Agilität im öffentlichen Dienst

"Corona hat die Behörden überrollt"

05.04.2021
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Der öffentliche Dienst kämpfte bereits vor der Pandemie mit der Digitalisierung. Berater Detlef Schumann erklärt, inwiefern Sicherheit und Agilität in Zukunft in den Behörden vereint werden können.
Umständliche, langwierige Abläufe und ausufernder Bürokratismus kennzeichnen in den Augen Vieler den Öffentlichen Dienst.
Umständliche, langwierige Abläufe und ausufernder Bürokratismus kennzeichnen in den Augen Vieler den Öffentlichen Dienst.
Foto: Stock-Asso - shutterstock.com

"Corona hat die Behörden überrollt" - so nüchtern beschreibt Detlef Schumann, Practice Lead Public Sektor vom Beratungsunternehmen Bridging IT GmbH, die Ausgangssituation vor der Pandemie. Im Auftrag seines Arbeitgebers berät er mit seinen rund 600 Kollegen auf dem Weg in die digitale Welt. Keiner und nirgends hätte mit so einer Krise gerechnet, so Schumann weiter, und außerdem lief es ja jahrelang gut, man habe sich "in der Komfortzone gut eingerichtet". Es war nicht vorgesehen, dass ein Beamter sein Gerät, sein Notebook nach Hause mitnimmt, um dort eventuell letzte behördliche Aufträge zu erledigen.

Sicherheit vor Agilität

Angesichts der jetzt von vielen Seiten immer wieder geäußerten Kritik über die umständlichen Prozesse, des Bürokratismus und der Schlafmützigkeit der Behörden nimmt Schumann den Öffentlichen Dienst in Schutz und gibt zu bedenken, dass eine wichtige Aufgabe der Verwaltung unter anderem die Daseinsvorsorge sei, dass deshalb Verlässlichkeit, Sicherheit und ein garantiert gut funktionierender Rechtsrahmen höchste Priorität haben.

Was für einen Mitarbeiter im Mittelstand selbstverständlich sei - zum Beispiel von seinem eigenen Gerät auf die Anwendungen der Firma zuzugreifen - daran wird in Behörden noch fleißig gearbeitet. Zu groß sei die Angst, dass etwa eine Sozialbehörde gehackt wird. "Sowas darf nie passieren", so der Berater. Deshalb habe das Thema Sicherheit höchste Priorität. "Bürger, Bürgerinnen und Unternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass mit ihren Daten sorgfältig umgegangen wird."

Und mit noch zwei Argumenten verteidigt Schumann die Vorgehensweise der Behörden. Zum einen genieße die kommunale Selbstverwaltung hohe Freiheitsgrade, deshalb hat es zum Beispiel mit der Einführung einer einheitlichen Software in den Gesundheitsämtern nicht funktioniert. Zum anderen sind viele Behörden in den letzten Jahren auf Effizienz getrimmt worden und es fehle dann doch an Personal. Vor allem jetzt, wenn sich alles um Digitalisierung drehe und die Pandemie noch dazukam.

"Digitalisierung als Nebenher-Projekt geht nicht"

Natürlich sei nicht jeder "Feuer und Flamme und brennt für die Digitalisierung", wie Schumann beobachtet, aber er sagt auch: "Das Problemverständnis ist da und die Führungskräfte sind angehalten, alle mitzunehmen." Was manchmal leichter gesagt als getan ist, vor allem auch deshalb, weil Digitalisierungsprojekte oft als Zusatzarbeit empfunden werden, was erst recht nicht für gute Stimmung in der ohnehin schon schlank gewordenen Belegschaft sorgt. "Digitalisierung als Nebenher-Projekt - das geht nicht", weiß Schumann. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bräuchten den Freiraum und die Zeit für dieses Zusatzengagement.

Keine Frage, Schumann beobachtet eine Menge guter Ansätze. Es gebe viele sehr engagierte Behördenleiter, die anpacken und mit Erfolg die Modernisierung ihrer Verwaltung umsetzen. Als positives Beispiel nennt er das Onlinezugangsgesetz. Bis Ende 2022 sollen alle behördlichen Kernprozesse online angeboten werden. Hier laufen bereits zahlreiche Vorhaben, in denen agil gearbeitet, sich Experten und Expertinnen übergreifend austauschen, Sprints stattfinden und iterativ vorgegangen wird.

Schumann erlebt sehr wohl "eine Veränderung des Mindsets" und dass auch die staatliche Verwaltung verstanden hat, dass agiles Arbeiten seine Vorteile hat, vor allem, wenn es um komplexe Projekte geht. Klar sei aber auch, dass sich nicht alle Vorhaben dafür eignen. Man dürfe nicht "zu deutsch und zu stark mit unseren Ingenieurtugenden an die Sachen herangehen", warnt der Berater, allerdings, das habe die Pandemie wiederum gezeigt: "Wir müssen schneller und flexibler werden. Agilität kann dabei helfen. Die Behörden sollten sich dabei aber unterstützen lassen, denn nebenbei führt man weder ein Unternehmen noch eine öffentliche Einrichtung durch die digitale Transformation", so Schumanns Fazit.