Computer Telephony Integration in der Praxis CTI: Netware und Chicago als nettes Fraeulein vom Amt

19.08.1994

Von Eric Tierling*

Das Telefon laeutet, und auf dem Bildschirm erscheint der Name des Anrufers, noch bevor der Hoerer abgenommen wurde - wer haette das nicht gern? Bisher scheiterten solche Moeglichkeiten an der Technik. Doch das soll sich in Kuerze aendern; jedenfalls arbeiten Branchengroessen wie Microsoft, Intel, Northern Telecom sowie Novell und AT&T daran, einen alten Traum endlich Realitaet werden zu lassen: Die Integration von Computer- und Telefonanwendungen.

Die Integration des PCs in die vorhandene Telefoninfrastruktur, auch als "Computer Telephony Integration" oder kurz "CTI" bezeichnet, wird dem Anwender vollkommen neue Moeglichkeiten eroeffnen. Die einfachste Form besteht darin, ueber den PC einen Anruf zu initiieren, bei der die Rufnummer des gewuenschten Teilnehmers aus einer zentralen Datenbank stammt. Funktionen, etwa zum Aufbau einer Telefonkonferenz oder zur Verbindung mit einem anderen Gespraechspartner, lassen sich dabei ueber den PC wesentlich einfacher nutzen als mit konventionellen Verfahren, die oft noch das Eintippen einer Ziffernkombination erfordern.

Als Interface zum Telefon fungiert dabei eine spezielle PC- Software, mit der der Anwender ueber entsprechende Menueoptionen auf komplexere und daher bis dato meist auch nur selten genutzte Funktionen seiner Telefonanlage zugreifen kann.

Umgekehrt bietet CTI die Moeglichkeit, ankommende Gespraeche auf sehr vielfaeltige Weise zu bearbeiten. So erscheint beispielsweise auf dem Bildschirm des Anwenders ein Fenster, das Angaben ueber den Namen, die Adresse und die letzten Kontakte des Anrufers enthaelt - noch bevor der klingelnde Hoerer ueberhaupt abgenommen wird. Auf diese Weise bestens informiert, ist der Anwender imstande, sein Gegenueber professionell mit Namen zu begruessen und sich zu erkundigen, ob die beim letzten Telefonat besprochenen Fragen erledigt sind. Darueber hinaus verfuegt man ueber die Option, unwichtige oder unbekannte Anrufer automatisch - etwa zur Sekretaerin - umzuleiten. Bevorzugte Gespraechspartner koennen zudem zum eigenen Mobiltelefon weitergeleitet oder mit einer gespeicherten Nachricht konfrontiert werden. Nachrichten, die waehrend der Abwesenheit des Anwenders auf der sogenannten "Sprachbox" (einem elektronischen Anrufbeantworter) aufgezeichnet worden sind, lassen sich anschliessend uebersichtlich auf dem Bildschirm zusammen mit dem Namen des Anrufers - analog zu E-Mail- Nachrichten - darstellen und gezielt abrufen.

Caller-ID nur mit Hilfe von ISDN realisierbar

Grundlage der meisten dieser Funktionen ist die "Automatic Number Identification" (ANI), die eine Identifizierung des Anrufers ermoeglicht. Dazu muss allerdings beim Telefonat eine Caller-ID mituebermittelt werden - eine Moeglichkeit, die in Deutschland gegenwaertig nur im ISDN realisiert ist.

Auch im CTI-Marktsegment haben sich jedoch mittlerweile, wie in vielen anderen Bereichen der DV und TK-Industrie, zwei Herstellerlager mit unterschiedlichen Ansaetzen gebildet. So verfolgt Microsoft zusammen mit Intel und Northern Telecom die Entwicklung des "Telephony Application Programming Interface" (TAPI). Dieses ist auf jedem PC von Windows aus als DLL zu laden, stellt darauf aufbauenden Applikationen Telephony-Funktionen zur Verfuegung (vgl. Abbildung 1) und reicht alle Aufrufe an das "Service Provider Interface" (SPI) weiter und umgekehrt. Der in Form eines Treibers realisierte Service-Provider setzt die TAPI- Aufrufe im Kommandos, etwa fuer ein Modem, ein intelligentes Telefon oder eine ISDN-Karte um. Somit spielt es keine Rolle, welches Telefonsystem (analog, ISDN, Mobilfunk) zum Einsatz kommt.

TAPI gibt es in drei Versionen. Die in den "Basic Services" enthaltenen Routinen ermoeglichen einen ersten Kontakt zu Telephony, stellen aber auch nur einen elementaren Funktionsumfang bereit. Die "Supplementary Services" bieten zusaetzliche Moeglichkeiten zum Nutzen telefon- oder telefonanlagenspezifischer Funktionen - etwa zum Halten oder Weiterleiten einer Verbindung. Geraeteabhaengige Dienste fuer besondere Features einer Anlage, die den Umfang der eigentlichen TAPI-Spezifikation erweitern, fallen in die Kategorie der "Extended Services". Alle Service-Provider- Module muessen mit den Basic Services einen kleinsten gemeinsamen Nenner unterstuetzen. Dadurch ist sichergestellt, dass TAPI-faehige Applikationen zumindest immer grundlegende Telephony-Funktionen besitzen.

TAPI ist zudem Client-orientiert, das heisst, die Verbindung zwischen Telefon und PC wird in erster Linie ueber eine spezielle Steckkarte oder das LAN hergestellt, wo auch Erweiterungen in puncto Kompression von Audio-Daten Platz finden koennen. Um die neue Gespraechsfreiheit zu nutzen, muss jeder PC TAPI-faehig sein, was nicht nur mit Kosten, sondern auch mit Verwaltungsaufwand verbunden ist.

Microsoft hat einen Basic-Service-Provider fuer Hayes-kompatible Modems entwickelt, der grundlegende Routinen wie das Initiieren eines Anrufs ermoeglicht. Weitere Service-Provider-Module muessen von Drittherstellern geschrieben werden. So arbeitet etwa

Sierra Semiconductor an einer Steckkartenloesung, die einen eigenen Service-Provider fuer das eingebaute Modem enthaelt. Bei dieser Konzeption wird ein von dem Anbieter mitgelieferter Telefonhoerer mit der Steckkarte verbunden, so dass der PC die Funktion des Telefons uebernimmt.

Nun zum anderen "Lager", zu dem sich AT&T und Novell zusammengeschlossen und das "Telephony Services API" (TSAPI) entwickelt haben. Die Telephony- Services verkoerpern dabei eine Erweiterung bestehender Dienste von Novell Netware (File Services, Print Services etc.). Der Grossteil der zu TSAPI gehoerigen Softwarekomponenten wird direkt auf einem Netware-Server geladen, der damit als Telephony-Server fungiert. Dieser erhaelt eine geeignete Steckkarte, die ihn mit der Telefonanlage verbindet. Die konkrete Ansteuerung der Telefonanlage uebernimmt der "Switch Driver", der von entsprechenden Drittherstellern bereitzustellen ist.

Die erste TSAPI-Implementierung einschliesslich des Switch-Drivers und einer Steckkarte fuer den Server stammt von AT&T und heisst "Passage Way Telephony Services Solution". Die Komponenten bauen auf dem Switch-Driver auf und sind unabhaengig von der Basisanlage (und damit auch autonom vom jeweils verwendeten Telefonsystem). Aus diesem Grund sind auch andere Hersteller in der Lage, TSAPI zu verwenden. In Deutschland arbeitet neben Telenorma beispielsweise Philips Kommunikations Industrie (PKI) an einer TSAPI-Anpassung fuer die von der Telekom vertriebenen Octopus-Telefonanlagen "180i", "M" und "M26".

Hardware-Unterstuetzung ohne grossen Aufwand

TSAPI basiert auf dem Client-Server-Modell: Auf PC-Arbeitsplaetzen, die in das Novell-LAN eingebunden sind, ist lediglich die "Telephony-Client-Library"-Software zu laden, auf deren Basis die TSAPI-Applikationen mit dem Telephony-Server kommunizieren. Umgekehrt empfaengt dieses Modul Anfragen vom Telephony-Server, die etwa einen eingehenden Anruf betreffen. Kostspielige Hardware- Umruestungen sind bei den einzelnen PCs nicht erforderlich.

Allerdings setzt die gegenwaertige TSAPI-Realisierung einen mit Windows ausgestatteten PC voraus, Implementierungen auf andere Desktop-Betriebssysteme wie DOS, OS/2 und Macintosh sind (laut einer frueheren TSAPI-Spezifikation) vorgesehen.

Die Verbindung des Telefons am Arbeitsplatz mit dem PC wickelt der Telephony-Server ab, bei dem das Telephony-Services-Softwaremodul seinen Dienst verrichtet. Ausserdem hat Novell auch fuer den Telephony-Server ein Pendant zur Client-Library vorgesehen, so dass entsprechende TSAPI-faehige Applikationen direkt auf dem Telephony- Server laufen koennen. Anrufe lassen sich so noch vor der Weitergabe von der Telefonanlage an einen Arbeitsplatz und umgekehrt bearbeiten. Zu diesem Zweck wartet TSAPI mit einer Schnittstelle auf, um weitergehende Funktionen zu implementieren, beispielsweise zur Spracherkennung und -synthese. Beide miteinander konkurrierenden Entwicklungen haben ihre Staerken und Schwaechen. Von der Einbindung in ein Netz und einer Art Ressourcen-Sharing profitiert TAPI nur bedingt, umgekehrt ist TAPI allerdings auch vollkommen losgeloest vom Netz einsetzbar, etwa auf dem heimischen PC oder einem mobilen Notebook - das passende Mobiltelefon vorausgesetzt.

TSAPI setzt hingegen immer die Existenz eines Netzes voraus und stellt sozusagen die LAN-basierte Telephony-Implementierung dar. Die komplette Steuerung erfolgt dabei ueber den Server. So werden zwar die einzelnen Arbeitsplaetze nicht mit der Abwicklung von Telephony-Aufgaben belastet. Dafuer haben aber entfernte Anwender von zu Hause aus oder von unterwegs keine Moeglichkeit, Telephony- Funktionen zu nutzen.

TAPI wird Bestandteil von Windows 4.0 ("Chicago") sein und damit zweifelsohne Millionen von Anwendern erreichen, was sich in der Regel auch in einer Vielzahl von entsprechenden Applikationen niederschlaegt. Genauso arbeiten mehrere Millionen Anwender taeglich mit Netware, was TSAPI ebenfalls zu einer interessanten Loesung fuer Anwender und Entwickler macht.

Dabei offenbart sich ein ganz anderes, bis dato gern unter den Teppich gekehrtes Problem: Beide Loesungen sind zueinander nicht kompatibel. Offenbar haben sich die treibenden Kraefte beider Lager aber entschlossen, die Entscheidung um das bessere System nicht auf dem Ruecken der Anwender auszutragen. Vor kurzem gaben jedenfalls Intel, Microsoft, Northern Telecom und Novell die Entwicklung von "TMAP" bekannt, das im vierten Quartal zur Verfuegung stehen soll.

TAPI und TSAPI ueber eine Oberflaeche

Dieser "TAPI-TSAPI-Redirector" ermoeglicht es TAPI-Applikationen, ohne Aenderungen in einer TSAPI-Umgebung abzulaufen. Die TAPI- Applikationen stellen dabei das auf einem Arbeitsplatz-PC agierende Front-end zum TSAPI-Back-end dar. Der Vorteil: TAPI- Applikationen koennen sowohl auf einem Stand-alone- als auch auf einem im Netz integrierten PC ablaufen, ohne Anwender oder Entwickler damit zu belasten, ob nun die Telephony-Abwicklung ueber TAPI oder TSAPI erfolgt. Um sicherzustellen, dass auch jeder Anwender ueber TMAP verfuegt, will Microsoft den Redirector kostenlos anbieten. Gerade dieser juengste Verlauf der Entwicklung wird, so ist zu vermuten, nochmals fuer einen riesigen Schub entsprechender Produkte sorgen, wodurch CTI zu einem der zentralen Themen der naechsten Jahre avancieren wird.

*Eric Tierling arbeitet als Buchautor und freier Journalist in Leichingen.