen haben

Incentives überhaupt sind das Gebiet, auf dem am meisten Porzellan zerschlagen werden kann. Beispielsweise muß man die Frage des Firmenwagens sehr vorsichtig angehen. Autodesk-Manager Appel hält nicht viel davon: "Benötigt werden Firmenwagen nur für Service und Vertrieb - der Motivationseffekt verkehrt sich eher in sein Gegenteil bei denen, die keinen bekommen." Beim Münchner Computerhersteller Apple wird nach verschiedenen, transparenten Kriterien ein Zuschuß gewährt. Andere Symbole oder geldwerte Vorteile unterliegen in deutschen, meist traditionell ausgerichteten Organisationen, häufig einem Tabu. Über sie zu reden, ist verpönt - und doch geraten sie auf informellem Weg normalerweise schnell an die interne Öffentlichkeit. Gleichbehandlung mit gleicher Restriktion oder gleichem Freiheitsgrad bis in die Chefetagen ist hier das beste Frustrations-Hemmnis.

Wie auch immer Unternehmenskultur sich äußert - sie will vermittelt werden. Beer-Buzz, der zwanglose Drink zu fester Stunde, setzt sich durch. Wichtiger indes ist das "Willkommen-heißen" neuer Mitarbeiter. Wer hier Versäumnisse begeht, schafft innere Kündigungsbereitschaft gleich zu Beginn der Partnerschaft zwischen Mitarbeiter und Unternehmen. Der Blumenstrauß, die Führung durch das Unternehmen - all dies sind Grundlagen der Integration, die auch bei größeren Unternehmen praktiziert werden sollten.

Daß Corporate Culture ganz oben angesiedelt ist, zeigt SNI, die Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG. Schon in der Vorbereitungsphase des definitiven Zusammengehens der beiden Unternehmen mit ihren unterschiedlichen Unternehmenskulturen setzte sich der Vorstand mit den Themen auseinander - eine öffentliche Erörterung erfolgte insbesondere in einer Sonderausgabe der Firmenzeitschrift "Inline aktuell". Nach dem 1. Oktober 1990, dem Start von SNI, wurden bereichsweise sogenannte "Get-togethers" durchgeführt, erläutert Jochen Doering, Pressesprecher der SNI. Sie waren eine Mischung aus geselliger und fachlicher Veranstaltung.

Parallel dazu verschickte das Unternehmen Broschüren an die Mitarbeiter. Auch die Vorstände zeigten sich auf den Betriebsversammlungen und nahmen Stellung. Für die Zukunft sind weitere Seminare und Veranstaltungen - teils gesellschaftlich, teils fachlich - fest eingeplant. "Alles geschieht", so Doering, "aus der Erkenntnis heraus, daß sich eine Kultur bilden muß und nicht aufgepfropft werden kann."

Zu lernen und zu akzeptieren gilt es also auf beiden Seiten. Dazu gehört auch ein korrekter Umgangston. Kritik an einem Mitarbeiter vor versammelter Mannschaft ist ebenso ein Grund zur Kündigung wie konsequente Nichtbeachtung von Leistung und Person. Seminare mit dieser Zielrichtung sind nicht umsonst im Angebot. Aber was Bossen oft als Defizit ins Stammbuch geschrieben wird, gilt vice versa ebenso. Die Fähigkeit, Kritik zu akzeptieren, ist gleichfalls eine Sache des guten Willens.

Zusammenführung der Individuen, so könnte man das Ziel der Corporate Culture generell umschreiben, setzt Kommunikation voraus, die mit allen Mitteln gefördert werden muß. Der Zwang diktierter Kommunikation indes ist wenig dienlich - das Angebot seitens der Unternehmensleitung ist unerläßlich. Da auch die Ziele von oben vorgegeben werden, ist der Anstoß zur Entwicklung und zu ihrer Diskussion Chefsache.