Computertechnik für Behinderte

18.11.2002
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Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Rund acht Prozent oder mehr als sechs Millionen Bundesbürger gelten als körperbehindert. Computer und vor allem das Internet sind für sie eine große Hilfe - wenn die Peripherie stimmt.

Briefe schreiben, Geld überweisen, Informationen einholen, spielen, Musik kopieren oder im Internet chatten: Was für andere selbstverständlich ist, stellt Körperbehinderte vor ein großes Problem. Wie soll ein Mausklick ausgeführt werden, wenn die Motorik nicht das umsetzt, was der Kopf will? Oder wenn die Arme fehlen?

Foto: Siemens CCH Bonn
Foto: Siemens CCH Bonn

Seit rund 18 Jahren kämpft Heinz Besgen gegen Probleme, die auftreten, wenn Behinderte Computer benutzen wollen. 1983 rief der Siemens-Konzern das „Cure“-Projekt ins Leben, das von der computerunterstützten Rehabilitation inzwischen zu einer Lebenshilfe für den Umgang mit Rechnern gewachsen ist. Besgens Leitbild: „Für viele Behinderte sind Computer und das Internet grundsätzlich ein Segen.“

Entwicklungen dauern eine lange Zeit

Angefangen hat alles mit einer Großfeldtastatur für Spastiker, denen die normalen Geräte zu klein sind. Genau das Gegenteil brauchen Menschen, die den Arm nicht mehr bewegen können, aber über eine gute Feinmotorik in der Hand verfügen. Für sie gibt es DIN-A6-kleine Tastaturen, die über einen Magnetstift bedient werden. Die Technik macht Fortschritte, allerdings bei weitem nicht so schnell wie im Massenmarkt: „Derartige Entwicklungen dauern eine lange Zeit“, berichtet Besgen aus der Praxis.

Contergan-Geschädigte etwa benötigen geteilte und neben dem Arbeitsplatz fixierte Tastaturen; für Rheumatiker ist mitunter bereits der normale Auslösedruck des Keyboards zu stark. Nach 15 bis 30 Minuten schmerzen ihre Gelenke, so dass Tastaturen mit leichtgängigen Mikroschaltern entwickelt werden mussten. Wer seine Arme und Hände überhaupt nicht bewegen kann, bekommt einen Reflektionspunkt auf die Stirn oder die Brille geklebt. Hieran erkennen Infrarotsensoren der „Kopfmaus“, welcher Buchstabe auf einer Tastatur am Monitor ausgewählt werden soll.

Die Anforderungen an die Eingabegeräte sind so verschieden wie die Behinderungen. Das Siemens-Projekt arbeitet mit etwa 20 Stiftungen zusammen, die sich mit unterschiedlichen Krankheitsbildern befassen. Durch diese Fragmentierung sind Großserien ausgeschlossen, so dass die Geräte teurer sind als die herkömmliche Peripherie. „In der Regel bekommen Sie die Hilfsmittel über die Krankenkasse verschrieben“, sagt Besgen, auch wenn klar ist, dass es von dieser Regel immer viele Ausnahmen und „Grenzbereiche“ gibt.

Jedoch weiß der Projektleiter auch, dass sich das Engagement lohnen kann. Besgen berichtet von einem Behinderten, der sein Studium an einem Computer gemeistert hat. Ohne seine Arme gebrauchen zu können, war er dabei auf einen Saug-Blas-Schalter angewiesen, der über die Atmung gesteuert wird: Beim Einatmen läuft der Cursor ein Alphabet auf dem Monitor ab, beim Ausatmen stoppt er. Wird erneut ausgeblasen, übernimmt das Programm den Buchstaben. Der Betroffene schrieb auf diese Weise eine Dissertation. Die Mühsal ist aber nicht das einzige Problem, sagt Besgen: „Schlimmer ist, dass viele Behinderte und vor allem ihre Angehörigen noch nicht wissen, welche Hilfsmittel es gibt.“