Daten-Demokratisierung

Coopetition - mehr als ein Modewort

Kommentar  15.11.2021
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Sanjay Brahmawar ist der CEO der Darmstädter Software AG
Sanjay Brahmawar, der CEO der Darmstädter Software AG, hat ein Anliegen: In seinem Gastbeitrag für die COMPUTERWOCHE bricht er eine Lanze für Coopetition und die Demokratisierung von Daten.
  • Die Raumstation ISS zeigt, wie gut Konkurrenten zusammenarbeiten können, wenn es drauf ankommt
  • Zu viele Unternehmen fürchten, bei einer Zusammenarbeit mit Wettbewerbern den Kürzeren zu ziehen
  • Ungeheure Datenmengen warten darauf, gemeinschaftlich nutzbar gemacht zu werden
Wenn Konkurrenten kooperieren, kann das für beide Seiten gewinnbringend sein.
Wenn Konkurrenten kooperieren, kann das für beide Seiten gewinnbringend sein.
Foto: Altrendo Images - shutterstock.com

Wir konkurrieren von Kindesbeinen an - bei sportlichen Wettbewerben in den Schulen, später um Stipendien, Jobs oder Wohnungen. Wir haben unser Leben inszeniert als immer währende Auseinandersetzung, als ein großes Gegeneinander. Konkurrenz durchzieht unseren Alltag ebenso wie unsere Wirtschaft - und darauf basierend auch das Denken in Unternehmen. Das Extrakt der evolutionären Idee des Survival of the Fittest ist für viele offenkundig nur noch der immerzu notwendige Sieg über eine vermeintliche Konkurrenz. In jeder Lebenslage, nach dem Motto: Gewinne ich, verlieren die anderen.

Nach dieser Logik haben auch Staaten wie die USA und die Sowjetunion jahrzehntelang gegeneinander gearbeitet. Später entschieden sie sich in der Raumfahrt für einen anderen Weg. Die internationale Raumstation ISS fliegt bis heute in 408.000 Metern Höhe über unseren Köpfen und schreibt ein beispielloses Stück Forschungsgeschichte. Die ISS gilt mit Kosten im dreistelligen Milliardenbereich als das teuerste je von Menschen geschaffene Objekt. Durch sie waren Forschende aus der ganzen Welt in der Lage, durch mehr als 3.000 Experimente das Wissen der Menschheit in Themenfeldern wie Physik, Medizin, Biologie oder auch Klimatologie erheblich zu erweitern. Doch diese Coopetition - also die gemeinsame Zusammenarbeit möglicher Wettbewerber - ist längst nicht nur in der internationalen Raumfahrt eine Erfolgsformel.

Mehrwerte durch Coopetition

"Wir müssen hier von einigen Ideen loslassen. Unter anderem müssen wir die Idee loslassen, dass Microsoft verlieren muss, damit Apple gewinnen kann", mahnte Steve Jobs bereits 1997 auf der Macworld Expo und läutetet damit die wohl berühmteste Partnerschaft zwischen zwei großen Konkurrenten in der Wirtschaft ein. Seitdem läuft Microsoft-Software auch auf Apple-Geräten. Die beiden Tech-Pioniere hatten das Potenzial erkannt, sich neue Marktchancen zu erschließen, die das Risiko einer Coopetition überwiegen. Heute sind Apple und Microsoft die Nummer eins und zwei im Ranking der wertvollsten Unternehmen der Welt. Als ich bei der Software AG antrat, betrachteten wir Microsoft und Amazon Web Services (AWS) noch als Konkurrenten. Heute sind diese beiden Unternehmen nicht mehr nur Wettbewerber, sondern auch unsere größten Partner. Gemeinsam wachsen wir zweistellig.

Diesen Beispielen zum Trotz fremdeln viele Unternehmen mit der Idee der Coopetition. Gerade jene, die keine Führungsrolle in ihrer Branche haben, tun sich schwer. Während sich einer Studie von Tata Consultancy Services zufolge zwar 80 Prozent der "Leader" offen für Coopetition zeigen, ist es bei der großen Masse ("Followers") mit 23 Prozent nicht einmal ein Viertel. Zu groß ist bei vielen wohl das Misstrauen in den Betrieben, zu groß die Sorge, die Kontrolle zu verlieren. Doch ist diese Sorge berechtigt? Was wäre, wenn Unternehmen regelmäßig mit Wettbewerbern zusammenarbeiten, um Wissen, Fähigkeiten und Ressourcen zu multiplizieren, ohne dabei den eigenen Wettbewerbsvorteil zu verlieren?

Sanjay Brahmawar, CEO der Software AG, ermuntert Unternehmen, das Mammut gemeinsam zu erlegen. Auch Konkurrenten können zusammenarbeiten und ihre Datenschätze gemeinsam heben.
Sanjay Brahmawar, CEO der Software AG, ermuntert Unternehmen, das Mammut gemeinsam zu erlegen. Auch Konkurrenten können zusammenarbeiten und ihre Datenschätze gemeinsam heben.
Foto: Software AG

Dunkle Daten und große Silos

Eine Antwort liefert der Blick zurück in die Urzeit. Selbst der klügste Mensch und talentierteste Jäger im Jungpleistozän vermochte es nicht, ein Mammut auf eigene Faust zu jagen, zu zerlegen und aus den Knochen Werkzeuge zu fertigen. Es bedurfte stets eines gemeinsamen Ansatzes, auch wenn die einzelnen Jäger immer im Wettbewerb zueinandergestanden haben. Das Mammut zu teilen, war eben besser und deutlich klüger, als erfolglos zu verhungern. Im Zeitalter der Digitalisierung ist es nicht anders - auch wenn die Mammut-Jagd heute keine so große Rolle mehr spielt.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht das KI-Zeitalter heraufbeschworen wird. Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik betonen in schöner Regelmäßigkeit die Potenziale der Technologie. Was dabei oftmals übersehen wird: Für das Training smarter Algorithmen braucht es große Mengen an Daten. Diese Daten sind oftmals nicht frei verfügbar, sie schlummern in den Silos von Unternehmen und öffentlichen Institutionen vor sich hin. Über Branchen, Regionen und Staaten hinweg sind sie verteilt. Viele Unternehmen sind sich ihrer Datenschätze noch nicht einmal bewusst. Der Datenauswerter Splunk bezifferte den Anteil solcher sogenannter dunkler Daten, von deren Existenz die Unternehmen selbst nicht wissen, in einer Studie von 2019 auf 55 Prozent.

Datenpools für mehr Innovationskraft

Das Horten von Daten ist kein Geschäftsmodell, es schafft keinen Mehrwert und sorgt nicht für Innovationen. Vielmehr verhindert es letztere. Das Teilen von Daten - auch mit möglichen Wettbewerbern - macht hingegen den Weg zu neuartigen Lösungen frei. Das Training einer leistungsstarken KI ist nur ein Beispiel von vielen. Für das eine Unternehmen mag eine bestimmte Art von Daten völlig uninteressant sein, für ein anderes hingegen relevant für das eigene Geschäftsmodell. Machen beide Unternehmen gemeinsame Sache und teilen Know-how und Ressourcen, können sie nur profitieren.

Das Internet der Dinge (IoT) zeigt das par excellence. Die Automatisierung der eigenen Produktionsstätten ist interessant. Doch seine ganze Kraft entfaltet die IoT-Technologie erst, wenn Unternehmen sie nutzen, um die eigenen Maschinen mit anderen zu vernetzen und Daten auszutauschen. Produktionskapazitäten lassen sich dann beispielsweise teilen und Manufacturing-as-a-Service-Modelle etablieren, also gemeinsam genutzte Fertigungsinfrastrukturen. Der Austausch von Daten ist der Schlüssel zu alldem.

In ihrer Datenstrategie plant die Europäische Kommission daher bereits die Entwicklung einer eigenen Datenökonomie und strebt den Aufbau gemeinsamer Datenpools an, die dann allen Unternehmen in Europa und uns als Gesellschaft gleichermaßen zugutekämen. Schließlich geht es bei der Bereitschaft zur Coopetition - im größeren Kontext betrachtet - auch um ein Stück digitale Souveränität. Der Erfolg der US-Technologiekonzerne und ihrer asiatischen Pendants erklärt sich nämlich unter anderem durch die ungeheure Datenmenge, die jedem von ihnen bereits auf ihren Heimatmärkten zur Verfügung steht, während Europas Betriebe regelmäßig mit der Fragmentierung des europäischen Kontinents und seinen verschiedensten Regelzonen zu kämpfen haben. Ein gemeinsamer europäischer Datenpool hat daher das Zeug, die Innovationskraft der Unternehmen auf dem alten Kontinent nachhaltig zu steigern - und zwar von allen gemeinsam.

Weg vom Einzelgängertum

Doch die politischen Weichenstellungen sind immer nur eine hinreichende Bedingung, notwendig ist am Ende die Veränderung in den Köpfen. Es braucht ein neues Mindset, eine Abkehr vom Einzelgängertum. Die Hinwendung zu einer Demokratisierung von Daten. Was es darüber hinaus noch braucht, ist Mut - den Mut, einander und insbesondere den eigenen Stärken zu vertrauen. Lohnt sich das? Die Sterne kennen die Antwort. In klaren Nächten lässt sich die ISS mit bloßem Augen am Firmament erkennen; und das seit nunmehr 21 Jahren. Höchste Zeit zum Umdenken!