Das Web als blutsaugender Vampir

Computersklaven: Die Verlierer des Internet-Hype

23.06.2000
Jeder Goldrausch hat seine Schattenseiten. Die letzte Konsolidierung am Neuen Markt dämpfte die Euphorie einiger Startups gehörig. Inzwischen melden sich auch einige zu Wort, die nur noch wenig Sympathie für die New Economy haben und als ausgebrannte Wracks Rachepläne schmieden. Von Ingrid Weidner*

Bill Lessard und Steve Baldwin, selbst einmal dem Internet und seinen Möglichkeiten auf den Leim gegangen und gescheitert, verpacken ihre bitterböse Abrechnung nicht in Seidenpapier. Mit zahlreichen Interviews belegen sie, dass jede Menge intelligente junge Leute den gleichen Zaubermärchen verfallen sind und für ein Bündel Aktienoptionen fast jeden persönlichen Preis zahlen. Mit "Computersklaven. Reportagen aus der Ausbeuterfirma Internet" legen sie eine hervorragende Analyse der Schattenseiten des Dot-com-Booms vor, bei dem vermutlich so manchen das Lachen im Hals stecken bleibt.

Hackordnung im Kastensystem der Neuen Medien

Vermutlich gestaltet sich die Situation im Land der unbegrenzten Möglichkeiten noch extremer als in Deutschland, aber der Neue Markt funktioniert nach eigenen, globalen Gesetzen und die damit verbundene Gier macht vor keiner Oase halt. Schon gar nicht vor 40-Stunden-Verträgen oder langweiligen Arbeitsrechtsbestimmungen. Wie in den 70er Jahren Günther Wallraff mit seinen Enthüllungsgeschichten Aufsehen erregte, könnten Lessard und Baldwin mit ihren Reportagen über die "Netslaves" für Wirbel sorgen. Für die beiden Verlierer hat sich ihr Frustbuch schon gelohnt. Ihre Site http://www.netslaves.com ist ein Renner und die Beiden haben es doch noch geschafft, mit Hilfe der fast schon verhassten Branche reich zu werden.

In ihrem bissig-amüsanten Kastensystem der Neuen Medien unterscheiden sie zehn Ebenen. In der Internet-Branche tummeln sich beispielsweise Müllmänner und Strichmädchen, Abzocker und Raubritter. Die Computersklaven sind wie die antiken Vorbilder in der Hierarchie ganz unten angesiedelt und können nur auf- oder aussteigen, arbeiten mindestens 80 Stunden pro Woche, nachts und am Wochenende und verlieren immer mehr den Bezug zur Realität außerhalb des Cyberspace. Viele sehen gerade als Autodidakten die neue Branche als große Jobmöglichkeit an, die ihnen Alternativen zu Gelegenheitsjobs bietet.

Da ist beispielweise die Web-Designerin Jane. Lessard und Baldwin ordnen sie in ihrer Kastenterminologie als Taxifahrerin ein. Sie arbeitet freiberuflich, jagt jedem Job hinterher, immer das leere Bankkonto vor Augen. Statt der erträumten Freiheit, freier Projektwahl und höherer Stundenlöhne bangt sie bei jedem Job um die verdiente Bezahlung; schließlich muss sie die Miete für ihr New Yorker Apartment immer pünktlich überweisen. Doch ihr Arbeitsalltag sieht deprimierend aus. Irgendwann hilft nur noch der Anruf bei den Eltern mit der Bitte um einen Scheck aus dem Dilemma.

Eine drastische, direkte Sprache lässt keine Zweifel aufkommen, dass die Geschichten der Porträtierten doch noch gut ausgehen und als Internet-Märchenstunde enden. Falls die Szene nur halb so paranoid ist wie von den Autoren beschrieben, dann müssten sich bald ziemlich viele ausgebeutete Computersklaven rächen.

Bill Lessard, Steve Baldwin: Computersklaven. Reportagen aus der Ausbeuterfirma Internet. DVA, Stuttgart München.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München.