Bewerber von Berufsakademien haben bessere Chancen

Computerkonzerne reduzieren die IT-Ausbildung

24.09.2004
Die Zahl der Auszubildenden in den IT-Berufen geht zurück. Große Konzerne setzen stärker auf Bewerber von Berufsakademien. Trotzdem lassen sie sich diese Plätze im Ausbildungspakt anrechnen. Droht damit das Aus für die Ausbildung in der Informations- und Telekommunikationsindustrie? Wird Haupt- und Realschülern der Zugang zur IT-Wirtschaft versperrt? Von Helga Ballauf*

IBM prescht vor. Wenn in der Stuttgarter Konzernzentrale von "Ausbildung" des IT-Nachwuchses die Rede ist, sind junge Leute mit Fachhochschulreife oder Abitur gemeint, die ein duales Studium - an einer Berufsakademie (BA) und im Unternehmen - absolvieren. Nach drei Jahren schließen sie mit einem Diplom (BA) in Informatik, Wirtschaftsinformatik oder Internationaler Betriebswirtschaft ab. Lehrlinge bildet die deutsche IBM dagegen nicht mehr aus.

Das Unternehmen hat die Berufsausbildung zum Fachinformatiker, IT-Systemkaufmann oder IT-Systemelektroniker eingestellt. IBM begründet den Ausstieg aus der Berufsausbildung mit der nicht mehr vorhandenen Produktion. Das komplexe Dienstleistungsgeschäft dagegen stelle sehr viel höhere Anforderungen an die Berufsanfänger, erläutert Ausbildungsleiter Torsten Kronshage: "Von den Führungskräften in den Fachabteilungen hören wir, dass die jungen Leute mit einem BA-Studium genau die Richtigen für die veränderten Aufgabenstellungen sind." Berufsakademien gibt es nur in einigen Bundesländern - allen voran Baden-Württemberg - als Alternative zur Fachhochschule. Sie gehen beim Lehrplan stark auf die Interessen der Firmen ein, mit denen sie kooperieren.

Keine Garantie auf Übernahme

IBM kreiert beispielsweise gerade mit einer Stuttgarter Berufsakademie die neue Fachrichtung "Dienstleistungsmanagement" und hat zugesagt, ab Herbst nächsten Jahres 20 Plätze zu besetzen. Sie kommen zu den bisher 160 Stellen für Studienanfänger pro Jahr hinzu. Diese Jobs lässt sich IBM mit Billigung der Bundesregierung und der Gewerkschaften als Beitrag zum Ausbildungspakt gutschreiben. Das ist eigentlich nicht im Sinne des Erfinders. Die Bundesregierung wollte damit sicherstellen, dass jeder Jugendliche eine Lehrstelle bekommt. Von Fachhochschulstudierenden oder Plätzen an der Berufsakademie war nie die Rede. Verdi-Verhandlungsführer Rolf Schmidt bedauert, dass so Ausbildungschancen für Haupt- und Realschulabsolventen wegfallen. Das Niveau der Tätigkeiten verlange aber eben eine BA-Ausbildung.

"Würden wir nicht den qualitativ hochwertigen Nachwuchs anbieten, den die Fachabteilungen anfordern, würden wir unserer Aufgabe nicht gerecht werden," sagt Kronshage. Dabei ist die berufliche Zukunft im Konzern keineswegs sicher: "Unsere Absolventen müssen so gut sein, dass sie im Wettbewerb bestehen. Denn niemand kann heute abschätzen, wie viele der Berufsakademiker übernommen werden können", bemerkt der Ausbildungsleiter.

Bitkom: Keine Krise der IT-Ausbildung

Der Berufsbildungsexperte des Branchenverbands Bitkom, Stephan Pfisterer, will aus dem Fall IBM keine Krise der IT-Ausbildungsberufe ableiten: "Aus der Entscheidung eines einzelnen prominenten Unternehmens darf kein genereller Trend abgeleitet werden", sagt er. Es sei legitim, wenn Unternehmen wie IBM, die sich vorrangig auf hochwertige Beratungsdienstleistungen im internationalen Maßstab spezialisiert haben, auf BA- und Hochschulabsolventen setzten. Richtig sei auch, dass in Deutschland "der Anteil der klassischen Produktion im IT-Bereich und damit der Bedarf an Facharbeitern sinkt". In vielen Zweigen der Wirtschaft, besonders in den DV-Anwenderbranchen, sei der Bedarf an technisch und kaufmännisch versierten IT-Fachkräften jedoch ungebrochen, betont der Verbandssprecher. Immerhin 14 400 Ausbildungsstellen wurden im Herbst 2003 neu besetzt.

"Es geht um Leistung, nicht um Titel"

SAP fährt zweigleisig. Zwei Drittel der Berufseinsteiger schlagen den Weg zu den BA-Diplomen Wirtschaftsinformatik und International Business Information Technology ein, ein Drittel lernt Fachinformatiker in Betrieb und Berufsschule. "Das läuft im Moment gut so", sagt SAP-Ausbildungsexperte Karl-Heinz Obert. Beide Gruppen hätten gute Übernahmechancen in den Abteilungen Entwicklung, Beratung und Service. "Natürlich müssen wir immer reagieren, wenn das Unternehmen sich verändert und neue Qualifikationen erforderlich werden." Ein wichtiger Schritt ist das Konzept, mit dem SAP sowohl Studenten als auch Auszubildende auf das "selbstorganisierte Lernen" vorbereitet, also darauf, sich Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten ein Berufsleben lang selbst anzueignen. Hohe Anforderungen für Realschüler, aber einige packen es, berichtet Obert. Und einem guten Fachinformatiker empfehle er durchaus, sich intern auch auf eine passende BA-Stelle zu bewerben: "Es geht nicht um Titel, sondern um Leistung."

Klaus Dubiella, Ausbildungsleiter bei der Hewlett-Packard GmbH, kommt die jüngste Debatte über den Königsweg zum IT-Job bekannt vor. Er war vor etwa zehn Jahren Mitinitiator der neuen IT-Berufe, die Support und Service aufwerteten, um so den Wegfall der Hardwareproduktion im Land zu kompensieren. "Inzwischen lagern große Firmen immer stärker auch Dienstleistungs- und Servicefunktionen aus, Aufgaben also, die für Nichtakademiker geeignet sind," beobachtet Dubiella. "Mit der Folge, dass gute Fachinformatiker und IT-Systemkaufleute in den Klein- und Mittelunternehmen gebraucht werden, die den Support übernehmen." Bei Hewlett-Packard ist die Lage noch etwas anders, weil das Unternehmen diverse Rechenzentren zugekauft hat - mit Ausbildungs- und Jobchancen für Facharbeiter. Insgesamt betreut Dubiellas Team rund 100 IT-Azubis mit Mittlerer Reife und 160 BA-Studenten mit (Fach)abitur. Dass der Run auf die duale IT-Ausbildung nachgelassen hat, hält der Sachverständige für eine gesunde Entwicklung. Nun müsse dafür gesorgt werden, dass der Wert eines Fachinformatikers oder IT-Systemkaufmanns europaweit anerkannt werde, sagt Dubiella: "Unter den nicht-akademischen Abschlüssen sind sie absolute Spitze."

In Mittelfranken kümmert sich der Aita-Verein um die hohe Qualität der IT-Ausbildung. Rund 20 kleine und mittelständische Firmen organisieren für ihre Azubis überbetriebliche Lernprojekte und Fachseminare gemeinsam - von Anwendern wie der Spardabank oder der Klar Automation GmbH bis zum Softwarehersteller Infoteam GmbH. Geschäftsführer Karl-Heinz John betont: "Da kleinere Unternehmen ihre Azubis nicht zu jedem Thema schulen können, ist eine Zusammenarbeit bei der Grundlagenvermittlung selbst zwischen Mitbewerbern am Markt sinnvoll."

Der Berufsbildungsexperte der IG Metall, Michael Ehrke, will nichts von einer Krise der klassischen IT-Ausbildung wissen. "IBM hat immer eine Sonderrolle gespielt und eigene, konzernbezogene Qualifizierungswege favorisiert. Das ist nicht repräsentativ für die IT-Wirtschaft", sagt er. Ehrke sieht gerade in den Anwenderunternehmen der Informations- und Telekommunikationstechniken einen ungebrochenen Bedarf an System- und Netzwerkadministratoren. Problematisch ist für den Gewerkschafter eher der generelle Abbau von Ausbildungsplätzen in vielen großen Konzernen: "Diese Verluste können Klein- und Mittelunternehmen nicht auffangen."

Tatsache ist, dass auch in den Jahren 2000 und 2001 bis zu 20000 IT-Azubis pro Jahr mit der Lehre in Betrieb und Berufsschule begannen, die umsatz- und entwicklungsstarken IT-Unternehmen in der Ausbildung aber keine quantitativ entscheidende Rolle spielten: IBM, Hewlett-Packard, SAP und Wincor-Nixdorf kamen in jenen Jahren zusammen auf etwa vier Prozent der bundesweit neu geschlossenen Verträge. Damals wie heute hieß es, mehr als für den Eigenbedarf auszubilden sei nicht drin. Aus Kostengründen. (iw)

*Helga Ballauf ist freie Journalistin in München.

Hier lesen Sie ...

- weshalb immer mehr IT-Ausbildungsplätze in Konzernen wegfallen,

- weshalb junge Akademiker mit einer Ausbildung an einer Berufsakademie besonders gefragt sind,

- weshalb Berufseinsteiger mit Mittlerer Reife oder Hauptschulabschluss kaum Chancen auf einen IT-Ausbildungsplatz haben.

Ausbildungspakt

Im Juni 2004 verpflichten sich die Spitzenverbände der Wirtschaft, jedem ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen jungen Menschen ein Ausbildungsangebot zu machen. In diesem und in den beiden folgenden Jahren wollen sie jeweils 30000 neue Ausbildungsplätze einwerben. In dem Pakt hat die Wirtschaft außerdem zugesagt, in diesem und den beiden folgenden Jahren jeweils 25 000 Plätze für betriebliche Einstiegsqualifizierungen zur Verfügung zu stellen. Der Pakt hat eine Laufzeit von drei Jahren. Laut Bundeswirtschaftsministerium sind momentan 182000 Bewerber noch nicht vermittelt - bei 50000 unbesetzten Ausbildungsstellen.