Computer-Tomographie revolutioniert Röntgen-Diagnose:"Scheibchenweise" Ganzkörper-Untersuchung

29.07.1977

MÜNCHEN (uk) - Die von dem englischen Physiker G. N. Hounsfield entwickelte Computer-Tomometrie revolutioniert zur Zeit die gesamte Röntgen-Diagnostik. Insbesondere bei der Früherkennung von Tumoren im Gerhin oder inneren Organen hat sich dieses Verfahren gegenüber herkömmlichen Diagnostikmethoden als weit überlegen erwiesen. Durch unrealistische Berichte in der Tagespresse ("Hirnkranke können aufatmen", "Computer-Tomographie nicht zu übertreffen") wurden allerdings bei vielen Menschen übertriebene Erwartungen und falsche Hoffnungen geweckt. "Manche meinen sogar, man könne mit diesem Apparat das Angstkapitel Krebs abhaken", weiß beispielsweise Prof. J. Lissner aus München über derart überzogene Vorstellungen zu berichten. Über den "State of the Art" und das "Machbare" bei der Computer-Tomometrie konnte man sich auf dem 58. Deutschen Röntgenkongreß im Mai in Münster informieren:

Seit der erste Computer-Tomograph der britischen Firma EMI im Atkinson Hospital in London 1972 installiert worden ist, werden Mediziner nicht müde, die Vorteile des neuen Verfahrens gegenüber den herkömmlichen röntgenologischen Methoden zu preisen. Es liefert Querschnittsbilder des menschlichen Körpers, die die unterschiedlich absorbierenden Gewebedichten in feiner Grauabstufung darstellen.

Ein dünnes Bündel Röntgenstrahlen tastet den Körperquerschnitt von mehreren Seiten ab. Hochempfindliche Detektoren registrieren die aus dem Körper austretenden Strahlen. Das Röntgenröhren-Detektorsystem dreht sich um den Patienten herum. Dabei werden die einzelnen Punkte des Querschnittes aus unterschiedlichen Richtungen durchstrahlt, so daß der Computer für jeden dieser Punkte den relativen Absorptionswert ermitteln kann. Üblich sind Auflösungen bis 65 K-Punkte. Die Schwächungswerte werden dann in Helligkeitsstufen beziehungsweise in Farbwerte umgesetzt und auf einem Fernsehschirm als ein Computer-Tomogramm dargestellt.

Das tonnenschwere Gerät besteht aus dem Stativ mit dem Detektorsystem, dem Röntgengenerator sowie aus der Bedienungskonsole mit Kontrollmonitor und alphanumerischer Tastatur.

Ein typisches Datenverarbeitungssystem setzt sich aus einem Computer, zwei Platten- und einer Bandeinheit zusammen. Die Darstellung der Organquerschnitte erfolgt auf einem Farbdisplay beziehungsweise SW-Monitor. Zur Archivierung der Bilder werden die Bildschirme abphotographiert (Polaroid oder Röntgenfilm).

Die ersten Computer-Tomographen waren die sogenannten Schädelscanner, weil mit ihnen nur der Schädel untersucht werden konnte. Heute setzt sich der Ganzkörper-Computer-Tomograph durch, bei dem nicht nur der Kopf, sondern auch der ganze Körper "scheibenweise" untersucht werden kann. In Deutschland sind schon mehrere dieser Installationen in Betrieb. Die Entwicklung geht rasend schnell vor sich: auf dem 58. Deutschen Röntgenkongreß im Mai 1977 in Münster kündigten mehrere Firmen gleichzeitig neue Schnellscanner an, die alle bisherigen Modelle an Bildgüte, Schnelligkeit und Patientenschonung in den Schatten stellen sollen.

Wie Prof. H. Poppe aus Göttingen in seinem Einführungsvortrag über Computer-Tomographie berichtete, arbeitete die erste Generation dieser Geräte mit Natriumjodid-Detektoren. Die Zeit für die Herstellung eines Körperschnittes betrug 4-5 Minuten. Bereits in der zweiten Generation konnte diese Zeit auf 18-20 sec verkürzt werden. Die neuen Schnellscanner der dritten Generation benötigen hierzu nur noch 3-5 sec, wodurch sich Bewegungsunschärfen weitgehend vermeiden lassen.

Inzwischen sind in Deutschland bereits sieben Anbieter, hauptsächlich medizintechnische Unternehmen (darunter die Siemens AG und die C. H. F. Müller GmbH, eine Tochter der niederländischen Firma Philips), tätig.

Der Markt wird als ausbaufähig eingeschätzt. Während Prof. Kormano aus Finnland von einer Bedarfsdichte von einem Computer-Tomographen auf 500 000 Einwohner ausgeht, hält die Industrie eine doppelt so hohe Dichte für möglich, wobei allerdings auch die Schädelscanner einbegriffen sind. Optimisten unter den Verkäufern sehen sogar Chancen, pro 200 000 Bürger eine Installation abzusetzen. Inwieweit hier der Wunsch der Vater des Gedankens ist, bleibt abzuwarten. Der hohe Preis läßt viele Krankenhäuser noch vor Anschaffungen zurückschrecken. Die Zurückhaltung der Geldgeber dürfte allerdings von nicht allzu langer Dauer sein: Sie werden weniger von einer aggressiven Werbung bedrängt, sondern mehr von den eigenen Medizinern, die lieber heute als morgen den Wunderapparat im Keller stehen haben wollten. Der Marktführer, die britische Firma EMI, zieht denn auch zu Werbezwecken mit einem Demonstrationsbus durch die Gegend, um auch der abgelegenen Provinz die Vorteile des Apparates vor Augen führen zu können.