Computerberufe sind vor Umstrukturierung nicht sicher

10.02.1984

Die Umstrukturierung klassischer Bürotätigkeiten greift nun auch auf die Computerberufe über. Der Einsatz von Standardsoftware, Generatoren und neuen Planungs- und Designmethoden sowie von Personal Computern führt nach Ansicht von Hartmut H.-J. Becker von der ADV-Orga in Wilhelmshaven zu einem geringeren Bedarf an Organisatoren, Systemanalytikern und Programmierern. Auch Jürgen Liebscher, DV-Leiter bei Reemtsma, glaubt, daß es notwendig ist, auf "neue Anforderungen mit neuen Strukturen" zu reagieren. Konstatiert der Hamburger: "Bei den derzeitigen Organisationsveränderungen ist es entscheidend, daß die richtigen Leute die neuen Funktionen ausüben, anstatt mit neuen Strukturen und dem alten Personalbestand darauf zu reagieren."

Hartmut H.-J. Becker ADV/Orga F. A. Mayer GmbH, Wilhelmshaven

Die Umstrukturierung klassischer Tätigkeiten - und Arbeitsplätze, verursacht durch den Computer, erfaßt nun auch die "Computerberufe" selbst.

Die Informationsindustrie bietet immer höhere Problemlösungen an: Roboter ersetzen Fabrikarbeiter, Computereinsatz machte einen ganzen Berufsstand überflüssig, Bürokommunikation reduziert Schreibkräfte und Sachbearbeiter, CAD/CAM verringert den Bedarf an Konstrukteuren und technischen Zeichnern, medizinische Analyseautomaten arbeiten schneller und sicherer mit weniger Laborantinnen - und so geht das weiter.

Ein Beispiel: Mehr als 70 Prozent der Programmierkapazität ist in den meisten Unternehmen durch Wartung von oft (oder bald) veralteter Anwendungssoftware gebunden. Wenn diese Software durch flexible Standardsoftware ersetzt wird - und wer kann heute in vielen Bereichen noch wirtschaftlich Individualsoftware erstellen - dann wird über die Hälfte der Kapazität frei.

Generell gilt:

- Leistungsfähige, flexible Standardsoftware spart Mann-Jahre an Systemanalyse, Anwendungsprogrammierung und Wartung

- Generatoren, DB-Systeme Tools und Techniken reduzieren den Aufwand für den verbleibenden Bedarf an Individualprogrammierung

- Neue Planung- und Designmethoden verkürzen rechnerunterstützt die Konzeptions- und Realisierungsphasen erheblich

- PCs vermitteln dem Endbenutzer Computerkompetenz und reduzieren die Anforderungen an die DV-Abteilung.

- Die Nutzung von Rechennetzen, Bürokommunikation etc. führt zu Vereinheitlichungen auch in den Anwendungsbereichen - viele herkömmliche Funktionen werden dadurch überflüssig.

Das alles muß zu einem "Boom nach unten" beim Bedarf an Organisatoren Systemanalytikern und Programmierern führen. Der unternehmerisch denkende DV-Leiter kauft, soweit möglich leistungsfähige Technologie, moderne Anwendungssoftware und neue Methodensysteme. Er läßt den Anwender mündig werden - auch mit PCs, bei denen er nur für Einheitlichkeit und Kompatibilität sorgt - und er spart Personal das all die vorgefertigten Lösungen erst noch einmal, aufwendiger an Zeit und Geld, erfinden müßte. Er ist dadurch effizienter und wirtschaftlicher als mit "handwerklichen" Arbeitskräften. Viele Unternehmen aus unserer Praxis sind bereits auf diesem Weg.

Sieht es also düster um die Zukunft der Org./DV-Kräfte aus?

Nur zum Teil. Die Möglichkeiten im Informationswesen werden weiter ausgebaut werden. Die Vielfalt der technologischen und methodischen Möglichkeiten der Computer wird weiter zunehmen, die Elektroniktechnologie in ganz neue Anwendungsgebiete vorstoßen. Diese neue Komplexität gilt es mit sicherem Auge einzuschätzen und für die Unternehmen sinnvoll einzusetzen. Hierzu bedarf es eines flexiblen Org./DV-Mannes, der immer auf der Höhe der Zeit ist das heißt kompetent in den neuesten Anwendungsmöglichkeiten der Produkte der Informationsindustrie.

Den Org./DV-Kollegen ist zu raten, nicht mehr in festen Karriereplänen mit Zielpositionen zu denken, sondern sich ständig mit den zukunftsträchtigen Technologien zu beschäftigen und hier täglich kompetenter zu werden. Denn die Informationsindustrie ist ein sicherer Wachstumsmarkt.

Der sich bisher eher in der Betriebswirtschaft oder der Technik wohl fühlende Organisator wird bald seinen Platz in der Fachabteilung haben. Die Führungspositionen im Informatikwesen der Unternehmen werden von weitblickenden hochqualifizierten Generalisten unternehmerischer Prägung besetzt werden, die sich auf eine qualifizierte Mannschaft von Spezialisten und ein immer breiter und tiefer werdendes Angebot auf dem Hardware- und Softwaremarkt stützen werden.

Jürgen Liebscher DV-Leiter H. F. + Ph. F. Reemtsma GmbH, Hamburg

Es stellt sich die Frage, ob es noch zeitgemäß für ein großes Unternehmen ist, eine Programmierungsabteilung, eine Organisationsabteilung, eine Systemanalyse zu haben, oder ob man überhaupt zu einer ganz neuen Struktur übergehen sollte.

Generell verlangen geänderte Umweltbedingungen häufig auch eine Anpassung der internen betrieblichen Strukturen. Die Frage, ob dieses heute auch für den Bereich Informationsverarbeitung der Fall ist, muß tendenziell mit ja beantwortet werden. Sieht man sich die herkömmlichen Strukturen und Abteilungsgliederungen an, dann existiert im allgemeinen eine Produktionsabteilung der Informationsverarbeitung, das Rechenzentrum. Diese wird auch in Zukunft im wesentlichen unverändert bleiben, vielleicht um einige zusätzliche Funktionen ergänzt werden. Systemanalyse und Programmierung ist nach unserer Einschätzung generell in den Bereich Anwendungssystem zusammenzufassen. Auch mitarbeiterbezogen sollte man weniger nach Analyse und Programmierung unterscheiden, sondern die Mitarbeiter in beiden Gebieten einsetzen können. Die Systemtechnik, die im allgemeinen die Systemprogrammierung, Datenbanken, TP, Netze Hardware als auch Methoden zu betreuen hat, wird zunehmend an Bedeutung gewinnen. Speziell im Hinblick auf neue Funktionen wie Endbenutzerservice, der auch als Informationscenter bezeichnet wird sind neue Einrichtungen zu schaffen. Es sollten in aller Regel aus den herkömmlichen Strukturen Teilfunktionen abgezogen und zu einer neuen Einheit zusammengefaßt werden. Diese Vorgehensweise ist zwar ratsam, gleichzeitig aber auch stark abhängig von der unternehmensindividuellen Situation. Ratsam ist es deswegen, weil die Anforderungen, die von den Fachabteilungen auf die Informationsverarbeitung zukommen, sich geändert haben. Beschleunigt wird die Situation durch neue Techniken und Tools, wie zum Beispiel APL, Grafiksysteme, Personal Computer mit Endbenutzer-Software und ähnliches.

Es ist sicherlich notwendig, auf neue Anforderungen auch mit neuen Strukturen zu reagieren. Hierbei ist es aber entscheidender, daß die richtigen Leute die neuen Funktionen ausüben, als nur mit neuen Strukturen und dem alten Personalbestand darauf zu reagieren. Die herkömmlichen Datenbankfunktionen sind zum Beispiel zu ergänzen oder aufzuwerten um Datenarchitekturfunktionen, die unternehmensweit zu gelten haben. Hierbei handelt es sich um eine wesentliche Ausweitung der gewohnten Datenbankfunktionen, deren herkömmlicher Rahmen damit gesprengt wird. Auch in dem Bereich Personal Computing geht es mit rasanten Schritten voran, so daß auch hier eine Ausweitung der Betreuungsfunktion des Endbenutzerservice absolut unumgänglich ist. Diese Situation findet allerdings häufig nur eine unbefriedigende Aufnahme in den herkömmlichen Abteilungsstrukturen. Auch hier ist es wichtig zu begreifen, wie abhängig der Erfolg oder

Mißerfolg von der persönlichen Besetzung der neuen Funktionen ist. Es gilt auch hier der Grundsatz: Eher den richtigen Mann mit der richtigen Qualifikation in einer herkömmlichen Struktur als nur neue Strukturen mit der alten Besetzung zu schaffen. Entscheidend an der ganzen Überlegung ist selbstverständlich, ob anschließend ein besserer und effizienterer Service für die Fachabteilungen und Endbenutzer gewährleistet werden kann.

Dr. Heinz G. Schild Unternehmensberater, Bonn-Bad Godesberg

Die Rollenabgrenzung zwichen Fachabteilung und EDV in den Unternehmen und Verwaltungen gerät wieder einmal in Bewegung: Dabei lassen sich zwei gegenläufige Tendenzen konstatieren:

Die Fachabteilungen wollen bei der Implementierung und vor allem beim Betrieb von EDV-Verfahren für ihre eigenen Aufgaben nicht mehr ausschließlich die Rolle des Bestellers einnehmen. Vielmehr sollen ihre eigenen Mitarbeiter selbständig erhebliche Teile davon erledigen. Es kommt zur "Endnutzer-Datenverarbeitung".

Die EDV-Abteilungen dagegen werden Sach- und Machtkompetenzen für die effiziente Verwaltung - Katalogisierung, Speicherung, Aktualisierung, Schutz - der großen Informationsbestände des Unternehmens beziehungsweise der Verwaltung und für die telekommunikationstechnische Vernetzung unter Einbeziehung von Text und Sprache übernehmen. Das Schlagwort dazu heißt "Informations-Management".

Zwischen beiden Tendenzen bestehen enge Beziehungen. Sie sind unter anderem der Ausdruck technologischer Änderungen im Bereiche der Endgeräte, der Fernmeldetechnologie und der Software. Bei der Software spielen die Fortschritte in der Datenbanktechnologie und in den nonprozeduralen Sprachen (der vierten Generation) zum Abruf, zur Analyse und zur Ausgabe von Daten eine wichtige Rolle.

Man sollte jedoch beachten daß vieles, was unter dem Etikett "vierte Generation" angeboten wird, gar nicht so neu ist. Der Vorteil liegt manchmal nur darin, daß sich mit den herkömmlichen Mitteln interaktive Datenbankanwendungen überhaupt nicht mehr in vernünftiger Zeit zur Zufriedenheit der kritischer gewordenen Fachabteilungen realisieren lassen und damit kleinere Verbesserungen bereits begrüßt werden. Viele unterschätzen im übrigen den Grad der Festlegung, der durch die Einführung eines solchen Produkts in einem Unternehmen entsteht, und das Risiko.

Um die Möglichkeiten der Fachabteilungen in der selbständigen Datenverarbeitung voll nutzen zu können, wird darüber hinaus noch Software für die individuelle Datenverarbeitung, auch in Kombination mit Mikrorechnern, benötigt.

Der effiziente Einsatz der neuen Software-Tools erzwingt Änderungen im Implementierungsprozeß und in der Produktion. Die Ertüchtigung der Endbenutzer wird essentiell. Dies bedeutet mehr als einen 3-Tage-Kurs. Damit verbunden ist die Notwendigkeit, eine Kette von Beratungsleistungen, vom "functional support personnel" bis zum zentralen "information centre", mit sich ergänzenden Ausrichtungen vorzuhalten.

Soll die Endnutzer-Datenverarbeitung nicht zu einer schädlichen Partikularisierung führen, aber auch aus einer Reihe anderer Gründe, die hier nicht erläutert werden können, wird auf Sicht das Etablieren des Informations-Managements unumgänglich.

Die notwendigen Veränderungen im Verhältnis EDV - Fachabteilungen lassen sich praktisch wohl nur in kleinen Schritten, die auf die jeweilige Situation sorgfältig abgestimmt sind, realisieren. Mit großen Gesten oder Verfügungen wäre niemandem geholfen. Trotzdem kann man dem EDV-Management einige allgemeine Empfehlungen geben.

- Die Auswahl der Software für die Endnutzer-Datenverarbeitung unter Berücksichtigung aller relevanten Nebenbedingungen und unter Einbeziehung der sich abzeichnenden Tendenzen ist rechtzeitig, systematisch und gründlich durchzuführen.

- Der Rahmen für den neuen Implementierungsprozeß und die Ertüchtigung der Kräfte besonders in den Fachabteilungen sollte durch ein oder zwei Pilotvorhaben getestet und aufgrund kritischer Analyse der dabei erworbenen Erfahrungen vereinbart werden.

- Für die neuen Aufgaben der Datenverarbeitungsabteilung, nämlich Betreuung der Endnutzer, Daten-Management und Kommunikations-Engineering, sollten jeweils kleine Organisationseinheiten versuchsweise eingerichtet werden. Um sie nicht zu sehr mit "AItschulden" zu belasten sind sie in der EDV-Hierarchie möglichst hoch aufzuhängen ohne jedoch ihren Leitern gleich einen besonderen Status zu verleihen.

Veränderungen dieser Art bringen zweifellos Unsicherheit mit sich. Eines dürfte jedoch klar sein: Die Bedeutung der EDV-Abteilung insgesamt wird darunter nicht leiden; eher das Gegenteil ist der Fall. Was sich gewiß ändert, sind die Ansprüche an das EDV-Management.