Nach Umbenennung in Inprise

Corba und Java bringen Borland in Schwung

22.05.1998

CW: Als Anbieter von Software und Lösungen für Unternehmen werden Sie vor allem daran gemessen, wie vertrauenswürdig Sie sind. Borlands Jahresumsatz ist seit Anfang der 90er Jahre auf rund 180 Millionen Dollar, also auf ungefähr ein Drittel geschrumpft. Nach einer langen Phase negativer Ergebnisse schreiben Sie nun seit drei Quartalen schwarze Zahlen. Reicht dies, um das Vertrauen der IT-Manager zu gewinnen? Fühlen Sie sich im Vergleich zu Ihren Hauptkonkurrenten, allen voran IBM, Oracle und HP, nicht ein bißchen leichtgewichtig?

Yocam: Borland ist geschrumpft und mußte Einbußen hinnehmen als Anbieter von Konfektionssoftware ("packaged software"). Es bestand keine Möglichkeit, mit diesem Konzept auf Dauer zu überleben. Bei meinem Amtsantritt habe ich die Firma als eine Start-up-Company mit einem Umsatz von 150 Millionen Dollar betrachtet, die mir die Möglichkeit bot, eine neue Strategie umzusetzen. Wir wollen nicht nur durch die Rückkehr zu positiven Geschäftsergebnissen Vertrauen gewinnen, sondern vor allem durch unser neues Konzept. Dabei möchten wir unsere Position als Technologieführer ausspielen. Wir haben bereits in der Windows-Welt gezeigt, daß wir der Konkurrenz technisch zwölf bis 18 Monate voraus sind. Das gleiche wollen wir nun beim Enterprise-Computing beweisen.

CW: Diese Vorreiterrolle können Sie in Ihrem neuen Geschäftsfeld wohl nicht beanspruchen. Während Sie Ihren Applikations-Server erst angekündigt haben, bieten Ihre großen Konkurrenten Oracle, Sybase oder Netscape derartige Produkte schon seit geraumer Zeit an. Auch eine Vielzahl von Start-up-Firmen ist bereits mit solcher Middleware auf dem Markt, die als Container für Objekte fungiert. Sind Sie da nicht eher ein Nachzügler?

Urlocker: Von den Mitbewerbern unterscheiden wir uns durch ein Komplettangebot, das von der Entwicklung über die Verteilung bis zum Management von Objekten reicht. Im Gegensatz zu den vorhandenen Konkurrenzprodukten wird sich unser Server bei der Skalierbarkeit für den Enterprise-Einsatz eignen. Der Grund dafür sind die integrierten Transaktionsdienste von Visigenics "Integrated Transaction Server" (ITS). Auch bei Java-Tools waren wir nicht die ersten, aber wir haben bewiesen, daß wir mit Jbuilder trotzdem einen erheblichen Marktanteil erringen konnten.

Der Markt für verteilte Objekte befindet sich in einem frühen Entwicklungsstadium, da stehen uns noch alle Möglichkeiten offen. Nicht zuletzt durch die Übernahme von Visigenic sehen wir uns dafür gut gerüstet.

CW: Visigenic machte sich vor allem einen Namen als Anbieter des Object Request Brokers (ORB) "Visibroker". Einen großen Teil ihrer Einnahmen erzielte die Firma aus Lizenzgebühren, da viele Softwarehäuser dieses Produkt einsetzen. Inprise tritt nun in Konkurrenz zu wichtigen Visigenic-Lizenznehmern. Oracle und Sybase haben wohl deshalb schon die Entwicklung eigener ORBs angekündigt, Sun will einen solchen kostenlos zur Version 1.2 des Java Development Kit (JDK) packen. Machen Sie damit nicht den Wert der Visigenic-Übernahme zunichte?

Urlocker: Wir selbst nahmen Visibroker in Lizenz, bevor wir Visigenic kauften - und zwar wegen ihrer offenen Lizenzpolitik. Diese wollen wir fortsetzen. Oracle bestätigte erst letzte Woche, daß es weiter unseren ORB nutzen will.

CW: Es gibt aber Berichte, wonach Sie Interessenten die Lizenzierung von ITS verweigerten. Kommt da die neue Konkurrenzsituation doch zum Ausdruck?

Urlocker: Das ist nicht richtig. Wir haben niemandem eine ITS-Lizenz verweigert, wir befinden uns vielmehr in Verhandlungen mit einer Reihe von Unternehmen. Im übrigen pflegen auch wir Beziehungen zu anderen Firmen, die sich mit dem Begriff "Co-opetition" umschreiben lassen. Er bezeichnet die Tatsache, daß kooperierende Firmen häufig in einzelnen Bereichen miteinander konkurrieren.

CW: Borland hatte bei Übernahmen nicht immer eine glückliche Hand. Der Kauf des Dbase-Herstellers Ashton Tate leitete seinerzeit die Talfahrt des Unternehmens ein, auch der Zukauf der Open Environment Corp. (OEC) war nicht gerade ein großer Erfolg. Visigenic schrieb bei der Übernahme durch Borland rote Zahlen. Besteht nicht die Gefahr, daß Sie wieder in negative Geschäftsergebnisse abrutschen?

Yocam: Ich gebe zu, daß die Verschmelzung von OEC mit Borland nicht besonders gut gehandhabt wurde. Ich glaube aber nicht, daß die Übernahme von Visigenic unsere geschäftlichen Ergebnisse trüben wird. Immerhin schrieben wir im ersten Quartal dieses Jahres, als wir die Company zukauften, schwarze Zahlen. Visigenic ist für uns keine Belastung, im Gegenteil, die damit erworbene Technologie hilft uns, die neue Strategie schneller umzusetzen. Im Rahmen unserer Ausrichtung auf Unternehmenskunden werden wir auch zukünftig Technologie über Firmenkäufe erwerben. Vor allem aber wollen wir uns auf diesem Weg beim Vertrieb und Consulting verstärken. Mit der Übernahme von OEC und Visigenic kamen bereits eine Reihe von Supportmitarbeitern und Beratern zu uns.

CW: Beratung und Dienstleistung sind sicher von zentraler Bedeutung, wenn Inprise im Enterprise-Geschäft erfolgreich sein will. Aber hier stellt sich erneut die Frage, wie Sie mit Ihrer relativ kleinen Consulting-Abteilung gegen die Schwergewichte der Branche bestehen wollen.

Yocam: Wir haben weltweit mittlerweile eine ganze Reihe von Partnern, alleine in Deuschland sind es 20. Selbst wenn unser Umsatz auf über eine Milliarde Dollar wächst, setzen wir weiterhin auf solche Kooperationen. Der Grund dafür ist recht einfach: Der Kunde entscheidet, mit wem er zusammenarbeiten will. Wenn er beispielsweise ein gutes Verhältnis mit Andersen Consulting hat, dann kann er doch zusammen mit dem Unternehmensberater unsere Technologien und Produkte für seine Anwendungen nutzen.

CW: Im Zentrum Ihrer neuen Ausrichtung stehen Anwendungen auf Basis verteilter Objekte. Analysten wie Judith Hurwitz weisen aber darauf hin, daß sich der Einstieg in neue Technologien und Architekturen durch das Jahr-2000-Problem und die Euro-Umstellung verzögern könnte. Machen Sie Ihre Firma nicht zu früh von Zukunftstechnologien abhängig?

Yocam: Wir sehen dieses Problem nicht. Es ist offensichtlich, daß die Client-Server-Ära ihren Höhepunkt überschritten hat. Jetzt entsteht der Markt für verteilte Objekte. Besonders Firmen aus der Finanz- und Bankenwelt sind gegenüber neuen Technologien aufgeschlossen.

Sie haben verstanden, daß sie durch Objekttechnologie Konkurrenzvorteile erzielen können. Im übrigen machen wir immer noch Geschäfte mit unseren Entwicklungswerkzeugen, bei denen die Enterprise-Ausführungen einen ständig wachsenden Anteil des Tools-Umsatzes ausmachen.

CW: Sie wollen sich im Markt für verteilte Objekte behaupten, indem Sie die Borland-Tools mit der Corba-Technik von Visigenic verschmelzen. Diese Synthese soll die Corba-Welt um das Rapid Application Development (RAD) bereichern und die bis dato komplizierte Programmierung drastisch vereinfachen. Wie wichtig ist dabei Ihr Beitrag für Corba in der Konkurrenz gegen Microsofts Component Object Model (COM)?

Urlocker: Wir sehen unser Geschäft darin, die Entwicklung, Verteilung und das Management verteilter Anwendungen radikal zu vereinfachen. Sie repräsentieren nach der Mainframe-Ära und Client-Server die dritte Welle in der Datenverarbeitung. Corba als offener Standard spielt dabei eine zentrale Rolle, weil dahinter über 850 Mitgliedsfirmen der Object Management Group (OMG) stehen. Visigenic war federführend tätig bei der Ausarbeitung diverser Corba-Spezifikationen und hatte bereits vor der Übernahme durch Borland die Transaction Services implementiert. Der ITS wird ein zentraler Bestandteil unseres Applikations-Servers - ohne objektbasierte Transaktionsverarbeitung kann man im Enterprise-Einsatz nicht bestehen.

Allerdings nehmen wir nicht Partei für die eine oder andere Plattform oder Komponententechnologie, wir richten uns dabei nach dem Kunden. Wir wollen dafür sorgen, daß der Anwender bestehende COM-Objekte oder DCE-basierte Applikationen zusammen mit Corba oder Java nutzen kann.