Computerprogramme werden patentschutzfähig

07.11.1986

MÜNCHEN - Eine spektakuläre Entscheidung hat kürzlich das Europäische Patentamt (EPA) getroffen: Auch für Computerprogramme wird jetzt unter bestimmten Umständen Patentschutz gewährt. Jürgen Betten* gibt einen Überblick über die neue Rechtslage.

Das Europäische Patentamt hat am 15.07.1986 im Fall T 208/84 "VICOM" (Veröffentlichungsnummer der europäischen Patentanmeldung: 5954; Verfahrenssprache: Englisch) seine seit langem erwartete erste Entscheidung zum Patentschutz von sogenannten Softwarebezogenen Erfindungen getroffen, also von Erfindungen, bei denen ein Computerprogramm verwendet wird. In der Vergangenheit herrschte durch die Tatsache, daß Computerprogramme als solche durch das Gesetz vom Patentschutz ausgeschlossen sind, eine große Unsicherheit, die bei weiten Kreisen zu der irrigen Meinung geführt hat, Computerprogramme seien dem Patentschutz Oberhaupt nicht zugänglich. Die Entscheidung des EPA muß daher als ein Meilenstein in Richtung auf den Patentschutz von vielen (technischen) Programmen angesehen werden.

Gegenstand der Patentanmeldung ist ein Verfahren und eine Vorrichtung zur digitalen Bildverarbeitung. Es handelt sich dabei etwa um die Verarbeitung von Satellitenbildern, die als digitale Bilder in der Form von Rasterpunkt- oder Pixel-Feldern (-Arrays) gespeichert sind. In der Beschreibung ist angegeben, daß Verfahren zur Wiederherstellung oder Verbesserung der Bilder durch "Glätten" oder "Schärfen" bekannt sind.

Bei diesen Verfahren werden üblicherweise zweidimensionale Filter mit endlicher Impulsantwort (FIR-Filter) verwendet, durch die ein die Rasterpunkte darstellendes Datenfeld gefaltet 'beziehungsweise so umgewandelt wird, daß das neue Datenfeld kleinere Abmessungen hat. In der Beschreibung werden als typische Abmessungen der Operatorenmatrix 15 x 15 oder 21 x 21 oder auch 61 x 61 Elemente angegeben, während die Pixelmatrix überlicherweise in der Größenordnung von 512 x 512 Elemente liegt. Dies bedingt bei der Faltung eine größe Anzahl von Rechenoperationen, die durch die Erfindung beträchtlich vermindert werden sollen.

Kernpunkt der Erfindung ist ein Verfahren, bei dem eine neue Operatorenmatrix verwendet wird, die als kleiner generierender Kern (small generating kernel, SGK) bezeichnet wird und Abmessungen in der Größenordnung von 3 x 3 Elementen hat. Der kleine generierende Kern, der auch als kleine Maske angesehen werden kann, tastet dann in der herkömmlichen Faltungsweise die Datenmatrix ab, im Gegensatz zum Stand der Technik jedoch wiederholte Male.

? Die der Entscheidung zugrundeliegenden wesentlichen Patentansprüche lauten wie folgt:

1. Verfahren zur digitalen Verarbeitung von Bildern in Form eines zweidimensionalen Datenfelds beziehungsweise Daten-Arrays mit in Zeilen und Spalten angeordneten Elementen, die mit einer Operatorenmatrix gefaltet werden, die wesentlich kleiner ist als die des Datenfelds, wobei die Elemente des Datenfelds sequentiell mit der Operatorenmatrix abgetastet werden, sind dadurch gekennzeichnet, daß das Verfahren wiederholte Zyklen des sequentiellen Abtastens des gesamten Datenfelds mit einer kleinen generierenden Kern-Operatorenmatrix zur Erzeugung eines gefalteten Datenfelds und anschließendem Ersetzen des alten Datenfelds durch ein neues Datenfeld aufweist. Dabei bleibt die kleine generierende Kern-Operatorenmatrix für jede einzelne Abtastung des gesamten Datenfelds unverändert ist, und obwohl sie wenigstens eine Vielzahl von Elementen aufweist, gleichwohl wesentlich kleiner als eine herkömmliche Operatorenmatrix, die nur einmal mit dem Datenfeld gefaltet wird. Außerdem wird der Zyklus für jedes vorhergehende Datenfeld durch Auswahl der kleinen generierenden Kern-Operatorenmatrix und der Anzahl der Zyklen. entsprechend den herkömmlichen Fehlerminimierungstechniken so lange wiederholt, bis das letzte erzeugte neue Datenfeld im wesentlichen der gewünschten Faltung des Original-Datenfeldes mit der herkömmlichen Operatorenmatrix entspricht.

2. Die Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1 mit einer Dateneingangseinrichtung zur Aufnahme des Datenfelds, und einem Datenfeld zur Erzeugung der Operatorenmatrix zum Abtasten des Datenfelds, um die gewünschte Faltung der Operatorenmatrix und des Datenfelds zu erzeugen, ist dadurch gekennzeichnet, daß eine Rückkopplungseinrichtung zur Übertragung des Ausgangs der Maskeneinrichtung zu der Dateneingangseinrichtung und eine Steuereinrichtung vorgesehen ist, die bewirkt, daß das Abtasten und Übertragen des Ausgangs der Maskeneinrichtung zur Dateneingangseinrichtung eine vorbestimmte Anzahl von Malen wiederholt wird.

Nachfolgend werden die wichtigsten Entscheidungsgründe aufgeführt. Es handelt sich dabei um eine Übersetzung des englischen Originaltextes; die Numerierung wurde beibehalten:

3. Obwohl die Frage, ob ein Verfahren zur Bildbearbeitung gewerblich anwendbar ist, nicht ausdrücklich im Verfahren vor der Prüfungsabteilung gestellt wurde, scheint es wünschenswert, diese Frage zuerst zu erörtern, bevor der Punkt der Zuverlässigkeit der Ansprüche angesprochen wird. Nach der gegenwärtigen Ansicht der Beschwerdekammer sollte diese Frage zustimmend beantwortet werden.

Ein Verfahren zur Gewinnung und/oder Wiedergabe eines Abbilds eines physikalischen beziehungsweise körperlichen Gegenstandes oder selbst eines Bilds eines simulierten Gegenstands - wie in CAD/CAM-Systemen - kann eindeutig zum Beispiel bei der Untersuchung von Eigenschaften eines Gegenstands oder beim Entwerfen eines industriellen Artikels verwendet werden und ist daher gewerblich anwendbar. In gleicher Weise muß ein Verfahren zur Verbesserung oder Wiederherstellung eines solchen Bilds - ohne zu seinem Informationsgehalt beizutragen - als gewerblich anwendbar im Sinne von Art. 57 EPÜ angesehen werden.

4. Die nun geltenden Verfahrensansprüche 1 bis 7 und 12 beziehen sich auf Verfahren zur digitalen Bildverarbeitung. Ein wesentlicher Punkt, der in der vorliegenden Beschwerde zu entscheiden ist, besteht darin, ob eine solche Methode von der Patentfähigkeit gemäß Art. 52(2) und (3) EPÜ aus dem Grund ausgeschlossen ist oder nicht, daß es sich um eine mathematische Methode als solche handelt.

5. Es besteht wenig Zweifel daran, daß jede Verarbeitungsoperation an einem elektrischen Signal in mathematischen Ausdrücken beschrieben werden kann. Die Charakteristik eines Filters kann beispielsweise in einer mathematischen Formel ausgedrückt werden. Ein grundlegender Unterschied zwischen einer mathematischen Methode und einem technischen Verfahren kann jedoch in der Tatsache gesehen werden, daß eine mathematische Methode oder ein mathematischer Algorithmus an Zahlen - was immer diese Zahlen darstellen mögen - durchgeführt wird und ein Ergebnis ebenfalls in numerischer Form liefert, wobei die mathematische Methode oder der Algorithmus lediglich ein abstraktes Konzept sind, die vorschreiben, wie die Zahlen zu behandeln sind. Durch die Methode als solche wird kein direktes technisches Ergebnis erzielt. Wenn im Gegensatz dazu eine mathematische Methode in einem technischen Verfahren verwendet wird, so wird das Verfahren an einer physikalischen Entität**, die ein körperlicher Gegenstand, aber auch gleichermaßen ein als elektrisches Signal gespeichertes Bild sein kann, unter Verwendung von einigen, die Methode anwendenden technischen Mittel durchgeführt und liefert als Ergebnis eine bestimmte Änderung an dieser Entität. Die technischen Mittel können dabei ein Computer mit geeigneter Hardware oder ein geeignet programmierter Universalcomputer sein.

6. Die Kammer ist daher der Meinung, daß selbst dann, wenn die einer Erfindung zugrundeliegende Idee als in einer mathematischen Methode liegend angesehen werden kann, bei einem auf ein die Methode verwendendes technisches Verfahren gerichteten Patentanspruch nicht um Schutz für die mathematische Methode als solche nachgesucht wird.

7. Im Gegensatz dazu bleibt ein "Verfahren zum digitalen Filtern von Daten" so lange ein abstrakter Begriff, der sich nicht von einer mathematischen Methode unterscheidet, wie nicht angegeben ist, welche physikalische Entität beziehungsweise welches Ding durch die Daten wiedergegeben wird und den Gegenstand eines technischen Verfahrens bildet, das heißt eines Verfahrens, das gewerblich anwendbar ist.

8. Regel 29(1) EPÜ verlangt, daß in den Patentansprüchen die technischen Merkmale der Erfindung anzugeben sind. Die Kammer ist der Auffassung, daß diese Bedingung erfüllt ist, wenn die in den Patentansprüchen genannten Merkmale vom Fachmann so verstanden weiden, daß sie sich auf die technischen Mittel zur Durchführung der durch diese Merkmale gekennzeichneten Funktionen beziehen. Wenn es zweckdienlich ist, so ist die Verwendung von mathematischen Ausdrücken (Addition, Multiplikation, Faltung, logische Verknüpfungen) zulässig. Die alles beherrschenden Forderungen sind stets die, daß die Patentansprüche deutlich und knapp gefaßt sein müssen und daß ein Fachmann aus der Beschreibung und/oder aus seinem allgemeinem Fachwissen heraus verstehen kann, welche technischen Mittel notwendig sind, um Art. 83 EPÜ zu erfüllen.

9. Aus allen diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand von Anspruch 1 und in ähnlicher Weise der der weiteren Verfahrensansprüche 2 bis 7 durch Art. 52(2)(a) und (3) EPÜ nicht vom Patentschutz ausgeschlossen

ist.

10. Die Kammer erörtert nun das von der Patentabteilung vorgebrachte Argument, daß die Ausführung der beanspruchten Verfahren zur Bildverarbeitung durch ein Programm, das auf einem Computer abläuft, nach Art. 52 (2)(c) und (3) EPÜ nicht als eine Erfindung angesehen werden könne, was gleichbedeutend damit zu sein scheint, daß ein auf einen derartigen Gegenstand gerichteter Patentanspruch um Schutz für ein Computerprogramm als solches nachsucht.

11. Die Anmelderin hat betont, daß die Anmeldung eine neue Hardware zur Durchführung der beanspruchten Verfahren offenbart. Sie hat jedoch andererseits zugestanden, daß es mindestens im Prinzip möglich sei, das anmeldungsgemäße Verfahren beziehungsweise die anmeldungsgemäße Vorrichtung in einem geeignet programmierten - herkömmlichen Computer auszufahren, obwohl ein derartiger Computer zur Durchführung der Bildverarbeitung nicht optimal wäre (siehe Seite A-2 der Beschwerdebegründung).

12. Die Kammer ist der Auffassung, daß ein auf ein technisches Verfahren gerichteter Patentanspruch, bei dem das Verfahren unter der Steuerung eines Programms - sei es in der Hardware oder in Software - durchgeführt wird, nicht als Computerprogramm als solches gemäß Art. 52(3) EPÜ angesehen werden kann, da es die Anwendung des Programms zur Bestimmung der Folge von Verfahrensschritten ist, für die tatsächlich um Schutz nachgesucht wird. Demzufolge ist ein derartiger Patentanspruch nach Art. 52(2)(c) und (3) EPÜ zulässig.

15. Unter Berücksichtigung einiger Überlegungen der Prüfabteilung, die sich auch auf die Vorrichtungsansprüche beziehen (siehe Abs. 10 oben), ist noch zu untersuchen, ob der vorliegende Vorrichtungsanspruch 8 aufgrund von Art. 52 (2)(c) und (3) EPÜ zu beanstanden ist. Analog zu den in Abs. 12 angegebenen Gründen ist die Kammer der Auffassung, daß dies nicht der Fall ist und daß das Gleiche auch für die anderen Vorrichtungsansprüche 9 bis 11 gilt. Allgemein können Patentansprüche, die auf einen Computer gerichtet sind, der eingesetzt wird, um entsprechend einem bestimmten Programm (entweder mittels Hardware oder Software) zur Steuerung oder Durchführung eines technischen Verfahrens zu arbeiten, nicht als ein auf ein Computerprogramm als solches bezogener Patentanspruch angesehen werden kann und sind daher auch nicht nach Art. 52(2)(c) und (3) EPÜ zu beanstanden.

16. Dabei hat die Kammer zusätzlich in Betracht gezogen, daß die Unterscheidung zwischen Ausführungsformen der gleichen Erfindung, die in Hardware oder in Software ausgeführt sind, ungeeignet ist, da gerechterweise gesagt werden muß, daß die Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten nicht wesentlicher Natur ist, sondern daß sie auf technischen und wirtschaftlichen Überlegungen beruht, die keine Beziehung zu Erfindungsgedanken als solchen haben.

Allgemein gesprochen sollte eine Erfindung, die gemäß den herkömmlichen Patentfähigkeitskriterien als patentfähig angesehen wird, nicht vom Schutz durch die bloße Tatsache ausgeschlossen sein, daß bei ihrer Ausführung moderne technische Mittel in Form eines Computerprogramms verwendet werden.

Entscheidend ist, welchen technischen Beitrag die im Patentanspruch definierte Erfindung zum Stand der Technik liefert, wenn der Patentanspruch als Ganzes gesehen wird.

Schließlich erscheint es unlogisch, für ein technisches Verfahren Patentschutz zu gewähren, das durch einen geeignet programmierten Computer gesteuert wird, nicht aber für den Computer selbst, wenn er zur Ausführung der Steuerung eingesetzt wird.

18. In diesem Zusammenhang kann erwähnt werden, daß das auf Seite 14, Zeile 16 ff der Beschreibung angegebene Programm lediglich dazu dient, die Elementwerte des kleinen Generatorkernbereichs und der Gewichtungswerte zu berechnen. Es bildet weder einen Teil der beanspruchten Bildverarbeitungsverfahren, noch ist es in den Vorrichtungsansprüchen enthalten. In der Tat würde ein derartiges Programm unter Berücksichtigung der obigen Überlegungen der Kammer nicht patentfähig sein.

20. Um die Anmelderin nicht einer Prüfung in zwei Instanzen zu berauben und dem Antrag der Anmelderin in der Beschwerdebegründung entsprechend, hält die Kammer es für angemessen, den Fall an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen, um, wie sie es für richtig hält, diese Punkte und auch Änderungen zu behandeln, die erforderlich sind, um unter anderem die Vorschriften nach Art. 83 und 84 in Regel 27 und 29 EPÜ zu erfüllen.

*Jürgen Betten ist Patentanwalt in München

Leitsätze zur EPA-Entscheidung

1. Selbst wenn dies einer Erfindung zugrunde liegenden Idee in einer mathematischen Methode liegen soll, wird bei einem auf ein technisches Verfahren gerichteten Patentanspruch, bei dem die Methode verwendet wird, nicht um Schutz für die mathematische Methode als solche nachgesucht.

II. Ein bekannter Computer, der nach einem neuen Programm arbeitet, kann nicht als Teil des Stands der Technik nach Art. 54 (2) EPÜ angesehen werden.

III. Ein auf ein technisches Verfahren gerichteter Patentanspruch, bei dem das Verfahren unter Steuerung eines Programms durchgeführt wird, kann nicht als ein auf ein Computerprogramm als solches bezogener Patentanspruch angesehen werden.

IV. Patentanspruch, der auf einen Computer gerichtet Ist, der eingesetzt wird, um entsprechend einem bestimmten Programm (entweder mittels Hardware oder Software) zur Steuerung oder Durchführung eines technischen Prozesses zu arbeiten, kann nicht als ein auf ein Computerprogramm als solches bezogener Patentanspruch angesehen werden.